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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Duellfragc

Was geschah nun dieser Strafmilderung beim Zweikampf gegenüber in
puncto injunarum? Hören wir die LonZtitutio IV, 42 und bedenken wir,
daß dies Worte find, die ein deutscher Landesherr im Jahre 1572 gesprochen
hat, ohne ahnen zu können, daß sie im Jahre 1912 im deutschen Reichsparlament
sinngemäß wieder als neue Münze würden ausgegeben werden können: "Es
haben ehrbare Leute allewege das Leben und die Ehre gleich geachtet, und die
Verletzung oder die Verleumdung an Ehren höher und beschwehrlicher, dann
Leibes-Beschädigung gehalten. Nachdem Wir dann erinnert, daß in Sächsischen
Rechten eine ganz geringe Straffe, als nicht mehr dann dreyßig Schilling, auf
die Ehren-Schänder geordnet, und mancher ehrliche Mann unserer Lande
bißanhero Abscheu getragen, sich Ehren-Sachen halber in Rechtfertigung ein¬
zulassen; Wir gleichwohl auch bey Uns erwogen, daß der ordentlichen Obrigkeit
gebühret, Ehrliebenden Leuten durch geordnete Straffe ihrer Ehren Ergötzunge
zu thun. . . Setzen, wollen und ordnen, daß ein ieglicher, wer der auch wäre,
so freventlicher, vorsetzlicher und muthwilliger weise den anderen an Ehren
schmähen, lästern, schänden und injuriren, und derselbe Rechtlich beklagt würde,
dem beschwehrten und injurirten Theil, nach Befinden der Unschuld, einen öffent¬
lichen Widerruf für Gerichte zu thun schuldig seyn soll. Darüber aber und
darneben soll auch solcher muthwilliger Schänder und Jnjuriant willkührlich mit
einer hohen Geld-Buße, mit Gefängnis, oder mit zeitlicher Verweisunge gestraffet
oder auch, nach Gelegenheit der Person, der Zeit oder Oerter und anderer
Umstände, mit Staupenschlägen des Landes ewig verwiesen werden. Wir wollen
auch diese Unsere Konstitution auf die Real-Jnjurien erstrecket haben" usw. --
Die beiden nächsten Nachfolger des Kurfürsten August haben sich nicht veranlaßt
gesehen, zu der mit diesen Konstitutionen förmlich angeschnittenen Duellfrage
weitere Stellung zu nehmen, und als ein Beweis für die derzeitige Zuläng¬
lichkeit dieser Bestimmungen darf es wohl gelten, daß auch Kurfürst Johann
Georg der Erste es nicht für nötig gehalten hat, in seiner "Polizey- und Kleider-
Ordnung vom 23. April 1612", in der alles, was ihm verbesserungsbedürftig
erschien, seine Regelung fand, des Injurien- und Duellwesens besondere Er- -
wähnung zu tun. Dann brach aber jener furchtbare Krieg in das Land und
machte es auf ein Menschenalter hinaus zu dem Tummelplatz einer wahnwitzigen
Willkür und eines bestialischer Wühlens, bei dem es selbst für edler angelegte
Menschen bald keine andere Rettung mehr gab, als mitzumachen und sich über
Zucht und Sitte, ja allmählich auch über die letzten Regungen des Gewissens
gänzlich hinwegzusetzen. Bei einem so bodenlosen Tiefstande staatlicher Ordnung,
wo der Regel nach beim besten Willen selbst die schwersten Verbrechen nicht
gesühnt zu werden vermochten, weil die Ankläger fehlten, und die Obrigkeit
einem solchen höllischen Durcheinander überhaupt nicht gewachsen war, --
unter solchen Verhältnissen war es natürlich selbstverständlich, daß auch
der Landesherr nicht mit einer strengen Verfolgung so untergeordneter
Verfehlungen, wie Beleidigungen und daraus folgender Raufhändel rechnen


Die Duellfragc

Was geschah nun dieser Strafmilderung beim Zweikampf gegenüber in
puncto injunarum? Hören wir die LonZtitutio IV, 42 und bedenken wir,
daß dies Worte find, die ein deutscher Landesherr im Jahre 1572 gesprochen
hat, ohne ahnen zu können, daß sie im Jahre 1912 im deutschen Reichsparlament
sinngemäß wieder als neue Münze würden ausgegeben werden können: „Es
haben ehrbare Leute allewege das Leben und die Ehre gleich geachtet, und die
Verletzung oder die Verleumdung an Ehren höher und beschwehrlicher, dann
Leibes-Beschädigung gehalten. Nachdem Wir dann erinnert, daß in Sächsischen
Rechten eine ganz geringe Straffe, als nicht mehr dann dreyßig Schilling, auf
die Ehren-Schänder geordnet, und mancher ehrliche Mann unserer Lande
bißanhero Abscheu getragen, sich Ehren-Sachen halber in Rechtfertigung ein¬
zulassen; Wir gleichwohl auch bey Uns erwogen, daß der ordentlichen Obrigkeit
gebühret, Ehrliebenden Leuten durch geordnete Straffe ihrer Ehren Ergötzunge
zu thun. . . Setzen, wollen und ordnen, daß ein ieglicher, wer der auch wäre,
so freventlicher, vorsetzlicher und muthwilliger weise den anderen an Ehren
schmähen, lästern, schänden und injuriren, und derselbe Rechtlich beklagt würde,
dem beschwehrten und injurirten Theil, nach Befinden der Unschuld, einen öffent¬
lichen Widerruf für Gerichte zu thun schuldig seyn soll. Darüber aber und
darneben soll auch solcher muthwilliger Schänder und Jnjuriant willkührlich mit
einer hohen Geld-Buße, mit Gefängnis, oder mit zeitlicher Verweisunge gestraffet
oder auch, nach Gelegenheit der Person, der Zeit oder Oerter und anderer
Umstände, mit Staupenschlägen des Landes ewig verwiesen werden. Wir wollen
auch diese Unsere Konstitution auf die Real-Jnjurien erstrecket haben" usw. —
Die beiden nächsten Nachfolger des Kurfürsten August haben sich nicht veranlaßt
gesehen, zu der mit diesen Konstitutionen förmlich angeschnittenen Duellfrage
weitere Stellung zu nehmen, und als ein Beweis für die derzeitige Zuläng¬
lichkeit dieser Bestimmungen darf es wohl gelten, daß auch Kurfürst Johann
Georg der Erste es nicht für nötig gehalten hat, in seiner „Polizey- und Kleider-
Ordnung vom 23. April 1612", in der alles, was ihm verbesserungsbedürftig
erschien, seine Regelung fand, des Injurien- und Duellwesens besondere Er- -
wähnung zu tun. Dann brach aber jener furchtbare Krieg in das Land und
machte es auf ein Menschenalter hinaus zu dem Tummelplatz einer wahnwitzigen
Willkür und eines bestialischer Wühlens, bei dem es selbst für edler angelegte
Menschen bald keine andere Rettung mehr gab, als mitzumachen und sich über
Zucht und Sitte, ja allmählich auch über die letzten Regungen des Gewissens
gänzlich hinwegzusetzen. Bei einem so bodenlosen Tiefstande staatlicher Ordnung,
wo der Regel nach beim besten Willen selbst die schwersten Verbrechen nicht
gesühnt zu werden vermochten, weil die Ankläger fehlten, und die Obrigkeit
einem solchen höllischen Durcheinander überhaupt nicht gewachsen war, —
unter solchen Verhältnissen war es natürlich selbstverständlich, daß auch
der Landesherr nicht mit einer strengen Verfolgung so untergeordneter
Verfehlungen, wie Beleidigungen und daraus folgender Raufhändel rechnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/256>, abgerufen am 22.07.2024.