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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Futuristen

ki'a et 8tuäiv, mit vollendeter Leidenschaftslosigkeit den Vorgängen gegenüber¬
zustehen, wenn dieser Kampf sich in der Gegenwart neu entzündet, und zumal
wenn der Angreifer zu so lächerlich-gewaltigen Schlägen ausholt, wie die
Futuristen es tun.

Sie "wollen die Museen, die Bibliotheken zerstören, den Moralismus
bekämpfen, den Feminismus und alle opportunistischen und Nützlichkeit be¬
zweckenden Feigheiten." Das Wichtigste aus diesem ganzen Programm ist aber
den Malern unter den Futuristen der Kampf gegen die Museen, d. h. den
Inbegriff und die Gesamtheit der bisherigen bildenden Kunst. "Museen, Kirch¬
höfe! . . . Wirklich identisch sind sie im finsteren Berühren ihrer Körper, die
einander nicht kennen. Öffentliche Schlafstellen, wo man auf ewig verhaßten
und unbekannten Wesen gegenüber schläft. Reziprokes Ungestüm der Maler,
die sich mit Linien- und Farbenschlägen gegenseitig in demselben Museum töten."
Daher rufen die Futuristen sich gegenseitig zu: "Laßt sie doch kommen, die
guten Brandstifter mit den karbolduftenden Fingern! ... Da sind sie! . . . Da
sind sie ja! . . . Steckt doch die Bibliotheken in Brand! Leitet die Kanäle ab,
um die Museen zu überschwemmen! ... Ha! Laßt sie dahintreiben, die glor¬
reichen Bilder! Nehmt die Spitzhacken und Hammer! Untergrabt die Grund¬
mauern der hochehrwürdigen Städte!" So schleudern sie, "auf dem Gipfel der
Welt stehend", ihre Herausforderung "den Sternen zu".

Das ist ein fatales Pathos, fatal auch deswegen, weil seine Gesuchtheit
zugleich als Reklame wirkt und weil überdies auch die künstlerischen Über¬
treibungen der Futuristen auf das große Publikum nicht anders wirken als eine
geschickte Reklame. Das Publikum sucht das Neue um jeden Preis, und wenn
es das Verrückte wäre. Die Futuristen aber verkünden das Neue um jeden
Preis -- bleibt für uns die Aufgabe, zu untersuchen, ob es wirklich etwas
ganz und gar Verrücktes ist.

Unter den Futuristen gibt es nicht nur Maler, sondern auch Dichter. Nur
die ersten sollen uns hier interessieren. Für den Stil der letzten möge die Art
als charakteristisch gelten, wie beide Künstlergruppen ihre künstlerischen Ziele in
ihrem Manifeste in Worte kleiden. Sie wollen, so sagen sie, "die aggressive
Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den gymnastischen Schritt, den gefahr¬
vollen Sprung, die Ohrfeige und den Faustschlag preisen." Die Schönheit der
Bewegung, speziell die "Schönheit der Schnelligkeit" glauben sie neu entdeckt
zu haben. Die künstlerische Darstellung der Schnelligkeit, der schnellen Be¬
wegung, das ist das künstlerische Problem, das sie auf ihre Art zu behandeln
suchen. Sie drücken sich aber auch auf ihre Art aus und sagen: "Wir werden
die arbeitbewegten Mengen, das Vergnügen, die Empörung singen, die viel¬
farbigen, die vieltönigm Brandungen der Revolutionen in den modernen Haupt¬
städten; die nächtliche Vibration der Arsenale und Zimmerplätze unter ihren
heftigen, elektrischen Monden; die gefräßigen Bahnhöfe voller rauchender Schlangen;
die durch ihre Rauchfaden an die Wolken gehängten Fabriken; die gymnastisch


Die Futuristen

ki'a et 8tuäiv, mit vollendeter Leidenschaftslosigkeit den Vorgängen gegenüber¬
zustehen, wenn dieser Kampf sich in der Gegenwart neu entzündet, und zumal
wenn der Angreifer zu so lächerlich-gewaltigen Schlägen ausholt, wie die
Futuristen es tun.

Sie „wollen die Museen, die Bibliotheken zerstören, den Moralismus
bekämpfen, den Feminismus und alle opportunistischen und Nützlichkeit be¬
zweckenden Feigheiten." Das Wichtigste aus diesem ganzen Programm ist aber
den Malern unter den Futuristen der Kampf gegen die Museen, d. h. den
Inbegriff und die Gesamtheit der bisherigen bildenden Kunst. „Museen, Kirch¬
höfe! . . . Wirklich identisch sind sie im finsteren Berühren ihrer Körper, die
einander nicht kennen. Öffentliche Schlafstellen, wo man auf ewig verhaßten
und unbekannten Wesen gegenüber schläft. Reziprokes Ungestüm der Maler,
die sich mit Linien- und Farbenschlägen gegenseitig in demselben Museum töten."
Daher rufen die Futuristen sich gegenseitig zu: „Laßt sie doch kommen, die
guten Brandstifter mit den karbolduftenden Fingern! ... Da sind sie! . . . Da
sind sie ja! . . . Steckt doch die Bibliotheken in Brand! Leitet die Kanäle ab,
um die Museen zu überschwemmen! ... Ha! Laßt sie dahintreiben, die glor¬
reichen Bilder! Nehmt die Spitzhacken und Hammer! Untergrabt die Grund¬
mauern der hochehrwürdigen Städte!" So schleudern sie, „auf dem Gipfel der
Welt stehend", ihre Herausforderung „den Sternen zu".

Das ist ein fatales Pathos, fatal auch deswegen, weil seine Gesuchtheit
zugleich als Reklame wirkt und weil überdies auch die künstlerischen Über¬
treibungen der Futuristen auf das große Publikum nicht anders wirken als eine
geschickte Reklame. Das Publikum sucht das Neue um jeden Preis, und wenn
es das Verrückte wäre. Die Futuristen aber verkünden das Neue um jeden
Preis — bleibt für uns die Aufgabe, zu untersuchen, ob es wirklich etwas
ganz und gar Verrücktes ist.

Unter den Futuristen gibt es nicht nur Maler, sondern auch Dichter. Nur
die ersten sollen uns hier interessieren. Für den Stil der letzten möge die Art
als charakteristisch gelten, wie beide Künstlergruppen ihre künstlerischen Ziele in
ihrem Manifeste in Worte kleiden. Sie wollen, so sagen sie, „die aggressive
Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den gymnastischen Schritt, den gefahr¬
vollen Sprung, die Ohrfeige und den Faustschlag preisen." Die Schönheit der
Bewegung, speziell die „Schönheit der Schnelligkeit" glauben sie neu entdeckt
zu haben. Die künstlerische Darstellung der Schnelligkeit, der schnellen Be¬
wegung, das ist das künstlerische Problem, das sie auf ihre Art zu behandeln
suchen. Sie drücken sich aber auch auf ihre Art aus und sagen: „Wir werden
die arbeitbewegten Mengen, das Vergnügen, die Empörung singen, die viel¬
farbigen, die vieltönigm Brandungen der Revolutionen in den modernen Haupt¬
städten; die nächtliche Vibration der Arsenale und Zimmerplätze unter ihren
heftigen, elektrischen Monden; die gefräßigen Bahnhöfe voller rauchender Schlangen;
die durch ihre Rauchfaden an die Wolken gehängten Fabriken; die gymnastisch


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[0223] Die Futuristen ki'a et 8tuäiv, mit vollendeter Leidenschaftslosigkeit den Vorgängen gegenüber¬ zustehen, wenn dieser Kampf sich in der Gegenwart neu entzündet, und zumal wenn der Angreifer zu so lächerlich-gewaltigen Schlägen ausholt, wie die Futuristen es tun. Sie „wollen die Museen, die Bibliotheken zerstören, den Moralismus bekämpfen, den Feminismus und alle opportunistischen und Nützlichkeit be¬ zweckenden Feigheiten." Das Wichtigste aus diesem ganzen Programm ist aber den Malern unter den Futuristen der Kampf gegen die Museen, d. h. den Inbegriff und die Gesamtheit der bisherigen bildenden Kunst. „Museen, Kirch¬ höfe! . . . Wirklich identisch sind sie im finsteren Berühren ihrer Körper, die einander nicht kennen. Öffentliche Schlafstellen, wo man auf ewig verhaßten und unbekannten Wesen gegenüber schläft. Reziprokes Ungestüm der Maler, die sich mit Linien- und Farbenschlägen gegenseitig in demselben Museum töten." Daher rufen die Futuristen sich gegenseitig zu: „Laßt sie doch kommen, die guten Brandstifter mit den karbolduftenden Fingern! ... Da sind sie! . . . Da sind sie ja! . . . Steckt doch die Bibliotheken in Brand! Leitet die Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Ha! Laßt sie dahintreiben, die glor¬ reichen Bilder! Nehmt die Spitzhacken und Hammer! Untergrabt die Grund¬ mauern der hochehrwürdigen Städte!" So schleudern sie, „auf dem Gipfel der Welt stehend", ihre Herausforderung „den Sternen zu". Das ist ein fatales Pathos, fatal auch deswegen, weil seine Gesuchtheit zugleich als Reklame wirkt und weil überdies auch die künstlerischen Über¬ treibungen der Futuristen auf das große Publikum nicht anders wirken als eine geschickte Reklame. Das Publikum sucht das Neue um jeden Preis, und wenn es das Verrückte wäre. Die Futuristen aber verkünden das Neue um jeden Preis — bleibt für uns die Aufgabe, zu untersuchen, ob es wirklich etwas ganz und gar Verrücktes ist. Unter den Futuristen gibt es nicht nur Maler, sondern auch Dichter. Nur die ersten sollen uns hier interessieren. Für den Stil der letzten möge die Art als charakteristisch gelten, wie beide Künstlergruppen ihre künstlerischen Ziele in ihrem Manifeste in Worte kleiden. Sie wollen, so sagen sie, „die aggressive Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den gymnastischen Schritt, den gefahr¬ vollen Sprung, die Ohrfeige und den Faustschlag preisen." Die Schönheit der Bewegung, speziell die „Schönheit der Schnelligkeit" glauben sie neu entdeckt zu haben. Die künstlerische Darstellung der Schnelligkeit, der schnellen Be¬ wegung, das ist das künstlerische Problem, das sie auf ihre Art zu behandeln suchen. Sie drücken sich aber auch auf ihre Art aus und sagen: „Wir werden die arbeitbewegten Mengen, das Vergnügen, die Empörung singen, die viel¬ farbigen, die vieltönigm Brandungen der Revolutionen in den modernen Haupt¬ städten; die nächtliche Vibration der Arsenale und Zimmerplätze unter ihren heftigen, elektrischen Monden; die gefräßigen Bahnhöfe voller rauchender Schlangen; die durch ihre Rauchfaden an die Wolken gehängten Fabriken; die gymnastisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/223>, abgerufen am 01.10.2024.