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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

der man dann sein ganzes Leben zu schnupfen hätte. Wenn er die Hand von
der Braut in seine nähme und drückte, wolle er was wieder haben. Ob
Wieschen ihn nun verstände?

Sie nickte mit dem Kopf, nahm seine Hand und drückte sie zuerst. So
trennten sie sich.

Wieschen entschlüpfte in ihre Kammer und riegelte die Tür zu. Ihr war
schwindelig, und sie fror. Sie würde einen langen Brautstand haben, dachte
sie. Bis zum Oktoberersten war sie von Jelde fest gedungen, dann kam für
den Kiep die Herbstarbeit. Vor Anfang Winter würden sie nicht heiraten.
Wieschen brauchte gar nicht nachzudenken, es war ihr alles, was kommen würde,
wie auswendig im Kopf. Wenn sie zu ihrem Brautstand das letzte feste Ja
gesagt hatte, würde sie sich nicht mehr munter dürfen gegen den Florentin,
wollte sie ihn nicht noch einmal und ganz verlieren.

Wie sie sich entkleidete, fand sie den Saum ihres Rockes naß und beschmutzt.
Sie hatte noch kein Kleid mutwillig so zugerichtet wie dieses, was war denn
aus ihr geworden? Wo war sie selbst? "Wieschen!" Sie rief sich leise beim
eigenen Namen, aber sie kam nicht zurück wie sie gewesen war, stand nur da
wie sie jetzt war. Mit roten Blumen zur eitlen Freude bekränzt, aber unrein
in der Seele sah sie sich stehen. War es denn in Wahrheit zu spät, die
geflochtenen Kränze abzureißen? Sie griff, weil ihr schwindelte, nach der
Geranie in ihrem Fenster, faltete die Hände um den Blumentopf, und es war,
als betete sie: "Gott, laß die roten Blumen weiß werden. .




Der Florentin hielt Wort. Er nahm die Arbeit wieder auf, wo er sie
vergessen und gelassen hatte, und sie gewöhnte ihm den Trunk so leicht und
von selber ab, daß er nicht einmal darum mit sich zu kämpfen hatte.

Es war in der Julizeit, wo das Korn zum Schnitte reif stand. Die
Mäher zogen aus, und die Gesichter der Mädchen lachten aus den bunt¬
kattunenen Sommerhüten, wenn sie mit nackten Armen die Garben banden.
Wieschen saß auf ihrem Nähstuhl, wie mit einem Zwirnsfaden angebunden,
den durchzureißen sie noch zögerte oder zu schwach war. Sie dachte an die
freieren Felder draußen, wo der Bauer im Knechtsdienst seiner Arbeit, aber
als König in seinem kleinen Reiche ging. Sie sehnte sich nach dieser Arbeit
und wußte, ihre schwachen Glieder würden darin erstarken.

Auch der Florentin legte sein Roggenfeld nieder, und Wieschen hörte das
surren seiner Sense und sah fremde Mädchen zu seiner Arbeit gedungen. Da
hätte sie hinter ihm sein mögen, wie die Taube hinter dem Landmann, wenn
er mit dem Pfluge neue Schollen über seinen Acker wirft. Sie wollte in seinem
Felde die Garben binden und in der Sonne aufstellen, daß es reich aussehen
sollte, wo der Florentin sein Korn geschnitten hatte! Und ihr blasses, schmales
Gesicht würde rotbackig und voll werden unter dem bunten, geblümten Sommer¬
hut. Bei solchen Gedanken ließ sie die Hände in den Schoß sinken und mußte


Die Blumen des Florentin Kiep

der man dann sein ganzes Leben zu schnupfen hätte. Wenn er die Hand von
der Braut in seine nähme und drückte, wolle er was wieder haben. Ob
Wieschen ihn nun verstände?

Sie nickte mit dem Kopf, nahm seine Hand und drückte sie zuerst. So
trennten sie sich.

Wieschen entschlüpfte in ihre Kammer und riegelte die Tür zu. Ihr war
schwindelig, und sie fror. Sie würde einen langen Brautstand haben, dachte
sie. Bis zum Oktoberersten war sie von Jelde fest gedungen, dann kam für
den Kiep die Herbstarbeit. Vor Anfang Winter würden sie nicht heiraten.
Wieschen brauchte gar nicht nachzudenken, es war ihr alles, was kommen würde,
wie auswendig im Kopf. Wenn sie zu ihrem Brautstand das letzte feste Ja
gesagt hatte, würde sie sich nicht mehr munter dürfen gegen den Florentin,
wollte sie ihn nicht noch einmal und ganz verlieren.

Wie sie sich entkleidete, fand sie den Saum ihres Rockes naß und beschmutzt.
Sie hatte noch kein Kleid mutwillig so zugerichtet wie dieses, was war denn
aus ihr geworden? Wo war sie selbst? „Wieschen!" Sie rief sich leise beim
eigenen Namen, aber sie kam nicht zurück wie sie gewesen war, stand nur da
wie sie jetzt war. Mit roten Blumen zur eitlen Freude bekränzt, aber unrein
in der Seele sah sie sich stehen. War es denn in Wahrheit zu spät, die
geflochtenen Kränze abzureißen? Sie griff, weil ihr schwindelte, nach der
Geranie in ihrem Fenster, faltete die Hände um den Blumentopf, und es war,
als betete sie: „Gott, laß die roten Blumen weiß werden. .




Der Florentin hielt Wort. Er nahm die Arbeit wieder auf, wo er sie
vergessen und gelassen hatte, und sie gewöhnte ihm den Trunk so leicht und
von selber ab, daß er nicht einmal darum mit sich zu kämpfen hatte.

Es war in der Julizeit, wo das Korn zum Schnitte reif stand. Die
Mäher zogen aus, und die Gesichter der Mädchen lachten aus den bunt¬
kattunenen Sommerhüten, wenn sie mit nackten Armen die Garben banden.
Wieschen saß auf ihrem Nähstuhl, wie mit einem Zwirnsfaden angebunden,
den durchzureißen sie noch zögerte oder zu schwach war. Sie dachte an die
freieren Felder draußen, wo der Bauer im Knechtsdienst seiner Arbeit, aber
als König in seinem kleinen Reiche ging. Sie sehnte sich nach dieser Arbeit
und wußte, ihre schwachen Glieder würden darin erstarken.

Auch der Florentin legte sein Roggenfeld nieder, und Wieschen hörte das
surren seiner Sense und sah fremde Mädchen zu seiner Arbeit gedungen. Da
hätte sie hinter ihm sein mögen, wie die Taube hinter dem Landmann, wenn
er mit dem Pfluge neue Schollen über seinen Acker wirft. Sie wollte in seinem
Felde die Garben binden und in der Sonne aufstellen, daß es reich aussehen
sollte, wo der Florentin sein Korn geschnitten hatte! Und ihr blasses, schmales
Gesicht würde rotbackig und voll werden unter dem bunten, geblümten Sommer¬
hut. Bei solchen Gedanken ließ sie die Hände in den Schoß sinken und mußte


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[0184] Die Blumen des Florentin Kiep der man dann sein ganzes Leben zu schnupfen hätte. Wenn er die Hand von der Braut in seine nähme und drückte, wolle er was wieder haben. Ob Wieschen ihn nun verstände? Sie nickte mit dem Kopf, nahm seine Hand und drückte sie zuerst. So trennten sie sich. Wieschen entschlüpfte in ihre Kammer und riegelte die Tür zu. Ihr war schwindelig, und sie fror. Sie würde einen langen Brautstand haben, dachte sie. Bis zum Oktoberersten war sie von Jelde fest gedungen, dann kam für den Kiep die Herbstarbeit. Vor Anfang Winter würden sie nicht heiraten. Wieschen brauchte gar nicht nachzudenken, es war ihr alles, was kommen würde, wie auswendig im Kopf. Wenn sie zu ihrem Brautstand das letzte feste Ja gesagt hatte, würde sie sich nicht mehr munter dürfen gegen den Florentin, wollte sie ihn nicht noch einmal und ganz verlieren. Wie sie sich entkleidete, fand sie den Saum ihres Rockes naß und beschmutzt. Sie hatte noch kein Kleid mutwillig so zugerichtet wie dieses, was war denn aus ihr geworden? Wo war sie selbst? „Wieschen!" Sie rief sich leise beim eigenen Namen, aber sie kam nicht zurück wie sie gewesen war, stand nur da wie sie jetzt war. Mit roten Blumen zur eitlen Freude bekränzt, aber unrein in der Seele sah sie sich stehen. War es denn in Wahrheit zu spät, die geflochtenen Kränze abzureißen? Sie griff, weil ihr schwindelte, nach der Geranie in ihrem Fenster, faltete die Hände um den Blumentopf, und es war, als betete sie: „Gott, laß die roten Blumen weiß werden. . Der Florentin hielt Wort. Er nahm die Arbeit wieder auf, wo er sie vergessen und gelassen hatte, und sie gewöhnte ihm den Trunk so leicht und von selber ab, daß er nicht einmal darum mit sich zu kämpfen hatte. Es war in der Julizeit, wo das Korn zum Schnitte reif stand. Die Mäher zogen aus, und die Gesichter der Mädchen lachten aus den bunt¬ kattunenen Sommerhüten, wenn sie mit nackten Armen die Garben banden. Wieschen saß auf ihrem Nähstuhl, wie mit einem Zwirnsfaden angebunden, den durchzureißen sie noch zögerte oder zu schwach war. Sie dachte an die freieren Felder draußen, wo der Bauer im Knechtsdienst seiner Arbeit, aber als König in seinem kleinen Reiche ging. Sie sehnte sich nach dieser Arbeit und wußte, ihre schwachen Glieder würden darin erstarken. Auch der Florentin legte sein Roggenfeld nieder, und Wieschen hörte das surren seiner Sense und sah fremde Mädchen zu seiner Arbeit gedungen. Da hätte sie hinter ihm sein mögen, wie die Taube hinter dem Landmann, wenn er mit dem Pfluge neue Schollen über seinen Acker wirft. Sie wollte in seinem Felde die Garben binden und in der Sonne aufstellen, daß es reich aussehen sollte, wo der Florentin sein Korn geschnitten hatte! Und ihr blasses, schmales Gesicht würde rotbackig und voll werden unter dem bunten, geblümten Sommer¬ hut. Bei solchen Gedanken ließ sie die Hände in den Schoß sinken und mußte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/184>, abgerufen am 01.10.2024.