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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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für die Wandelbarst der Monroedoktrin unhaltbar ist. Vielmehr muß man
die Geschichte der Vereinigten Staaten während des ganzen neunzehnten Jahr¬
hunderts verfolgen, um zu sehen, wie die Monroedoktrin bewußt und planmäßig
entwickelt worden ist, solange entwickelt worden ist, bis von dem ursprüng¬
lichen Gedanken Monroes nichts mehr übrig blieb. Hier freilich kann nur auf
die Hauptpunkte dieser Entwicklung hingewiesen werden.

Schon der Präsident Pott baut durch seine Botschaft vom 2. Dezember 1845
die alte Monroedoktrin aus. Zwar schränkt er ihr Geltungsgebiet auf Nord¬
amerika ein, aber er erweitert sie stark, indem er statt der von Monroe beab¬
sichtigten Gegenintervention -- also erst wenn Europa mit einer Intervention
angefangen hätte -- eine Präventiv-Jntervention statuiert. Pott erachtet Ein¬
griffe in die Einzelstaaten Amerikas schon für zulässig, um einer Intervention
Europas zuvorzukommen. Wenige Jahre darauf ging er noch weiter, indem
er 1848 seine Erklärung vom Jahre 1845 auf ganz Amerika ausdehnt. Um einer
Intervention von Europa zuvorzukommen, greift er -- in der Aucatan-Affäre --
in die Selbständigkeit eines mittelamerikanischen Staates ein.

Während der kurzen Episode des Kaisertums Kaiser Maximilians von
Mexiko erfuhr die Monroedoktrin eine folgerichtige und korrekte Anwendung im
Sinne ihres Stifters. Die Vereinigten Staaten widersprachen der europäischen
Intervention von Frankreich, England, Spanien, weigerten sich, den Mächten sich
anzuschließen, und protestierten schließlich gegen die Errichtung einer Monarchie.
Die Stärkung, die die Monroedoktrin bei dieser Gelegenheit erführen hatte,
ermutigte den Präsidenten Grant, im Jahre 1870 sie weiter auszubauen. Aber
er griff nicht auf das Original zurück, sondern auf die Polksche Weiterbildung.
Sein Versuch, San Domingo im Zeichen der Monroedoktrin zu annektieren,
war allerdings gescheitert. Der Senat hatte sich seiner kühnen Beweisführung,
daß man die Monroedoktrin verletze, wenn man San Domingo nicht annektiere,
da man so bei den ungeordneten Zuständen eine Intervention europäischer Mächte
möglich mache, nicht angeschlossen. Immerhin aber war es ihm gelungen, das
Polksche System der Präventiv-Jntervention zum Nutzen der Vereinigten Staaten,
zum Schaden aller anderen Staaten Amerikas so auszubilden und zum Gemeingut
seiner Nation zu machen, daß jeder seiner Landsleute in der Grant-Polkschen
seine alte Monroedoktrin sah. In dem schnelllebigen Lande der unbegrenzten
Möglichkeiten war durch das common lew der Engländer -- das Gewohnheits¬
recht, das sich in vielhundertjährigen Gebrauch in England so oft bildet --
in fünfzig Jahren das unmöglich Scheinende möglich geworden: die alte Monroe¬
doktrin lebte in den Herzen der Amerikaner lebendig fort, ohne daß indes ein
Wort ihres alten Inhaltes in der nun verkündeten Lehre vorhanden war. So
geschickt war sie dem sich wandelnden Nationalcharakter der Amerikaner entsprechend
fortgebildet worden.

Nun, einmal verändert, wurde sie rücksichtslos angewandt, nicht nur gegen
Europa sondern ebenso gut gegen das übrige Amerika. Eine Gelegenheit zu


Amerika den Amerikanern l"

für die Wandelbarst der Monroedoktrin unhaltbar ist. Vielmehr muß man
die Geschichte der Vereinigten Staaten während des ganzen neunzehnten Jahr¬
hunderts verfolgen, um zu sehen, wie die Monroedoktrin bewußt und planmäßig
entwickelt worden ist, solange entwickelt worden ist, bis von dem ursprüng¬
lichen Gedanken Monroes nichts mehr übrig blieb. Hier freilich kann nur auf
die Hauptpunkte dieser Entwicklung hingewiesen werden.

Schon der Präsident Pott baut durch seine Botschaft vom 2. Dezember 1845
die alte Monroedoktrin aus. Zwar schränkt er ihr Geltungsgebiet auf Nord¬
amerika ein, aber er erweitert sie stark, indem er statt der von Monroe beab¬
sichtigten Gegenintervention — also erst wenn Europa mit einer Intervention
angefangen hätte — eine Präventiv-Jntervention statuiert. Pott erachtet Ein¬
griffe in die Einzelstaaten Amerikas schon für zulässig, um einer Intervention
Europas zuvorzukommen. Wenige Jahre darauf ging er noch weiter, indem
er 1848 seine Erklärung vom Jahre 1845 auf ganz Amerika ausdehnt. Um einer
Intervention von Europa zuvorzukommen, greift er — in der Aucatan-Affäre —
in die Selbständigkeit eines mittelamerikanischen Staates ein.

Während der kurzen Episode des Kaisertums Kaiser Maximilians von
Mexiko erfuhr die Monroedoktrin eine folgerichtige und korrekte Anwendung im
Sinne ihres Stifters. Die Vereinigten Staaten widersprachen der europäischen
Intervention von Frankreich, England, Spanien, weigerten sich, den Mächten sich
anzuschließen, und protestierten schließlich gegen die Errichtung einer Monarchie.
Die Stärkung, die die Monroedoktrin bei dieser Gelegenheit erführen hatte,
ermutigte den Präsidenten Grant, im Jahre 1870 sie weiter auszubauen. Aber
er griff nicht auf das Original zurück, sondern auf die Polksche Weiterbildung.
Sein Versuch, San Domingo im Zeichen der Monroedoktrin zu annektieren,
war allerdings gescheitert. Der Senat hatte sich seiner kühnen Beweisführung,
daß man die Monroedoktrin verletze, wenn man San Domingo nicht annektiere,
da man so bei den ungeordneten Zuständen eine Intervention europäischer Mächte
möglich mache, nicht angeschlossen. Immerhin aber war es ihm gelungen, das
Polksche System der Präventiv-Jntervention zum Nutzen der Vereinigten Staaten,
zum Schaden aller anderen Staaten Amerikas so auszubilden und zum Gemeingut
seiner Nation zu machen, daß jeder seiner Landsleute in der Grant-Polkschen
seine alte Monroedoktrin sah. In dem schnelllebigen Lande der unbegrenzten
Möglichkeiten war durch das common lew der Engländer — das Gewohnheits¬
recht, das sich in vielhundertjährigen Gebrauch in England so oft bildet —
in fünfzig Jahren das unmöglich Scheinende möglich geworden: die alte Monroe¬
doktrin lebte in den Herzen der Amerikaner lebendig fort, ohne daß indes ein
Wort ihres alten Inhaltes in der nun verkündeten Lehre vorhanden war. So
geschickt war sie dem sich wandelnden Nationalcharakter der Amerikaner entsprechend
fortgebildet worden.

Nun, einmal verändert, wurde sie rücksichtslos angewandt, nicht nur gegen
Europa sondern ebenso gut gegen das übrige Amerika. Eine Gelegenheit zu


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[0078] Amerika den Amerikanern l" für die Wandelbarst der Monroedoktrin unhaltbar ist. Vielmehr muß man die Geschichte der Vereinigten Staaten während des ganzen neunzehnten Jahr¬ hunderts verfolgen, um zu sehen, wie die Monroedoktrin bewußt und planmäßig entwickelt worden ist, solange entwickelt worden ist, bis von dem ursprüng¬ lichen Gedanken Monroes nichts mehr übrig blieb. Hier freilich kann nur auf die Hauptpunkte dieser Entwicklung hingewiesen werden. Schon der Präsident Pott baut durch seine Botschaft vom 2. Dezember 1845 die alte Monroedoktrin aus. Zwar schränkt er ihr Geltungsgebiet auf Nord¬ amerika ein, aber er erweitert sie stark, indem er statt der von Monroe beab¬ sichtigten Gegenintervention — also erst wenn Europa mit einer Intervention angefangen hätte — eine Präventiv-Jntervention statuiert. Pott erachtet Ein¬ griffe in die Einzelstaaten Amerikas schon für zulässig, um einer Intervention Europas zuvorzukommen. Wenige Jahre darauf ging er noch weiter, indem er 1848 seine Erklärung vom Jahre 1845 auf ganz Amerika ausdehnt. Um einer Intervention von Europa zuvorzukommen, greift er — in der Aucatan-Affäre — in die Selbständigkeit eines mittelamerikanischen Staates ein. Während der kurzen Episode des Kaisertums Kaiser Maximilians von Mexiko erfuhr die Monroedoktrin eine folgerichtige und korrekte Anwendung im Sinne ihres Stifters. Die Vereinigten Staaten widersprachen der europäischen Intervention von Frankreich, England, Spanien, weigerten sich, den Mächten sich anzuschließen, und protestierten schließlich gegen die Errichtung einer Monarchie. Die Stärkung, die die Monroedoktrin bei dieser Gelegenheit erführen hatte, ermutigte den Präsidenten Grant, im Jahre 1870 sie weiter auszubauen. Aber er griff nicht auf das Original zurück, sondern auf die Polksche Weiterbildung. Sein Versuch, San Domingo im Zeichen der Monroedoktrin zu annektieren, war allerdings gescheitert. Der Senat hatte sich seiner kühnen Beweisführung, daß man die Monroedoktrin verletze, wenn man San Domingo nicht annektiere, da man so bei den ungeordneten Zuständen eine Intervention europäischer Mächte möglich mache, nicht angeschlossen. Immerhin aber war es ihm gelungen, das Polksche System der Präventiv-Jntervention zum Nutzen der Vereinigten Staaten, zum Schaden aller anderen Staaten Amerikas so auszubilden und zum Gemeingut seiner Nation zu machen, daß jeder seiner Landsleute in der Grant-Polkschen seine alte Monroedoktrin sah. In dem schnelllebigen Lande der unbegrenzten Möglichkeiten war durch das common lew der Engländer — das Gewohnheits¬ recht, das sich in vielhundertjährigen Gebrauch in England so oft bildet — in fünfzig Jahren das unmöglich Scheinende möglich geworden: die alte Monroe¬ doktrin lebte in den Herzen der Amerikaner lebendig fort, ohne daß indes ein Wort ihres alten Inhaltes in der nun verkündeten Lehre vorhanden war. So geschickt war sie dem sich wandelnden Nationalcharakter der Amerikaner entsprechend fortgebildet worden. Nun, einmal verändert, wurde sie rücksichtslos angewandt, nicht nur gegen Europa sondern ebenso gut gegen das übrige Amerika. Eine Gelegenheit zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/78>, abgerufen am 22.07.2024.