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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

und Volk von diesem Ideal oft recht weit entfernt waren. Aber trotzdem
bedeutet solch Idealbild eine Macht, es wirkt auf Anschaumigen und Über¬
zeugungen, und an ihm werden Rechte und Pflichten gemessen.




Ein Zweites, was für das Verständnis des heutigen China von größter
Bedeutung' ist, sind die bewegenden und treibenden Kräfte der chinesischen
Geschichte.

Zwei Erscheinungen sind es, die immer wieder im Verlauf der chinesischen
Entwicklung die bestimmenden Mächte geworden sind:

1. der Gegensatz zwischen Nord- und Südchina -- und

2. das Hereindringen fremder Volksmassen in den chinesischen Kulturstaat,
den sie anfangs als Eroberer gewonnen haben, in dessen Kultur und Geist aber
alle barbarischen Eroberer schließlich eingeschmolzen wurden.

Der Gegensatz von Nord- und Südchina ist schon durch die Landesnatur
gegeben. Im Norden dehnen sich die unendlichen Flächen der Lößebene und
das Schwemmland der chinesischen Riesenstrome aus. Das Land ist gleich¬
förmig, eintönig und arm an Reizen: nur vereinzelte Hügel, hier und da ein
Baum, kaum je ein kleiner Wald. Das ist der Boden, ans dem der arbeitsame
nordchinesische Bauer die Grundlagen der Kultur Chinas geschaffen hat. Und
der Mensch ist hier wie das Land: der Nordchinese ist nüchtern, anspruchslos,
ohne höheren Schwung der Phantasie und des Gesühls, demütig und aber¬
gläubisch, zugleich ganz der praktisch gerichtete Arbeiter, der sich den menschlichen
Herren ebenso unbedingt unterwürfig fügt wie den Gewalten der Natur, die
seine Arbeit so oft zerstören.

Ganz anders der Südchinesc. Sein Land ist ein abwechslungsreiches, oft
romantisch schönes Alpengebiet, und die Bewohner sind phantasiebegabt, selbst¬
bewußt, stolz und ehrliebend, kriegerisch und vor allem, im Gegensatz zum
ruhigen Nordchinesen, politisch stets zum Umsturz bereit. Der zähe nordchinesische
Bauer erträgt in Geduld auch die ärgsten Mißstände und selbst Mißhandlungen,
während der Südchinese sofort auflodert und in seinem stolzen Mute zum
Schwerte greift. In der Geschichte Chinas ist dieser Gegensatz des passiven
Nordens und des aktiven Südens häufig zur Geltung gekommen, und so ist
es auch heute: die Revolution geht vom Süden aus und trägt in allem die
charakteristischen Merkmale des stürmischen, schnell fertigen südchinesischen Wesens.
Den Norden hat sie innerlich kaum berührt.

So kann man den Anteil des Nordens und des Südens an der Ent¬
wicklung Chinas dahin bestimmen, daß Nordchina die Kulturgrundlagen des
Reichs in der zähen Arbeit des Bauern geschaffen, und daß der Süden die
umgestaltenden, vorwärts treibenden, vor allem die geistig führenden Kräfte
geliefert hat.


Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

und Volk von diesem Ideal oft recht weit entfernt waren. Aber trotzdem
bedeutet solch Idealbild eine Macht, es wirkt auf Anschaumigen und Über¬
zeugungen, und an ihm werden Rechte und Pflichten gemessen.




Ein Zweites, was für das Verständnis des heutigen China von größter
Bedeutung' ist, sind die bewegenden und treibenden Kräfte der chinesischen
Geschichte.

Zwei Erscheinungen sind es, die immer wieder im Verlauf der chinesischen
Entwicklung die bestimmenden Mächte geworden sind:

1. der Gegensatz zwischen Nord- und Südchina — und

2. das Hereindringen fremder Volksmassen in den chinesischen Kulturstaat,
den sie anfangs als Eroberer gewonnen haben, in dessen Kultur und Geist aber
alle barbarischen Eroberer schließlich eingeschmolzen wurden.

Der Gegensatz von Nord- und Südchina ist schon durch die Landesnatur
gegeben. Im Norden dehnen sich die unendlichen Flächen der Lößebene und
das Schwemmland der chinesischen Riesenstrome aus. Das Land ist gleich¬
förmig, eintönig und arm an Reizen: nur vereinzelte Hügel, hier und da ein
Baum, kaum je ein kleiner Wald. Das ist der Boden, ans dem der arbeitsame
nordchinesische Bauer die Grundlagen der Kultur Chinas geschaffen hat. Und
der Mensch ist hier wie das Land: der Nordchinese ist nüchtern, anspruchslos,
ohne höheren Schwung der Phantasie und des Gesühls, demütig und aber¬
gläubisch, zugleich ganz der praktisch gerichtete Arbeiter, der sich den menschlichen
Herren ebenso unbedingt unterwürfig fügt wie den Gewalten der Natur, die
seine Arbeit so oft zerstören.

Ganz anders der Südchinesc. Sein Land ist ein abwechslungsreiches, oft
romantisch schönes Alpengebiet, und die Bewohner sind phantasiebegabt, selbst¬
bewußt, stolz und ehrliebend, kriegerisch und vor allem, im Gegensatz zum
ruhigen Nordchinesen, politisch stets zum Umsturz bereit. Der zähe nordchinesische
Bauer erträgt in Geduld auch die ärgsten Mißstände und selbst Mißhandlungen,
während der Südchinese sofort auflodert und in seinem stolzen Mute zum
Schwerte greift. In der Geschichte Chinas ist dieser Gegensatz des passiven
Nordens und des aktiven Südens häufig zur Geltung gekommen, und so ist
es auch heute: die Revolution geht vom Süden aus und trägt in allem die
charakteristischen Merkmale des stürmischen, schnell fertigen südchinesischen Wesens.
Den Norden hat sie innerlich kaum berührt.

So kann man den Anteil des Nordens und des Südens an der Ent¬
wicklung Chinas dahin bestimmen, daß Nordchina die Kulturgrundlagen des
Reichs in der zähen Arbeit des Bauern geschaffen, und daß der Süden die
umgestaltenden, vorwärts treibenden, vor allem die geistig führenden Kräfte
geliefert hat.


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[0635] Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution und Volk von diesem Ideal oft recht weit entfernt waren. Aber trotzdem bedeutet solch Idealbild eine Macht, es wirkt auf Anschaumigen und Über¬ zeugungen, und an ihm werden Rechte und Pflichten gemessen. Ein Zweites, was für das Verständnis des heutigen China von größter Bedeutung' ist, sind die bewegenden und treibenden Kräfte der chinesischen Geschichte. Zwei Erscheinungen sind es, die immer wieder im Verlauf der chinesischen Entwicklung die bestimmenden Mächte geworden sind: 1. der Gegensatz zwischen Nord- und Südchina — und 2. das Hereindringen fremder Volksmassen in den chinesischen Kulturstaat, den sie anfangs als Eroberer gewonnen haben, in dessen Kultur und Geist aber alle barbarischen Eroberer schließlich eingeschmolzen wurden. Der Gegensatz von Nord- und Südchina ist schon durch die Landesnatur gegeben. Im Norden dehnen sich die unendlichen Flächen der Lößebene und das Schwemmland der chinesischen Riesenstrome aus. Das Land ist gleich¬ förmig, eintönig und arm an Reizen: nur vereinzelte Hügel, hier und da ein Baum, kaum je ein kleiner Wald. Das ist der Boden, ans dem der arbeitsame nordchinesische Bauer die Grundlagen der Kultur Chinas geschaffen hat. Und der Mensch ist hier wie das Land: der Nordchinese ist nüchtern, anspruchslos, ohne höheren Schwung der Phantasie und des Gesühls, demütig und aber¬ gläubisch, zugleich ganz der praktisch gerichtete Arbeiter, der sich den menschlichen Herren ebenso unbedingt unterwürfig fügt wie den Gewalten der Natur, die seine Arbeit so oft zerstören. Ganz anders der Südchinesc. Sein Land ist ein abwechslungsreiches, oft romantisch schönes Alpengebiet, und die Bewohner sind phantasiebegabt, selbst¬ bewußt, stolz und ehrliebend, kriegerisch und vor allem, im Gegensatz zum ruhigen Nordchinesen, politisch stets zum Umsturz bereit. Der zähe nordchinesische Bauer erträgt in Geduld auch die ärgsten Mißstände und selbst Mißhandlungen, während der Südchinese sofort auflodert und in seinem stolzen Mute zum Schwerte greift. In der Geschichte Chinas ist dieser Gegensatz des passiven Nordens und des aktiven Südens häufig zur Geltung gekommen, und so ist es auch heute: die Revolution geht vom Süden aus und trägt in allem die charakteristischen Merkmale des stürmischen, schnell fertigen südchinesischen Wesens. Den Norden hat sie innerlich kaum berührt. So kann man den Anteil des Nordens und des Südens an der Ent¬ wicklung Chinas dahin bestimmen, daß Nordchina die Kulturgrundlagen des Reichs in der zähen Arbeit des Bauern geschaffen, und daß der Süden die umgestaltenden, vorwärts treibenden, vor allem die geistig führenden Kräfte geliefert hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/635>, abgerufen am 23.07.2024.