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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und Schweden

legere Gegner mit Hilfe von Minen, schwedischer und dänischer Torpedoboote
und der älteren deutschen Schlachtschiffe durchführen ließe, zeigt heute das Beispiel
der Dardanellen. -- Und schließlich: Deutschland wäre sicher davor, eines Tages
einem russischen Skandinavien, d. h. einer zum größten Teil russischen Ostsee¬
küste gegenüber zu stehen, und außerdem auch im nördlichen Atlantic künftig
mit den Flotten zweier Großmächte rechnen zu müssen, statt mit nur einer,
wie bisher.

Aber vielleicht bedeutete dieser Anschluß noch einen feinen geistigen und dabei
weiter reichenden Gewinn: Es ist ja gesagt worden, wie Schweden seine eigene
Geschichte gelebt hat; es ist eine Geschichte, die wesentlich denselben Gesetzen
folgt wie die des mittleren Europa, die aber ein langsameres Tempo hat, und
so stets hinter dieser um eine Spanne Zeit zurückgeblieben ist: als man den
heidnischen Upsalatempel verbrannte, gründete man in Deutschland den Dom
vonBamberg; die ersten Herrscher des Folkungergeschlechts, Zeitgenossen Rudolfs
von Habsburg, zeigen auffällige Ähnlichkeit mit den starken Gründern der
karolingischen Dynastie; der russische Krieg des Rokokokönigs Gustav des Dritten
erinnert seltsam an die Züge Kaiser Maximilians; die heutigen Zwistigkeiten
wegen der Landesverteidigung weisen Parallelen mit jenen Kämpfen auf, die
sich im jung-konstitutionellen Preußen an der Bismarck-Roonschen Heeresreform
entzündeten. So könnte man Schweden rückständig nennen, wenn man dies
Wort des schmähenden Nebensinnes entkleidet, den ihm unsere "fortschrittlich"
gerichtete Zeit angehängt hat, rückständig im Vergleiche zu uns, die wir im
Herzen Europas wohnen, in dem alle Ströme geistigen Geschehens sich kreuzen;
wir sind wohl mächtiger und erfahrener in den Händeln der Welt, aber auch
grüblerischer und zerrissener; das schwedische Volk wird in den nächsten Zeiten
so 'oll tatenlustiger, aufgesparter Jugendkraft sein, wie wir es waren, als
unsere neue Reichsgeschichte begann. Und deshalb ist die Meinung dieser Zeilen,
daß eine nähere Verbindung mit Schweden eine Blutauffrischung unserer
gesamten weltpolitischen Betätigung bedeuten könnte. Der Kreis unserer realen
Verantwortung würde erweitert sein, zugleich aber auch jener andere ideelle,
der vom Verwandtschaftsgefühl der germanischen Völker gebildet wird.

Die Form, in die sich das Bündnis Deutschlands mit Österreich-Ungarn
kleidet, scheint eine glückliche und vorbildliche zu sein; sie verbürgt jedem der
Verbündeten größtmögliche Handlungsfreiheit und bietet ihm doch stets ver"
läßlichen Rückhalt an der Treue des andern. Es läßt sich wohl mit Recht
behaupten, daß das Verhältnis der Habsburgischen Monarchie zum übrigen
Deutschland nie ein so gesundes, zweck- und sachgemäßes gewesen ist wie heute.
Es ist nicht einzusehen, warum sich das Bündnis in derselben Gestaltung nicht
auf Schweden ausdehnen lassen sollte. Jedenfalls soll hier keinem allzu engen
Anschluß, wie ihn Überspannung der deutschen Gesinnung fordert, das Wort
geredet werden. Die in sich selbst begründete Eigenart der Außenvölker ger¬
manischen Blutes, des schwedischen sowohl wie etwa des holländischen oder


Deutschland und Schweden

legere Gegner mit Hilfe von Minen, schwedischer und dänischer Torpedoboote
und der älteren deutschen Schlachtschiffe durchführen ließe, zeigt heute das Beispiel
der Dardanellen. — Und schließlich: Deutschland wäre sicher davor, eines Tages
einem russischen Skandinavien, d. h. einer zum größten Teil russischen Ostsee¬
küste gegenüber zu stehen, und außerdem auch im nördlichen Atlantic künftig
mit den Flotten zweier Großmächte rechnen zu müssen, statt mit nur einer,
wie bisher.

Aber vielleicht bedeutete dieser Anschluß noch einen feinen geistigen und dabei
weiter reichenden Gewinn: Es ist ja gesagt worden, wie Schweden seine eigene
Geschichte gelebt hat; es ist eine Geschichte, die wesentlich denselben Gesetzen
folgt wie die des mittleren Europa, die aber ein langsameres Tempo hat, und
so stets hinter dieser um eine Spanne Zeit zurückgeblieben ist: als man den
heidnischen Upsalatempel verbrannte, gründete man in Deutschland den Dom
vonBamberg; die ersten Herrscher des Folkungergeschlechts, Zeitgenossen Rudolfs
von Habsburg, zeigen auffällige Ähnlichkeit mit den starken Gründern der
karolingischen Dynastie; der russische Krieg des Rokokokönigs Gustav des Dritten
erinnert seltsam an die Züge Kaiser Maximilians; die heutigen Zwistigkeiten
wegen der Landesverteidigung weisen Parallelen mit jenen Kämpfen auf, die
sich im jung-konstitutionellen Preußen an der Bismarck-Roonschen Heeresreform
entzündeten. So könnte man Schweden rückständig nennen, wenn man dies
Wort des schmähenden Nebensinnes entkleidet, den ihm unsere „fortschrittlich"
gerichtete Zeit angehängt hat, rückständig im Vergleiche zu uns, die wir im
Herzen Europas wohnen, in dem alle Ströme geistigen Geschehens sich kreuzen;
wir sind wohl mächtiger und erfahrener in den Händeln der Welt, aber auch
grüblerischer und zerrissener; das schwedische Volk wird in den nächsten Zeiten
so 'oll tatenlustiger, aufgesparter Jugendkraft sein, wie wir es waren, als
unsere neue Reichsgeschichte begann. Und deshalb ist die Meinung dieser Zeilen,
daß eine nähere Verbindung mit Schweden eine Blutauffrischung unserer
gesamten weltpolitischen Betätigung bedeuten könnte. Der Kreis unserer realen
Verantwortung würde erweitert sein, zugleich aber auch jener andere ideelle,
der vom Verwandtschaftsgefühl der germanischen Völker gebildet wird.

Die Form, in die sich das Bündnis Deutschlands mit Österreich-Ungarn
kleidet, scheint eine glückliche und vorbildliche zu sein; sie verbürgt jedem der
Verbündeten größtmögliche Handlungsfreiheit und bietet ihm doch stets ver»
läßlichen Rückhalt an der Treue des andern. Es läßt sich wohl mit Recht
behaupten, daß das Verhältnis der Habsburgischen Monarchie zum übrigen
Deutschland nie ein so gesundes, zweck- und sachgemäßes gewesen ist wie heute.
Es ist nicht einzusehen, warum sich das Bündnis in derselben Gestaltung nicht
auf Schweden ausdehnen lassen sollte. Jedenfalls soll hier keinem allzu engen
Anschluß, wie ihn Überspannung der deutschen Gesinnung fordert, das Wort
geredet werden. Die in sich selbst begründete Eigenart der Außenvölker ger¬
manischen Blutes, des schwedischen sowohl wie etwa des holländischen oder


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/613>, abgerufen am 23.07.2024.