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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Titu Maiorescu

Was wir von den schweizerischen Kirchen lernen können, ist: mehr Mannig¬
faltigkeit, weniger Uniformität; Verlegung des Schwergewichts der Kirche in die
Einzelgemeinde; größere Verantwortlichkeit der Einzelgemeinde und weniger
Hineinregieren von der Zentralbehörde aus. Die synodalen Vertretungen der
Kirche müssen möglichst gestärkt werden und die Gemeinde muß zu dem Zwecke
ein gesundes Wahlrecht erhalten. Vor allem braucht die evangelische Kirche
Gewissensfreiheit und Wahrhaftigkeit. Der Schein, als sei seit dem sechzehnten
Jahrhundert nichts geändert, muß abgetan werden. Sofern der Aufsatz von
Erich Förster über "Religionsfreiheit und Kirchenreform", in Ur. 48, 49, 51 der
Grenzboten 1911, hierauf drnuzt, ist er zweifellos im Recht.

Im vorstehenden wollte ich zeigen: es gibt bereits Kirchen, in denen diese
dringenden Forderungen der Gegenwart durchgeführt sind. Nicht Anarchie ist
die Folge größerer Gewissensfreiheit, sondern ein reicheres volkstümlicheres
Kirchenwesen.




Titu Maiorescu
Das Bild eines rumänischen Staatsmannes Paul Lindenberg- von

n den Denkwürdigkeiten "Aus dem Leben König Karls von
Rumänien", die in knapper Umschreibung die eingehenden Tage¬
buchaufzeichnungen des Königs enthalten, findet sich unterm
25. Januar 1874 folgende Eintragung: "Maiorescu, Deputierter
und Professor an der Universität Jassn, wird in Audienz empfangen.
Ein Mann von großen Geistesgaben und deutscher Bildung, hat sich als Schrift¬
steller hervorgetan und ist das Haupt einer literarischen Schule, der sogenannten
neuen Richtung. Der Fürst spricht mit Maiorescu, der ihm für den vakanten
Posten des Kultusministers in Vorschlag gebracht worden ist, über Dinge des
öffentlichen Unterrichts, und ist überrascht durch seine geistige Gewandtheit und
die richtigen praktischen Anschauungen, die er an den Tag legt." Maiorescu.
der damals im vierunddreißigsten Lebensjahre stand und bald nach dem Empfange
den erwähnten Ministerposten erhielt, ist seit kurzem Chef der rumänischen
Regierung, durch das Vertrauen des Königs dazu berufen. Gelehrter, Depu¬
tierter, Minister, gelegentlich auch Tagesschriftsteller und mit besonderen diplo¬
matischen Missionen beauftragt, so spielte sich das reichangefüllte Leben des
heutigen rumänischen Ministerpräsidenten in buntem Wechsel ab. An Stürmen


Titu Maiorescu

Was wir von den schweizerischen Kirchen lernen können, ist: mehr Mannig¬
faltigkeit, weniger Uniformität; Verlegung des Schwergewichts der Kirche in die
Einzelgemeinde; größere Verantwortlichkeit der Einzelgemeinde und weniger
Hineinregieren von der Zentralbehörde aus. Die synodalen Vertretungen der
Kirche müssen möglichst gestärkt werden und die Gemeinde muß zu dem Zwecke
ein gesundes Wahlrecht erhalten. Vor allem braucht die evangelische Kirche
Gewissensfreiheit und Wahrhaftigkeit. Der Schein, als sei seit dem sechzehnten
Jahrhundert nichts geändert, muß abgetan werden. Sofern der Aufsatz von
Erich Förster über „Religionsfreiheit und Kirchenreform", in Ur. 48, 49, 51 der
Grenzboten 1911, hierauf drnuzt, ist er zweifellos im Recht.

Im vorstehenden wollte ich zeigen: es gibt bereits Kirchen, in denen diese
dringenden Forderungen der Gegenwart durchgeführt sind. Nicht Anarchie ist
die Folge größerer Gewissensfreiheit, sondern ein reicheres volkstümlicheres
Kirchenwesen.




Titu Maiorescu
Das Bild eines rumänischen Staatsmannes Paul Lindenberg- von

n den Denkwürdigkeiten „Aus dem Leben König Karls von
Rumänien", die in knapper Umschreibung die eingehenden Tage¬
buchaufzeichnungen des Königs enthalten, findet sich unterm
25. Januar 1874 folgende Eintragung: „Maiorescu, Deputierter
und Professor an der Universität Jassn, wird in Audienz empfangen.
Ein Mann von großen Geistesgaben und deutscher Bildung, hat sich als Schrift¬
steller hervorgetan und ist das Haupt einer literarischen Schule, der sogenannten
neuen Richtung. Der Fürst spricht mit Maiorescu, der ihm für den vakanten
Posten des Kultusministers in Vorschlag gebracht worden ist, über Dinge des
öffentlichen Unterrichts, und ist überrascht durch seine geistige Gewandtheit und
die richtigen praktischen Anschauungen, die er an den Tag legt." Maiorescu.
der damals im vierunddreißigsten Lebensjahre stand und bald nach dem Empfange
den erwähnten Ministerposten erhielt, ist seit kurzem Chef der rumänischen
Regierung, durch das Vertrauen des Königs dazu berufen. Gelehrter, Depu¬
tierter, Minister, gelegentlich auch Tagesschriftsteller und mit besonderen diplo¬
matischen Missionen beauftragt, so spielte sich das reichangefüllte Leben des
heutigen rumänischen Ministerpräsidenten in buntem Wechsel ab. An Stürmen


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[0575] Titu Maiorescu Was wir von den schweizerischen Kirchen lernen können, ist: mehr Mannig¬ faltigkeit, weniger Uniformität; Verlegung des Schwergewichts der Kirche in die Einzelgemeinde; größere Verantwortlichkeit der Einzelgemeinde und weniger Hineinregieren von der Zentralbehörde aus. Die synodalen Vertretungen der Kirche müssen möglichst gestärkt werden und die Gemeinde muß zu dem Zwecke ein gesundes Wahlrecht erhalten. Vor allem braucht die evangelische Kirche Gewissensfreiheit und Wahrhaftigkeit. Der Schein, als sei seit dem sechzehnten Jahrhundert nichts geändert, muß abgetan werden. Sofern der Aufsatz von Erich Förster über „Religionsfreiheit und Kirchenreform", in Ur. 48, 49, 51 der Grenzboten 1911, hierauf drnuzt, ist er zweifellos im Recht. Im vorstehenden wollte ich zeigen: es gibt bereits Kirchen, in denen diese dringenden Forderungen der Gegenwart durchgeführt sind. Nicht Anarchie ist die Folge größerer Gewissensfreiheit, sondern ein reicheres volkstümlicheres Kirchenwesen. Titu Maiorescu Das Bild eines rumänischen Staatsmannes Paul Lindenberg- von n den Denkwürdigkeiten „Aus dem Leben König Karls von Rumänien", die in knapper Umschreibung die eingehenden Tage¬ buchaufzeichnungen des Königs enthalten, findet sich unterm 25. Januar 1874 folgende Eintragung: „Maiorescu, Deputierter und Professor an der Universität Jassn, wird in Audienz empfangen. Ein Mann von großen Geistesgaben und deutscher Bildung, hat sich als Schrift¬ steller hervorgetan und ist das Haupt einer literarischen Schule, der sogenannten neuen Richtung. Der Fürst spricht mit Maiorescu, der ihm für den vakanten Posten des Kultusministers in Vorschlag gebracht worden ist, über Dinge des öffentlichen Unterrichts, und ist überrascht durch seine geistige Gewandtheit und die richtigen praktischen Anschauungen, die er an den Tag legt." Maiorescu. der damals im vierunddreißigsten Lebensjahre stand und bald nach dem Empfange den erwähnten Ministerposten erhielt, ist seit kurzem Chef der rumänischen Regierung, durch das Vertrauen des Königs dazu berufen. Gelehrter, Depu¬ tierter, Minister, gelegentlich auch Tagesschriftsteller und mit besonderen diplo¬ matischen Missionen beauftragt, so spielte sich das reichangefüllte Leben des heutigen rumänischen Ministerpräsidenten in buntem Wechsel ab. An Stürmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/575>, abgerufen am 22.07.2024.