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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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China, Rußland und Europa

dann diplomatische Weiterungen schließen, die, wie im Jahre 1881 und 1911
manchmal ein recht ernstes Gesicht annehmen und die Sicherheit des Weltfriedens
bedrohen können.

Der Bahnban Moskau--Peking hätte somit zunächst eine Verständigung
über die strittigen Grenzen gerade in jenen Gebieten zur Voraussetzung.

Doch setzen wir den Fall, daß über diese Fragen eine Einigung erzielt
wird. Dann bekämen jene Gebiete für beide Länder eine größere Bedeutung,
als wie sie sie heute haben können. Beiden Ländern würde die Möglichkeit
gegeben sein, an jenen Grenzen Menschenbollwerke zu errichten, westlich russische,
östlich chinesische, die eine neuerliche Verwischung der Grenzen unmöglich machten:
die wichtigste Grundlage für geordnete Rechtsverhältnisse, nämlich fest gefügte
Besitzverhältnisse könnte geschaffen werden.

Im übrigen treten für China bezüglich des Bahnbaus dieselben wirtschaftlichen
Gesichtspunkte in Kraft, wie für Nußland. Die Bahn ist die beste Basis für eine
systematische Kolonisation. Und wenn auch die Strecke durch die Wüste zunächst
noch unwirksam ist, so hat menschliche Energie es doch immer noch verstanden,
dem geizigen Boden Reichtümer zu entlocken, von deren Existenz man vorher
noch keine rechte Vorstellung hatte. Wer sich über die wirtschaftlichen Aussichten
der Gebiete südlich des Altai in der südlichen und inneren Mongolei unter¬
richten will, lese die entsprechenden Abschnitte in dem großen Werke des
Geographen Ferdinand Freiherrn von Nichthofen, das dieser über China ver¬
öffentlicht hat. Es ist bemerkenswert, daß dieser ausgezeichnete Kenner Chinas
gleichfalls die Notwendigkeit einer Bahnverbindung zwischen Europa und Ostasien
durch Mittelasten betont und dabei sich auch für die Rentabilität eines solchen
Unternehmens ausspricht.

Hier sei nur auf die Möglichkeit für China hingewiesen, einen mächtigen
Strom derjenigen Bevölkerungsteile, die gegenwärtig in die Mandschurei und
darüber hinaus nach Norden drängen, von dort abzulenken und zur Besiedelung
der von der Bahn Moskau--Peking durchschnittenen Gebiete zu verwenden.

Damit würde auf einem anderen Gebiete der russisch-chinesischen Beziehungen,
wo es gegenwärtig dauernd zu Streitigkeiten zwischen den beiden Mächten kommt,
eine Entlastung geschaffen. Wie schon eingangs erwähnt, drücken gegenwärtig
die chinesischen Einwanderer auf das Amurgebiet, das Nußland mit Recht zu
seinem rechtmäßig erworbenen und kolonisierten Besitztum rechnen darf. Hört
dieser Druck auf, so wird Nußland dort in Ruhe sein Kolonisationswerk vollenden
können, ohne dauernd mit den chinesischen Grenzgebietern in Konflikt zu geraten,
und manche Quelle des Mißtrauens auf beiden Seiten würde versiegen.




Sehen wir von den politischen Differenzpunkten zwischen Rußland und
China ab und betrachten wir jetzt die geplante Bahnstrecke lediglich von weltwirt¬
schaftlichen Gesichtspunkten, so fällt uns grell ins Auge, welch einen ungeheuren
Wandel in der Bedeutung Chinas und Rußlands auf dem Weltmarkte diese


China, Rußland und Europa

dann diplomatische Weiterungen schließen, die, wie im Jahre 1881 und 1911
manchmal ein recht ernstes Gesicht annehmen und die Sicherheit des Weltfriedens
bedrohen können.

Der Bahnban Moskau—Peking hätte somit zunächst eine Verständigung
über die strittigen Grenzen gerade in jenen Gebieten zur Voraussetzung.

Doch setzen wir den Fall, daß über diese Fragen eine Einigung erzielt
wird. Dann bekämen jene Gebiete für beide Länder eine größere Bedeutung,
als wie sie sie heute haben können. Beiden Ländern würde die Möglichkeit
gegeben sein, an jenen Grenzen Menschenbollwerke zu errichten, westlich russische,
östlich chinesische, die eine neuerliche Verwischung der Grenzen unmöglich machten:
die wichtigste Grundlage für geordnete Rechtsverhältnisse, nämlich fest gefügte
Besitzverhältnisse könnte geschaffen werden.

Im übrigen treten für China bezüglich des Bahnbaus dieselben wirtschaftlichen
Gesichtspunkte in Kraft, wie für Nußland. Die Bahn ist die beste Basis für eine
systematische Kolonisation. Und wenn auch die Strecke durch die Wüste zunächst
noch unwirksam ist, so hat menschliche Energie es doch immer noch verstanden,
dem geizigen Boden Reichtümer zu entlocken, von deren Existenz man vorher
noch keine rechte Vorstellung hatte. Wer sich über die wirtschaftlichen Aussichten
der Gebiete südlich des Altai in der südlichen und inneren Mongolei unter¬
richten will, lese die entsprechenden Abschnitte in dem großen Werke des
Geographen Ferdinand Freiherrn von Nichthofen, das dieser über China ver¬
öffentlicht hat. Es ist bemerkenswert, daß dieser ausgezeichnete Kenner Chinas
gleichfalls die Notwendigkeit einer Bahnverbindung zwischen Europa und Ostasien
durch Mittelasten betont und dabei sich auch für die Rentabilität eines solchen
Unternehmens ausspricht.

Hier sei nur auf die Möglichkeit für China hingewiesen, einen mächtigen
Strom derjenigen Bevölkerungsteile, die gegenwärtig in die Mandschurei und
darüber hinaus nach Norden drängen, von dort abzulenken und zur Besiedelung
der von der Bahn Moskau—Peking durchschnittenen Gebiete zu verwenden.

Damit würde auf einem anderen Gebiete der russisch-chinesischen Beziehungen,
wo es gegenwärtig dauernd zu Streitigkeiten zwischen den beiden Mächten kommt,
eine Entlastung geschaffen. Wie schon eingangs erwähnt, drücken gegenwärtig
die chinesischen Einwanderer auf das Amurgebiet, das Nußland mit Recht zu
seinem rechtmäßig erworbenen und kolonisierten Besitztum rechnen darf. Hört
dieser Druck auf, so wird Nußland dort in Ruhe sein Kolonisationswerk vollenden
können, ohne dauernd mit den chinesischen Grenzgebietern in Konflikt zu geraten,
und manche Quelle des Mißtrauens auf beiden Seiten würde versiegen.




Sehen wir von den politischen Differenzpunkten zwischen Rußland und
China ab und betrachten wir jetzt die geplante Bahnstrecke lediglich von weltwirt¬
schaftlichen Gesichtspunkten, so fällt uns grell ins Auge, welch einen ungeheuren
Wandel in der Bedeutung Chinas und Rußlands auf dem Weltmarkte diese


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[0472] China, Rußland und Europa dann diplomatische Weiterungen schließen, die, wie im Jahre 1881 und 1911 manchmal ein recht ernstes Gesicht annehmen und die Sicherheit des Weltfriedens bedrohen können. Der Bahnban Moskau—Peking hätte somit zunächst eine Verständigung über die strittigen Grenzen gerade in jenen Gebieten zur Voraussetzung. Doch setzen wir den Fall, daß über diese Fragen eine Einigung erzielt wird. Dann bekämen jene Gebiete für beide Länder eine größere Bedeutung, als wie sie sie heute haben können. Beiden Ländern würde die Möglichkeit gegeben sein, an jenen Grenzen Menschenbollwerke zu errichten, westlich russische, östlich chinesische, die eine neuerliche Verwischung der Grenzen unmöglich machten: die wichtigste Grundlage für geordnete Rechtsverhältnisse, nämlich fest gefügte Besitzverhältnisse könnte geschaffen werden. Im übrigen treten für China bezüglich des Bahnbaus dieselben wirtschaftlichen Gesichtspunkte in Kraft, wie für Nußland. Die Bahn ist die beste Basis für eine systematische Kolonisation. Und wenn auch die Strecke durch die Wüste zunächst noch unwirksam ist, so hat menschliche Energie es doch immer noch verstanden, dem geizigen Boden Reichtümer zu entlocken, von deren Existenz man vorher noch keine rechte Vorstellung hatte. Wer sich über die wirtschaftlichen Aussichten der Gebiete südlich des Altai in der südlichen und inneren Mongolei unter¬ richten will, lese die entsprechenden Abschnitte in dem großen Werke des Geographen Ferdinand Freiherrn von Nichthofen, das dieser über China ver¬ öffentlicht hat. Es ist bemerkenswert, daß dieser ausgezeichnete Kenner Chinas gleichfalls die Notwendigkeit einer Bahnverbindung zwischen Europa und Ostasien durch Mittelasten betont und dabei sich auch für die Rentabilität eines solchen Unternehmens ausspricht. Hier sei nur auf die Möglichkeit für China hingewiesen, einen mächtigen Strom derjenigen Bevölkerungsteile, die gegenwärtig in die Mandschurei und darüber hinaus nach Norden drängen, von dort abzulenken und zur Besiedelung der von der Bahn Moskau—Peking durchschnittenen Gebiete zu verwenden. Damit würde auf einem anderen Gebiete der russisch-chinesischen Beziehungen, wo es gegenwärtig dauernd zu Streitigkeiten zwischen den beiden Mächten kommt, eine Entlastung geschaffen. Wie schon eingangs erwähnt, drücken gegenwärtig die chinesischen Einwanderer auf das Amurgebiet, das Nußland mit Recht zu seinem rechtmäßig erworbenen und kolonisierten Besitztum rechnen darf. Hört dieser Druck auf, so wird Nußland dort in Ruhe sein Kolonisationswerk vollenden können, ohne dauernd mit den chinesischen Grenzgebietern in Konflikt zu geraten, und manche Quelle des Mißtrauens auf beiden Seiten würde versiegen. Sehen wir von den politischen Differenzpunkten zwischen Rußland und China ab und betrachten wir jetzt die geplante Bahnstrecke lediglich von weltwirt¬ schaftlichen Gesichtspunkten, so fällt uns grell ins Auge, welch einen ungeheuren Wandel in der Bedeutung Chinas und Rußlands auf dem Weltmarkte diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/472>, abgerufen am 25.08.2024.