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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Heine

biedern Seume*) folgend, der ungebunden, aber am wahrhaftigsten schildert.
Einige 20 Jahre nach ihn Jsle^ folgte ich in Sicilien seinen Schritten, und
hätte ich die Gabe gehabt zu schreiben, ich würde nur dasselbe haben sagen
können. Heine ist ein guter Botaniker, der versteht überall die Blumen zu
finden, wo anders nur die Sträucher oder Blätter sehen, daher erwarte ich
von seiner IZxcursion viel."

"Hambg. ^Postst. 19. 4.)

Haben Sie von Heine Nachricht? Er geht, wenn der 3^° Reisebilderband
fertig ist, nach Italien. Die Reisebilder sind sehr gut abgegangen. Kommt
der 3'° Theil bald, wovon ich aber noch kein Blatt ^crpt. habe, so unter¬
liegt es keinem Zweifel, daß die 2^° Aufl. in diesem Jahre noch nöthig wird."

Anfang August brach Heine endlich nach Italien auf, da nach dem Ein¬
gehen der "Neuen politischen Annalen" seine Anwesenheit in München nicht
mehr erforderlich war und obenein mancherlei MißHelligkeiten ihm den Aufenthalt
dort verleidet hatten.**) Am 28. September schreibt Campe unwillig:

"Von Heine habe ich seit letzter Ostermeße nichts erhalten; ich höre jedoch,
daß er in Genua gewesen; ob er dort längere Zeit blieb oder noch dort ist,
weiß ich nicht, da er sein beliebtes Schweigen consequent durchzuführen scheint
und selbst an seine Eltern, die letzt hier leben, nicht schrieb.

An den Zt°n Reisebilderband, den er seit IV2 Jahren mir schon fest versprach,
ist nicht zu denken. Käme dieser Theil, so würde der Rest von den beiden
früheren Theilen schnell vergriffen seyn; kömmt er nicht, so kann ich noch einige
Jahre mit dem Vorrath Höckern.

Der sonst so schlaue, Weltkluge, Heine besitzt in dieser Hinsicht nicht den
rechten Tact, um sich der Lesewelt mehr zu bemeistern, das ihm so leicht werden
würde; mögte er sich nur etwas deren Ansprüchen fügen. Das muß der
Autor, der Schauspieler, der Kaufmann u. Gastwirt etc., wenn er schnell das
Ziel erreichen will. Der Weg gegen den Strom ist mühevoll u. läßt oft
erlahmen, da der Muth früher wie die Kraft sinkt."

In Genua war Heine am 16. August eingetroffen, fünf Tage geblieben
und dann über Livorno nach Lucca gegangen, von wo aus er am 1. Oktober
in Florenz anlangte. Hier hielt sich der Dichter sieben Wochen auf. Campe
berichtet an: 20. Oktober an Immermann:

"Von Heine erhielt ich gestern einen Brief aus Florenz, wo er den
Machiavell u. die Mediz. Venus studiert. Briefe treffen ihn noch dort, die
gleich u. Po8tre8wilde an ihn dahin gehn."

Die medizeische Venus erwähnt der Dichter auch in einem Briefe an
Eduard von Schenk, und zwar in einer für ihn sehr bezeichnenden Weise:
"Es war aber doch nicht die uralte zusammengeflickte Göttin der Liebe, die




") "Spaziergang nach Syrakus" im Jahre 1802 von Joh. Gottfr. Seume. In Paestum
ist Heine nie gewesen, er gelangte nur bis Florenz.
**) S. Karpeles a. a. O. S. 114 ff. 126.
Heinrich Heine

biedern Seume*) folgend, der ungebunden, aber am wahrhaftigsten schildert.
Einige 20 Jahre nach ihn Jsle^ folgte ich in Sicilien seinen Schritten, und
hätte ich die Gabe gehabt zu schreiben, ich würde nur dasselbe haben sagen
können. Heine ist ein guter Botaniker, der versteht überall die Blumen zu
finden, wo anders nur die Sträucher oder Blätter sehen, daher erwarte ich
von seiner IZxcursion viel."

„Hambg. ^Postst. 19. 4.)

Haben Sie von Heine Nachricht? Er geht, wenn der 3^° Reisebilderband
fertig ist, nach Italien. Die Reisebilder sind sehr gut abgegangen. Kommt
der 3'° Theil bald, wovon ich aber noch kein Blatt ^crpt. habe, so unter¬
liegt es keinem Zweifel, daß die 2^° Aufl. in diesem Jahre noch nöthig wird."

Anfang August brach Heine endlich nach Italien auf, da nach dem Ein¬
gehen der „Neuen politischen Annalen" seine Anwesenheit in München nicht
mehr erforderlich war und obenein mancherlei MißHelligkeiten ihm den Aufenthalt
dort verleidet hatten.**) Am 28. September schreibt Campe unwillig:

„Von Heine habe ich seit letzter Ostermeße nichts erhalten; ich höre jedoch,
daß er in Genua gewesen; ob er dort längere Zeit blieb oder noch dort ist,
weiß ich nicht, da er sein beliebtes Schweigen consequent durchzuführen scheint
und selbst an seine Eltern, die letzt hier leben, nicht schrieb.

An den Zt°n Reisebilderband, den er seit IV2 Jahren mir schon fest versprach,
ist nicht zu denken. Käme dieser Theil, so würde der Rest von den beiden
früheren Theilen schnell vergriffen seyn; kömmt er nicht, so kann ich noch einige
Jahre mit dem Vorrath Höckern.

Der sonst so schlaue, Weltkluge, Heine besitzt in dieser Hinsicht nicht den
rechten Tact, um sich der Lesewelt mehr zu bemeistern, das ihm so leicht werden
würde; mögte er sich nur etwas deren Ansprüchen fügen. Das muß der
Autor, der Schauspieler, der Kaufmann u. Gastwirt etc., wenn er schnell das
Ziel erreichen will. Der Weg gegen den Strom ist mühevoll u. läßt oft
erlahmen, da der Muth früher wie die Kraft sinkt."

In Genua war Heine am 16. August eingetroffen, fünf Tage geblieben
und dann über Livorno nach Lucca gegangen, von wo aus er am 1. Oktober
in Florenz anlangte. Hier hielt sich der Dichter sieben Wochen auf. Campe
berichtet an: 20. Oktober an Immermann:

„Von Heine erhielt ich gestern einen Brief aus Florenz, wo er den
Machiavell u. die Mediz. Venus studiert. Briefe treffen ihn noch dort, die
gleich u. Po8tre8wilde an ihn dahin gehn."

Die medizeische Venus erwähnt der Dichter auch in einem Briefe an
Eduard von Schenk, und zwar in einer für ihn sehr bezeichnenden Weise:
„Es war aber doch nicht die uralte zusammengeflickte Göttin der Liebe, die




") „Spaziergang nach Syrakus" im Jahre 1802 von Joh. Gottfr. Seume. In Paestum
ist Heine nie gewesen, er gelangte nur bis Florenz.
**) S. Karpeles a. a. O. S. 114 ff. 126.
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[0439] Heinrich Heine biedern Seume*) folgend, der ungebunden, aber am wahrhaftigsten schildert. Einige 20 Jahre nach ihn Jsle^ folgte ich in Sicilien seinen Schritten, und hätte ich die Gabe gehabt zu schreiben, ich würde nur dasselbe haben sagen können. Heine ist ein guter Botaniker, der versteht überall die Blumen zu finden, wo anders nur die Sträucher oder Blätter sehen, daher erwarte ich von seiner IZxcursion viel." „Hambg. ^Postst. 19. 4.) Haben Sie von Heine Nachricht? Er geht, wenn der 3^° Reisebilderband fertig ist, nach Italien. Die Reisebilder sind sehr gut abgegangen. Kommt der 3'° Theil bald, wovon ich aber noch kein Blatt ^crpt. habe, so unter¬ liegt es keinem Zweifel, daß die 2^° Aufl. in diesem Jahre noch nöthig wird." Anfang August brach Heine endlich nach Italien auf, da nach dem Ein¬ gehen der „Neuen politischen Annalen" seine Anwesenheit in München nicht mehr erforderlich war und obenein mancherlei MißHelligkeiten ihm den Aufenthalt dort verleidet hatten.**) Am 28. September schreibt Campe unwillig: „Von Heine habe ich seit letzter Ostermeße nichts erhalten; ich höre jedoch, daß er in Genua gewesen; ob er dort längere Zeit blieb oder noch dort ist, weiß ich nicht, da er sein beliebtes Schweigen consequent durchzuführen scheint und selbst an seine Eltern, die letzt hier leben, nicht schrieb. An den Zt°n Reisebilderband, den er seit IV2 Jahren mir schon fest versprach, ist nicht zu denken. Käme dieser Theil, so würde der Rest von den beiden früheren Theilen schnell vergriffen seyn; kömmt er nicht, so kann ich noch einige Jahre mit dem Vorrath Höckern. Der sonst so schlaue, Weltkluge, Heine besitzt in dieser Hinsicht nicht den rechten Tact, um sich der Lesewelt mehr zu bemeistern, das ihm so leicht werden würde; mögte er sich nur etwas deren Ansprüchen fügen. Das muß der Autor, der Schauspieler, der Kaufmann u. Gastwirt etc., wenn er schnell das Ziel erreichen will. Der Weg gegen den Strom ist mühevoll u. läßt oft erlahmen, da der Muth früher wie die Kraft sinkt." In Genua war Heine am 16. August eingetroffen, fünf Tage geblieben und dann über Livorno nach Lucca gegangen, von wo aus er am 1. Oktober in Florenz anlangte. Hier hielt sich der Dichter sieben Wochen auf. Campe berichtet an: 20. Oktober an Immermann: „Von Heine erhielt ich gestern einen Brief aus Florenz, wo er den Machiavell u. die Mediz. Venus studiert. Briefe treffen ihn noch dort, die gleich u. Po8tre8wilde an ihn dahin gehn." Die medizeische Venus erwähnt der Dichter auch in einem Briefe an Eduard von Schenk, und zwar in einer für ihn sehr bezeichnenden Weise: „Es war aber doch nicht die uralte zusammengeflickte Göttin der Liebe, die ") „Spaziergang nach Syrakus" im Jahre 1802 von Joh. Gottfr. Seume. In Paestum ist Heine nie gewesen, er gelangte nur bis Florenz. **) S. Karpeles a. a. O. S. 114 ff. 126.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/439>, abgerufen am 23.07.2024.