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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Heine

"5. Okt. 27 Hambg.

Seit 14 Tagen ist Heine hier; er will nach Leipzig u. dort den 3^" Reise¬
bilderband schreiben. Das Verbot der Reisebilder am Rhein, was ich als
eine Munizipal Angelegenheit betrachte, da im übrigen Preußen alles bei^
alte^ blieb, hat ihn unbegreiflich gekitzelt und eitel gemacht; einse^ Erscheinung,
die mich aufrichtig betrübt. Dieser Kitzel wird ihn der Poesie entrücken u. der
Politik zuführen, wo mehr Ruhm zu erlangen ist, wenigstens mit weniger
Mühe. Was der 3^ Theil daher bringen wird, ist keine Frage: den Libera¬
lismus in Cannings Gestalt, England, die Radicale etc.")

Er hat es mir versprochen, an Sie zu schreiben. Mir sagt er, daß Cotta
sich ihm genähet und frei gestellt habe: zu verlangen, was er möge. Mit C.
mag ich nicht wetteifern, der in H. nur den Bonapartisten erkennt u. deswegen
liebt. -- Genug, Heine wird solcher Lockspeise nicht wiederstehen u. seine freie
Meinung behaupten können, die solchen Hebeln nicht gewachsen ist; so oft u. so
sehr er auch versichert nie von mir zu gehn. Was ich für H. und seine
Anerkennung that, wird nie ein Cotta thun. Der wirft ein^ Handvoll Gold
weg u. glaubt nun alles damit gethan zu haben, was man wünschen mag,
u. überläßt das Buch seinem Schicksal.

Ich bemerke das, damit es Sie nicht wundert, wenn unter einem Buche
von Heine gelegentlich eine andere Firma wie die meinige stände."

Am 1. Dezember konnte der Dichter Campe von München aus mitteilen,
daß er in der Tat in den Dienst Cottas getreten sei und bei den "Annalen"
und dem "Ausland" beschäftigt werde. Zugleich aber tröstete er: "Seien Sie
ohne Sorge, Campe, der dritte ,Reisebilder°°Band leidet nicht darunter, und
ihm sollen meine besten Stunden gehören."**)

Darauf bezieht sich Campe in seinen nächsten Briefen an Immermann:

"Hamb. 14. Januar 28.

Heine wird Ihnen aus München geschrieben haben. Mit seiner Stellung
ist er zufrieden und nun äußerst freundlich gegen mich; nie will er von mir
gehen u. was mehr. Er war kränklich und fürchtete sein Ende! Für den Fall
sollte ich seine Papiere haben. Wenn das Clima ihm lästig werden will, geht
er nach Italien. Ich habe 2 Jahre in diesem Lande zu Fuß herumgelaufen;
oft mit Heine darüber gesprochen u. den Wunsch dahin bei ihm belebt.
Unendlich würde es mich ergötzen, ihn dort zu sehen, mit seinem plastischen
Blick. Er würde uns Italien auf eine neue Weise eröffnen: des bin ich über¬
zeugt. Er giebt die polie. Annalen heraus und arbeitet am Auslande. Die
Stellung kann ihn nicht erfreuen; es ist also keinem Zweifel unterworfen, daß
er bald die Alpen überschreitet. Ich sehe ihn schon in Paestum dem alten




*) "Englische Fragmente" erschienen erst 1831 in den "Nachträgen zu den Reisebildern".
**) Daffis I, S. 321.
Heinrich Heine

„5. Okt. 27 Hambg.

Seit 14 Tagen ist Heine hier; er will nach Leipzig u. dort den 3^" Reise¬
bilderband schreiben. Das Verbot der Reisebilder am Rhein, was ich als
eine Munizipal Angelegenheit betrachte, da im übrigen Preußen alles bei^
alte^ blieb, hat ihn unbegreiflich gekitzelt und eitel gemacht; einse^ Erscheinung,
die mich aufrichtig betrübt. Dieser Kitzel wird ihn der Poesie entrücken u. der
Politik zuführen, wo mehr Ruhm zu erlangen ist, wenigstens mit weniger
Mühe. Was der 3^ Theil daher bringen wird, ist keine Frage: den Libera¬
lismus in Cannings Gestalt, England, die Radicale etc.")

Er hat es mir versprochen, an Sie zu schreiben. Mir sagt er, daß Cotta
sich ihm genähet und frei gestellt habe: zu verlangen, was er möge. Mit C.
mag ich nicht wetteifern, der in H. nur den Bonapartisten erkennt u. deswegen
liebt. — Genug, Heine wird solcher Lockspeise nicht wiederstehen u. seine freie
Meinung behaupten können, die solchen Hebeln nicht gewachsen ist; so oft u. so
sehr er auch versichert nie von mir zu gehn. Was ich für H. und seine
Anerkennung that, wird nie ein Cotta thun. Der wirft ein^ Handvoll Gold
weg u. glaubt nun alles damit gethan zu haben, was man wünschen mag,
u. überläßt das Buch seinem Schicksal.

Ich bemerke das, damit es Sie nicht wundert, wenn unter einem Buche
von Heine gelegentlich eine andere Firma wie die meinige stände."

Am 1. Dezember konnte der Dichter Campe von München aus mitteilen,
daß er in der Tat in den Dienst Cottas getreten sei und bei den „Annalen"
und dem „Ausland" beschäftigt werde. Zugleich aber tröstete er: „Seien Sie
ohne Sorge, Campe, der dritte ,Reisebilder°°Band leidet nicht darunter, und
ihm sollen meine besten Stunden gehören."**)

Darauf bezieht sich Campe in seinen nächsten Briefen an Immermann:

„Hamb. 14. Januar 28.

Heine wird Ihnen aus München geschrieben haben. Mit seiner Stellung
ist er zufrieden und nun äußerst freundlich gegen mich; nie will er von mir
gehen u. was mehr. Er war kränklich und fürchtete sein Ende! Für den Fall
sollte ich seine Papiere haben. Wenn das Clima ihm lästig werden will, geht
er nach Italien. Ich habe 2 Jahre in diesem Lande zu Fuß herumgelaufen;
oft mit Heine darüber gesprochen u. den Wunsch dahin bei ihm belebt.
Unendlich würde es mich ergötzen, ihn dort zu sehen, mit seinem plastischen
Blick. Er würde uns Italien auf eine neue Weise eröffnen: des bin ich über¬
zeugt. Er giebt die polie. Annalen heraus und arbeitet am Auslande. Die
Stellung kann ihn nicht erfreuen; es ist also keinem Zweifel unterworfen, daß
er bald die Alpen überschreitet. Ich sehe ihn schon in Paestum dem alten




*) „Englische Fragmente" erschienen erst 1831 in den „Nachträgen zu den Reisebildern".
**) Daffis I, S. 321.
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[0438] Heinrich Heine „5. Okt. 27 Hambg. Seit 14 Tagen ist Heine hier; er will nach Leipzig u. dort den 3^" Reise¬ bilderband schreiben. Das Verbot der Reisebilder am Rhein, was ich als eine Munizipal Angelegenheit betrachte, da im übrigen Preußen alles bei^ alte^ blieb, hat ihn unbegreiflich gekitzelt und eitel gemacht; einse^ Erscheinung, die mich aufrichtig betrübt. Dieser Kitzel wird ihn der Poesie entrücken u. der Politik zuführen, wo mehr Ruhm zu erlangen ist, wenigstens mit weniger Mühe. Was der 3^ Theil daher bringen wird, ist keine Frage: den Libera¬ lismus in Cannings Gestalt, England, die Radicale etc.") Er hat es mir versprochen, an Sie zu schreiben. Mir sagt er, daß Cotta sich ihm genähet und frei gestellt habe: zu verlangen, was er möge. Mit C. mag ich nicht wetteifern, der in H. nur den Bonapartisten erkennt u. deswegen liebt. — Genug, Heine wird solcher Lockspeise nicht wiederstehen u. seine freie Meinung behaupten können, die solchen Hebeln nicht gewachsen ist; so oft u. so sehr er auch versichert nie von mir zu gehn. Was ich für H. und seine Anerkennung that, wird nie ein Cotta thun. Der wirft ein^ Handvoll Gold weg u. glaubt nun alles damit gethan zu haben, was man wünschen mag, u. überläßt das Buch seinem Schicksal. Ich bemerke das, damit es Sie nicht wundert, wenn unter einem Buche von Heine gelegentlich eine andere Firma wie die meinige stände." Am 1. Dezember konnte der Dichter Campe von München aus mitteilen, daß er in der Tat in den Dienst Cottas getreten sei und bei den „Annalen" und dem „Ausland" beschäftigt werde. Zugleich aber tröstete er: „Seien Sie ohne Sorge, Campe, der dritte ,Reisebilder°°Band leidet nicht darunter, und ihm sollen meine besten Stunden gehören."**) Darauf bezieht sich Campe in seinen nächsten Briefen an Immermann: „Hamb. 14. Januar 28. Heine wird Ihnen aus München geschrieben haben. Mit seiner Stellung ist er zufrieden und nun äußerst freundlich gegen mich; nie will er von mir gehen u. was mehr. Er war kränklich und fürchtete sein Ende! Für den Fall sollte ich seine Papiere haben. Wenn das Clima ihm lästig werden will, geht er nach Italien. Ich habe 2 Jahre in diesem Lande zu Fuß herumgelaufen; oft mit Heine darüber gesprochen u. den Wunsch dahin bei ihm belebt. Unendlich würde es mich ergötzen, ihn dort zu sehen, mit seinem plastischen Blick. Er würde uns Italien auf eine neue Weise eröffnen: des bin ich über¬ zeugt. Er giebt die polie. Annalen heraus und arbeitet am Auslande. Die Stellung kann ihn nicht erfreuen; es ist also keinem Zweifel unterworfen, daß er bald die Alpen überschreitet. Ich sehe ihn schon in Paestum dem alten *) „Englische Fragmente" erschienen erst 1831 in den „Nachträgen zu den Reisebildern". **) Daffis I, S. 321.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/438>, abgerufen am 23.07.2024.