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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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europäischen Rechtes und des europäischen Konzerts", sondern auch indem man
sich verpflichtete, die Unabhängigkeit und den Territorialbestand des Ottomanischen
Reiches zu achten, die genaue Beachtung dieser Verpflichtung zu garantieren,
dergestalt, daß jeder Akt, welcher dem entgegen wäre, als eine Frage des all¬
gemeinen Interesses angesehen werden sollte. (Art. 7.) Das Schwarze Meer
wurde neutralisiert. Der Handelsmarine aller Nationen geöffnet, sollten seine
Gewässer und Häfen förmlich und auf ewig den Kriegsflaggen der Uferstaaten
sowohl als aller anderen Mächte, vorbehaltlich geringer Ausnahmen, untersagt
sein. (Art. 11.) Diese Ausnahmen regelte eine Zusatzkonvention, auf die Art. 14
hinwies, in der Rußland wie die Türkei vereinbarten, nicht mehr als eine
bestimmte Anzahl kleiner Fahrzeuge unter Kriegsflagge auf dem Schwarzen
Meere zu unterhalten. Mit Rücksicht auf die Neutralisierung wurde die Auf¬
rechterhaltung oder Errichtung von militärisch - maritimen Arsenälen in diesem
Ufergebiet für unnötig und zwecklos erklärt, und Rußland und die Türkei
verpflichteten sich, kein derartiges Arsenal am Ufer des Schwarzen Meeres zu
errichten oder zu behalten. (Art. 13.) -- Hinsichtlich der Dardanellen wurde
im Art. 10 gesagt, daß der Vertrag vom 13. Juli 1841 gemeinschaftlich revidiert
worden sei; im übrigen wurde auf eine weitere Zusatzkonvention hingewiesen,
die ausführt: Der Sultan einerseits, erklärt, daß er des festen Willens ist, in
Zukunft das als alte Regel seines Reiches unwandelbar festgestellte Prinzip,
nach dem es zu allen Zeiten den Kriegsschiffen der fremden Mächte untersagt
war, in die Meerenge der Dardanellen und des Bosporus einzulaufen, aufrecht
zu erhalten, und daß er, so lange sich die Pforte im Frieden befindet, kein
fremdes Kriegsschiff in die genannten Meerengen einlassen wird. Anderseits
verpflichteten sich die übrigen Signatarmächte, diese Willensbestimmung des
Sultans zu achten und sich das aufgestellte Prinzip zur Richtschnur zunehmen.
(Art. 1.) Wie in früherer Zeit behält sich der Sultan vor, denjenigen leichten
Fahrzeugen unter Kriegsflagge Passage - Firmane zu erteilen, welche, der
Gewohnheit gemäß, im Dienst der Gesandtschaften der befreundeten Mächte ver¬
wendet werden sollen. (Art. 2.)

Rußland war mit diesem Vertrage, insbesondere im Hinblick auf die
Neutralisierung des Schwarzen Meeres, wenig zufrieden; es sah in ihm ein
Instrument, das seine Interessen auf das schwerste gefährdete. Es suchte daher
nach Anlässen, die ihm ermöglichten, die ihm auferlegten Fesseln abzuschütteln.
Verletzungen des Pariser Vertrages in Rumänien und die Änderungen in den
politischen Verhältnissen Europas, die das Jahr 1870 mit sich brachte, boten
sie ihm. Am 31. Oktober 1870 teilte es den Mächten mit, daß es sich an die
Bestimmungen des Vertrages über die Neutralisierung des Schwarzen Meeres
nicht mehr gebunden erachte. Die Folge dieser einseitigen Kündigung war die
Einberufung einer Konferenz nach London, "in der man sich im Sinne der
Eintracht über die Revision derjenigen Bestimmungen des am 30. März 1856
abgeschlossenen Vertrages verständigen (wollte)', welche sich auf die Schiffahrt


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europäischen Rechtes und des europäischen Konzerts", sondern auch indem man
sich verpflichtete, die Unabhängigkeit und den Territorialbestand des Ottomanischen
Reiches zu achten, die genaue Beachtung dieser Verpflichtung zu garantieren,
dergestalt, daß jeder Akt, welcher dem entgegen wäre, als eine Frage des all¬
gemeinen Interesses angesehen werden sollte. (Art. 7.) Das Schwarze Meer
wurde neutralisiert. Der Handelsmarine aller Nationen geöffnet, sollten seine
Gewässer und Häfen förmlich und auf ewig den Kriegsflaggen der Uferstaaten
sowohl als aller anderen Mächte, vorbehaltlich geringer Ausnahmen, untersagt
sein. (Art. 11.) Diese Ausnahmen regelte eine Zusatzkonvention, auf die Art. 14
hinwies, in der Rußland wie die Türkei vereinbarten, nicht mehr als eine
bestimmte Anzahl kleiner Fahrzeuge unter Kriegsflagge auf dem Schwarzen
Meere zu unterhalten. Mit Rücksicht auf die Neutralisierung wurde die Auf¬
rechterhaltung oder Errichtung von militärisch - maritimen Arsenälen in diesem
Ufergebiet für unnötig und zwecklos erklärt, und Rußland und die Türkei
verpflichteten sich, kein derartiges Arsenal am Ufer des Schwarzen Meeres zu
errichten oder zu behalten. (Art. 13.) — Hinsichtlich der Dardanellen wurde
im Art. 10 gesagt, daß der Vertrag vom 13. Juli 1841 gemeinschaftlich revidiert
worden sei; im übrigen wurde auf eine weitere Zusatzkonvention hingewiesen,
die ausführt: Der Sultan einerseits, erklärt, daß er des festen Willens ist, in
Zukunft das als alte Regel seines Reiches unwandelbar festgestellte Prinzip,
nach dem es zu allen Zeiten den Kriegsschiffen der fremden Mächte untersagt
war, in die Meerenge der Dardanellen und des Bosporus einzulaufen, aufrecht
zu erhalten, und daß er, so lange sich die Pforte im Frieden befindet, kein
fremdes Kriegsschiff in die genannten Meerengen einlassen wird. Anderseits
verpflichteten sich die übrigen Signatarmächte, diese Willensbestimmung des
Sultans zu achten und sich das aufgestellte Prinzip zur Richtschnur zunehmen.
(Art. 1.) Wie in früherer Zeit behält sich der Sultan vor, denjenigen leichten
Fahrzeugen unter Kriegsflagge Passage - Firmane zu erteilen, welche, der
Gewohnheit gemäß, im Dienst der Gesandtschaften der befreundeten Mächte ver¬
wendet werden sollen. (Art. 2.)

Rußland war mit diesem Vertrage, insbesondere im Hinblick auf die
Neutralisierung des Schwarzen Meeres, wenig zufrieden; es sah in ihm ein
Instrument, das seine Interessen auf das schwerste gefährdete. Es suchte daher
nach Anlässen, die ihm ermöglichten, die ihm auferlegten Fesseln abzuschütteln.
Verletzungen des Pariser Vertrages in Rumänien und die Änderungen in den
politischen Verhältnissen Europas, die das Jahr 1870 mit sich brachte, boten
sie ihm. Am 31. Oktober 1870 teilte es den Mächten mit, daß es sich an die
Bestimmungen des Vertrages über die Neutralisierung des Schwarzen Meeres
nicht mehr gebunden erachte. Die Folge dieser einseitigen Kündigung war die
Einberufung einer Konferenz nach London, „in der man sich im Sinne der
Eintracht über die Revision derjenigen Bestimmungen des am 30. März 1856
abgeschlossenen Vertrages verständigen (wollte)', welche sich auf die Schiffahrt


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[0429] Kur Dardcmellcnfrage europäischen Rechtes und des europäischen Konzerts", sondern auch indem man sich verpflichtete, die Unabhängigkeit und den Territorialbestand des Ottomanischen Reiches zu achten, die genaue Beachtung dieser Verpflichtung zu garantieren, dergestalt, daß jeder Akt, welcher dem entgegen wäre, als eine Frage des all¬ gemeinen Interesses angesehen werden sollte. (Art. 7.) Das Schwarze Meer wurde neutralisiert. Der Handelsmarine aller Nationen geöffnet, sollten seine Gewässer und Häfen förmlich und auf ewig den Kriegsflaggen der Uferstaaten sowohl als aller anderen Mächte, vorbehaltlich geringer Ausnahmen, untersagt sein. (Art. 11.) Diese Ausnahmen regelte eine Zusatzkonvention, auf die Art. 14 hinwies, in der Rußland wie die Türkei vereinbarten, nicht mehr als eine bestimmte Anzahl kleiner Fahrzeuge unter Kriegsflagge auf dem Schwarzen Meere zu unterhalten. Mit Rücksicht auf die Neutralisierung wurde die Auf¬ rechterhaltung oder Errichtung von militärisch - maritimen Arsenälen in diesem Ufergebiet für unnötig und zwecklos erklärt, und Rußland und die Türkei verpflichteten sich, kein derartiges Arsenal am Ufer des Schwarzen Meeres zu errichten oder zu behalten. (Art. 13.) — Hinsichtlich der Dardanellen wurde im Art. 10 gesagt, daß der Vertrag vom 13. Juli 1841 gemeinschaftlich revidiert worden sei; im übrigen wurde auf eine weitere Zusatzkonvention hingewiesen, die ausführt: Der Sultan einerseits, erklärt, daß er des festen Willens ist, in Zukunft das als alte Regel seines Reiches unwandelbar festgestellte Prinzip, nach dem es zu allen Zeiten den Kriegsschiffen der fremden Mächte untersagt war, in die Meerenge der Dardanellen und des Bosporus einzulaufen, aufrecht zu erhalten, und daß er, so lange sich die Pforte im Frieden befindet, kein fremdes Kriegsschiff in die genannten Meerengen einlassen wird. Anderseits verpflichteten sich die übrigen Signatarmächte, diese Willensbestimmung des Sultans zu achten und sich das aufgestellte Prinzip zur Richtschnur zunehmen. (Art. 1.) Wie in früherer Zeit behält sich der Sultan vor, denjenigen leichten Fahrzeugen unter Kriegsflagge Passage - Firmane zu erteilen, welche, der Gewohnheit gemäß, im Dienst der Gesandtschaften der befreundeten Mächte ver¬ wendet werden sollen. (Art. 2.) Rußland war mit diesem Vertrage, insbesondere im Hinblick auf die Neutralisierung des Schwarzen Meeres, wenig zufrieden; es sah in ihm ein Instrument, das seine Interessen auf das schwerste gefährdete. Es suchte daher nach Anlässen, die ihm ermöglichten, die ihm auferlegten Fesseln abzuschütteln. Verletzungen des Pariser Vertrages in Rumänien und die Änderungen in den politischen Verhältnissen Europas, die das Jahr 1870 mit sich brachte, boten sie ihm. Am 31. Oktober 1870 teilte es den Mächten mit, daß es sich an die Bestimmungen des Vertrages über die Neutralisierung des Schwarzen Meeres nicht mehr gebunden erachte. Die Folge dieser einseitigen Kündigung war die Einberufung einer Konferenz nach London, „in der man sich im Sinne der Eintracht über die Revision derjenigen Bestimmungen des am 30. März 1856 abgeschlossenen Vertrages verständigen (wollte)', welche sich auf die Schiffahrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/429>, abgerufen am 23.07.2024.