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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zur Dardanellenfrage

ließ sich jedoch folgendes zusichern: "Anderseits wird die Hohe Pforte an Stelle
der Hilfe, welche sie erforderlichen Falles den Prinzipien dieses Vertrages gemäß
zu leisten hätte, ihre Wirksamkeit zugunsten des Kaiserlichen Hofes darauf
beschränken, die Meerenge der Dardanellen zu schließen, d. h. den fremden Kriegs¬
schiffen unter keinerlei Vorwand die Einfahrt in sie zu gestatten." Durch diesen
Vertrag hatte sich der Sultan, wie Metterrnch es sehr zutreffend ausdrückte,
zum ,,8ub!ime portier as3 varäaneIlL8 an 8ervice an L?ar" gemacht. Es
war selbstverständlich, daß dieser Vertrag, in dem Rußland sich unter Aus¬
beutung der Notlage der Türkei Rechte zugestehen ließ, die ihm auf Kosten des
Einflusses der übrigen Mächte auf die orientalische Frage eine gefahrdrohende
Macht in die Hände gaben und die mit den politischen Prinzipien Europas
nicht in Einklang zu bringen waren, auf den entschiedenen Widerspruch der
westlichen Mächte stieß. Trotzdem bestand er fort, bis das Jahr 1838, das
einen neuen siegreichen Aufstand Mehemed Alis brachte, zu einer anderen
Gruppierung der Mächte führte. Dieses Mal fand Frankreich es geraten,
Mehemed Ali, aus dessen Genie es baute, in weitestgehender Weise zu unter¬
stützen, um vielleicht auf diese Art die Vorherrschaft im Mittelmeer zu erlangen
und damit das Wort des Korsen zu verwirklichen, daß das Mittelmeer ein
französischer See sein müsse. Ein europäischer Krieg schien unausbleiblich, wenn
es nicht gelang, dem Vorgehen Ägypten-Frankreichs Einhalt zu tun. Rußland
befand sich in eigentümlicher Lage. An und für sich hatte es zwar das lebhafteste
Interesse an einer Schwächung der Türkei und an einer entsprechenden Stär¬
kung des eigenen Einflusses in Konstantinopel. Nicht aber konnte es zugeben,
daß die Türkei einem Manne wie dem ägyptischen Vizekönig in die Hände fiel.
Daß es geschehen könne, darauf deuteten alle Zeichen. Die Westmächte, ins¬
besondere England, Österreich und Preußen, hatten hingegen keinerlei Interesse
an einer weiteren Schwächung der Macht des Sultans, die, wie die Dinge
lagen, nur zum Vorteil Rußlands ausschlagen konnte. Einig waren sie jedoch
mit Rußland, daß die herrschende Dynastie zu schützen sei. Österreich machte
daher im Januar 1840 den Vorschlag, eine internationale Konferenz einzuberufen.
Dieser Vorschlag fand die Zustimmung Englands, Preußens sowie Rußlands
und führte in seinem weiteren Verlauf zu der Ouadrupelallianz vom 15. Juli
1840. Nach weiteren hier nicht interessierenden Vorgängen kam der türkisch-
ägyptische Friede (Anfang 1841) zustande, dem der in London abgeschlossene
sogenannte "Dardanellenvertrag" vom 13. Juli 1841 folgte. In Artikel 1
dieser "Lonvention ac8 äötroit8" sprach der Sultan seine Absicht aus, "in
Zukunft das unabänderliche Prinzip, daß der Bosporus und die Dardanellen¬
straße den Kriegsschiffen aller Länder verschlossen bleiben sollen, als einen uralten
Grundsatz seines Reiches in Ausführung zu bringen"; in Artikel 2 wurden
besondere Bestimmungen über die zum Dienst der Gesandten bestimmten leichten
Fahrzeuge unter Kriegsflagge getroffen. "Das Gesamtergebnis war, daß statt
des russischen Einflusses der gesamte europäische entscheidend wurde für die


Zur Dardanellenfrage

ließ sich jedoch folgendes zusichern: „Anderseits wird die Hohe Pforte an Stelle
der Hilfe, welche sie erforderlichen Falles den Prinzipien dieses Vertrages gemäß
zu leisten hätte, ihre Wirksamkeit zugunsten des Kaiserlichen Hofes darauf
beschränken, die Meerenge der Dardanellen zu schließen, d. h. den fremden Kriegs¬
schiffen unter keinerlei Vorwand die Einfahrt in sie zu gestatten." Durch diesen
Vertrag hatte sich der Sultan, wie Metterrnch es sehr zutreffend ausdrückte,
zum ,,8ub!ime portier as3 varäaneIlL8 an 8ervice an L?ar" gemacht. Es
war selbstverständlich, daß dieser Vertrag, in dem Rußland sich unter Aus¬
beutung der Notlage der Türkei Rechte zugestehen ließ, die ihm auf Kosten des
Einflusses der übrigen Mächte auf die orientalische Frage eine gefahrdrohende
Macht in die Hände gaben und die mit den politischen Prinzipien Europas
nicht in Einklang zu bringen waren, auf den entschiedenen Widerspruch der
westlichen Mächte stieß. Trotzdem bestand er fort, bis das Jahr 1838, das
einen neuen siegreichen Aufstand Mehemed Alis brachte, zu einer anderen
Gruppierung der Mächte führte. Dieses Mal fand Frankreich es geraten,
Mehemed Ali, aus dessen Genie es baute, in weitestgehender Weise zu unter¬
stützen, um vielleicht auf diese Art die Vorherrschaft im Mittelmeer zu erlangen
und damit das Wort des Korsen zu verwirklichen, daß das Mittelmeer ein
französischer See sein müsse. Ein europäischer Krieg schien unausbleiblich, wenn
es nicht gelang, dem Vorgehen Ägypten-Frankreichs Einhalt zu tun. Rußland
befand sich in eigentümlicher Lage. An und für sich hatte es zwar das lebhafteste
Interesse an einer Schwächung der Türkei und an einer entsprechenden Stär¬
kung des eigenen Einflusses in Konstantinopel. Nicht aber konnte es zugeben,
daß die Türkei einem Manne wie dem ägyptischen Vizekönig in die Hände fiel.
Daß es geschehen könne, darauf deuteten alle Zeichen. Die Westmächte, ins¬
besondere England, Österreich und Preußen, hatten hingegen keinerlei Interesse
an einer weiteren Schwächung der Macht des Sultans, die, wie die Dinge
lagen, nur zum Vorteil Rußlands ausschlagen konnte. Einig waren sie jedoch
mit Rußland, daß die herrschende Dynastie zu schützen sei. Österreich machte
daher im Januar 1840 den Vorschlag, eine internationale Konferenz einzuberufen.
Dieser Vorschlag fand die Zustimmung Englands, Preußens sowie Rußlands
und führte in seinem weiteren Verlauf zu der Ouadrupelallianz vom 15. Juli
1840. Nach weiteren hier nicht interessierenden Vorgängen kam der türkisch-
ägyptische Friede (Anfang 1841) zustande, dem der in London abgeschlossene
sogenannte „Dardanellenvertrag" vom 13. Juli 1841 folgte. In Artikel 1
dieser „Lonvention ac8 äötroit8" sprach der Sultan seine Absicht aus, „in
Zukunft das unabänderliche Prinzip, daß der Bosporus und die Dardanellen¬
straße den Kriegsschiffen aller Länder verschlossen bleiben sollen, als einen uralten
Grundsatz seines Reiches in Ausführung zu bringen"; in Artikel 2 wurden
besondere Bestimmungen über die zum Dienst der Gesandten bestimmten leichten
Fahrzeuge unter Kriegsflagge getroffen. „Das Gesamtergebnis war, daß statt
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[0427] Zur Dardanellenfrage ließ sich jedoch folgendes zusichern: „Anderseits wird die Hohe Pforte an Stelle der Hilfe, welche sie erforderlichen Falles den Prinzipien dieses Vertrages gemäß zu leisten hätte, ihre Wirksamkeit zugunsten des Kaiserlichen Hofes darauf beschränken, die Meerenge der Dardanellen zu schließen, d. h. den fremden Kriegs¬ schiffen unter keinerlei Vorwand die Einfahrt in sie zu gestatten." Durch diesen Vertrag hatte sich der Sultan, wie Metterrnch es sehr zutreffend ausdrückte, zum ,,8ub!ime portier as3 varäaneIlL8 an 8ervice an L?ar" gemacht. Es war selbstverständlich, daß dieser Vertrag, in dem Rußland sich unter Aus¬ beutung der Notlage der Türkei Rechte zugestehen ließ, die ihm auf Kosten des Einflusses der übrigen Mächte auf die orientalische Frage eine gefahrdrohende Macht in die Hände gaben und die mit den politischen Prinzipien Europas nicht in Einklang zu bringen waren, auf den entschiedenen Widerspruch der westlichen Mächte stieß. Trotzdem bestand er fort, bis das Jahr 1838, das einen neuen siegreichen Aufstand Mehemed Alis brachte, zu einer anderen Gruppierung der Mächte führte. Dieses Mal fand Frankreich es geraten, Mehemed Ali, aus dessen Genie es baute, in weitestgehender Weise zu unter¬ stützen, um vielleicht auf diese Art die Vorherrschaft im Mittelmeer zu erlangen und damit das Wort des Korsen zu verwirklichen, daß das Mittelmeer ein französischer See sein müsse. Ein europäischer Krieg schien unausbleiblich, wenn es nicht gelang, dem Vorgehen Ägypten-Frankreichs Einhalt zu tun. Rußland befand sich in eigentümlicher Lage. An und für sich hatte es zwar das lebhafteste Interesse an einer Schwächung der Türkei und an einer entsprechenden Stär¬ kung des eigenen Einflusses in Konstantinopel. Nicht aber konnte es zugeben, daß die Türkei einem Manne wie dem ägyptischen Vizekönig in die Hände fiel. Daß es geschehen könne, darauf deuteten alle Zeichen. Die Westmächte, ins¬ besondere England, Österreich und Preußen, hatten hingegen keinerlei Interesse an einer weiteren Schwächung der Macht des Sultans, die, wie die Dinge lagen, nur zum Vorteil Rußlands ausschlagen konnte. Einig waren sie jedoch mit Rußland, daß die herrschende Dynastie zu schützen sei. Österreich machte daher im Januar 1840 den Vorschlag, eine internationale Konferenz einzuberufen. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung Englands, Preußens sowie Rußlands und führte in seinem weiteren Verlauf zu der Ouadrupelallianz vom 15. Juli 1840. Nach weiteren hier nicht interessierenden Vorgängen kam der türkisch- ägyptische Friede (Anfang 1841) zustande, dem der in London abgeschlossene sogenannte „Dardanellenvertrag" vom 13. Juli 1841 folgte. In Artikel 1 dieser „Lonvention ac8 äötroit8" sprach der Sultan seine Absicht aus, „in Zukunft das unabänderliche Prinzip, daß der Bosporus und die Dardanellen¬ straße den Kriegsschiffen aller Länder verschlossen bleiben sollen, als einen uralten Grundsatz seines Reiches in Ausführung zu bringen"; in Artikel 2 wurden besondere Bestimmungen über die zum Dienst der Gesandten bestimmten leichten Fahrzeuge unter Kriegsflagge getroffen. „Das Gesamtergebnis war, daß statt des russischen Einflusses der gesamte europäische entscheidend wurde für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/427>, abgerufen am 23.07.2024.