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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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August Strindberg

süßherben Duft eine Kindheitserinnerung auf: ein blühender Mandelbaum und
die Stimme einer alten Frau, die da sagten "Aber glaub doch nicht daran,
Kind!" -- Das war ihm wie die Osterbotschaft Fausts.

Im ^aräin ac3 plante? zu Paris hat er dann manche Stunde geträumt
oder geforscht, denn in seinem Forschen verleugnete sich der Dichter nie; er
beobachtete scharf und verglich, da sein außergewöhnliches Gedächtnis früher
Gesehenes bis in die kleinsten Einzelheiten festhielt. Ob er nun der Farbenskala
in Stengel, Blatt und Blüte der Cyclamen folgte oder in der Gestaltung der
Eisblumen die formgebenden Triebe des Wassers suchte, immer reichte sein letztes
Ziel weit über wissenschaftliches Sichbescheideu hinaus! Er wollte die Urenergie
im Leben der Elemente finden, und wo mathematisches Rechnen und analytisches
Beobachten versagten, ließ er sich von der Intuition tragen, in der Botanik wie
in der Chemie, wo er schließlich zu den Geheimschriften der Alchymisten griff,
um die verschütteten Pfade wieder aufzugraben, die am Ende vielleicht doch ins
Freie führen mochten.

Bekanntlich ist ja die wissenschaftliche Lösung manches alchymistischen Problems
inzwischen gelungen. Es sei nur an die Herstellung der künstlichen Edelsteine
erinnert. Strindberg aber eignete sich aus der Geheimwissenschaft des Mittelalters
viel mehr an: er übernahm die Dentungsversuche der Weltgeschicke im Sinne
der Astrologen und so schafft er denn als Fünfziger neben ergreifenden, an die
alten Mysterienspiele erinnernden Dramen ("Advent", "Ostern") jene wunder¬
vollen Geschichtsdichtungcn, die er "schwedische und deutsche Historien" genannt
hat. Die "Folkungersaga" und "Gustav Wasa", der Nationalheld der Dalekarlen,
beginnen den Reigen. Ihnen folgen der wahnsinnige "Erik XIV." und
"Ehristine", die für ein Weib Strindbergscher Schöpfung merkwürdig sympathisch
ist, wiewohl ihr der Dichter eine historisch verbürgte Rehabilitierung versagt hat:
daß nämlich der nachmalige König, ihr Vetter, sie bis zuletzt, als sie ihr Land
verließ, zur Gemahlin begehrte, trotz aller ihrer Sünden. Mit "Gustav Adolf",
der in diesem Sommer nach Reinhardtschem Vorbild zu Stockholm im Zirkus
aufgeführt werden soll, schlüpft Schwedens Geschichte auf deutschen Boden hinüber.
Diese Aufführung wird lehren, wie sich eine szenische Darstellung mit den
panoramengleich vorüberziehenden Bildern jener stürmischen Zeit abfinden wird.
Eines ist Strindberg jedenfalls geglückt: die Gestalt des Königs als Mittelpunkt
festzuhalten -- jenes Wasa, der in bizarren Launen und phantastischen Schwächen
das Erbe des kranken Bluts in sich trägt; unendlich liebenswürdig, doch kaum
ein Held des Glaubens. Heroenkult ist Striudbergs Sache nicht. Vielmehr will
er schildern, welch schwache Schultern Jahrhunderte hindurch das Schicksal eines
edlen Volkes trugen. Die Reihe der schwedischen Königsdramen endet mit
"Gustav III.", doch gehört in diese" Kreis auch das Lutherdrama "Die
Nachtigall von Wittenberg", in dem außer Luther auch Sickingen, Hütten,
Staupitz, Karlstadt und Hans Sachs auftreten. Als Schicksalskünder, an
Dimensionen alle anderen überragend, wird Doktor Faust eingeführt, und man


August Strindberg

süßherben Duft eine Kindheitserinnerung auf: ein blühender Mandelbaum und
die Stimme einer alten Frau, die da sagten „Aber glaub doch nicht daran,
Kind!" — Das war ihm wie die Osterbotschaft Fausts.

Im ^aräin ac3 plante? zu Paris hat er dann manche Stunde geträumt
oder geforscht, denn in seinem Forschen verleugnete sich der Dichter nie; er
beobachtete scharf und verglich, da sein außergewöhnliches Gedächtnis früher
Gesehenes bis in die kleinsten Einzelheiten festhielt. Ob er nun der Farbenskala
in Stengel, Blatt und Blüte der Cyclamen folgte oder in der Gestaltung der
Eisblumen die formgebenden Triebe des Wassers suchte, immer reichte sein letztes
Ziel weit über wissenschaftliches Sichbescheideu hinaus! Er wollte die Urenergie
im Leben der Elemente finden, und wo mathematisches Rechnen und analytisches
Beobachten versagten, ließ er sich von der Intuition tragen, in der Botanik wie
in der Chemie, wo er schließlich zu den Geheimschriften der Alchymisten griff,
um die verschütteten Pfade wieder aufzugraben, die am Ende vielleicht doch ins
Freie führen mochten.

Bekanntlich ist ja die wissenschaftliche Lösung manches alchymistischen Problems
inzwischen gelungen. Es sei nur an die Herstellung der künstlichen Edelsteine
erinnert. Strindberg aber eignete sich aus der Geheimwissenschaft des Mittelalters
viel mehr an: er übernahm die Dentungsversuche der Weltgeschicke im Sinne
der Astrologen und so schafft er denn als Fünfziger neben ergreifenden, an die
alten Mysterienspiele erinnernden Dramen („Advent", „Ostern") jene wunder¬
vollen Geschichtsdichtungcn, die er „schwedische und deutsche Historien" genannt
hat. Die „Folkungersaga" und „Gustav Wasa", der Nationalheld der Dalekarlen,
beginnen den Reigen. Ihnen folgen der wahnsinnige „Erik XIV." und
„Ehristine", die für ein Weib Strindbergscher Schöpfung merkwürdig sympathisch
ist, wiewohl ihr der Dichter eine historisch verbürgte Rehabilitierung versagt hat:
daß nämlich der nachmalige König, ihr Vetter, sie bis zuletzt, als sie ihr Land
verließ, zur Gemahlin begehrte, trotz aller ihrer Sünden. Mit „Gustav Adolf",
der in diesem Sommer nach Reinhardtschem Vorbild zu Stockholm im Zirkus
aufgeführt werden soll, schlüpft Schwedens Geschichte auf deutschen Boden hinüber.
Diese Aufführung wird lehren, wie sich eine szenische Darstellung mit den
panoramengleich vorüberziehenden Bildern jener stürmischen Zeit abfinden wird.
Eines ist Strindberg jedenfalls geglückt: die Gestalt des Königs als Mittelpunkt
festzuhalten — jenes Wasa, der in bizarren Launen und phantastischen Schwächen
das Erbe des kranken Bluts in sich trägt; unendlich liebenswürdig, doch kaum
ein Held des Glaubens. Heroenkult ist Striudbergs Sache nicht. Vielmehr will
er schildern, welch schwache Schultern Jahrhunderte hindurch das Schicksal eines
edlen Volkes trugen. Die Reihe der schwedischen Königsdramen endet mit
„Gustav III.", doch gehört in diese» Kreis auch das Lutherdrama „Die
Nachtigall von Wittenberg", in dem außer Luther auch Sickingen, Hütten,
Staupitz, Karlstadt und Hans Sachs auftreten. Als Schicksalskünder, an
Dimensionen alle anderen überragend, wird Doktor Faust eingeführt, und man


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[0396] August Strindberg süßherben Duft eine Kindheitserinnerung auf: ein blühender Mandelbaum und die Stimme einer alten Frau, die da sagten „Aber glaub doch nicht daran, Kind!" — Das war ihm wie die Osterbotschaft Fausts. Im ^aräin ac3 plante? zu Paris hat er dann manche Stunde geträumt oder geforscht, denn in seinem Forschen verleugnete sich der Dichter nie; er beobachtete scharf und verglich, da sein außergewöhnliches Gedächtnis früher Gesehenes bis in die kleinsten Einzelheiten festhielt. Ob er nun der Farbenskala in Stengel, Blatt und Blüte der Cyclamen folgte oder in der Gestaltung der Eisblumen die formgebenden Triebe des Wassers suchte, immer reichte sein letztes Ziel weit über wissenschaftliches Sichbescheideu hinaus! Er wollte die Urenergie im Leben der Elemente finden, und wo mathematisches Rechnen und analytisches Beobachten versagten, ließ er sich von der Intuition tragen, in der Botanik wie in der Chemie, wo er schließlich zu den Geheimschriften der Alchymisten griff, um die verschütteten Pfade wieder aufzugraben, die am Ende vielleicht doch ins Freie führen mochten. Bekanntlich ist ja die wissenschaftliche Lösung manches alchymistischen Problems inzwischen gelungen. Es sei nur an die Herstellung der künstlichen Edelsteine erinnert. Strindberg aber eignete sich aus der Geheimwissenschaft des Mittelalters viel mehr an: er übernahm die Dentungsversuche der Weltgeschicke im Sinne der Astrologen und so schafft er denn als Fünfziger neben ergreifenden, an die alten Mysterienspiele erinnernden Dramen („Advent", „Ostern") jene wunder¬ vollen Geschichtsdichtungcn, die er „schwedische und deutsche Historien" genannt hat. Die „Folkungersaga" und „Gustav Wasa", der Nationalheld der Dalekarlen, beginnen den Reigen. Ihnen folgen der wahnsinnige „Erik XIV." und „Ehristine", die für ein Weib Strindbergscher Schöpfung merkwürdig sympathisch ist, wiewohl ihr der Dichter eine historisch verbürgte Rehabilitierung versagt hat: daß nämlich der nachmalige König, ihr Vetter, sie bis zuletzt, als sie ihr Land verließ, zur Gemahlin begehrte, trotz aller ihrer Sünden. Mit „Gustav Adolf", der in diesem Sommer nach Reinhardtschem Vorbild zu Stockholm im Zirkus aufgeführt werden soll, schlüpft Schwedens Geschichte auf deutschen Boden hinüber. Diese Aufführung wird lehren, wie sich eine szenische Darstellung mit den panoramengleich vorüberziehenden Bildern jener stürmischen Zeit abfinden wird. Eines ist Strindberg jedenfalls geglückt: die Gestalt des Königs als Mittelpunkt festzuhalten — jenes Wasa, der in bizarren Launen und phantastischen Schwächen das Erbe des kranken Bluts in sich trägt; unendlich liebenswürdig, doch kaum ein Held des Glaubens. Heroenkult ist Striudbergs Sache nicht. Vielmehr will er schildern, welch schwache Schultern Jahrhunderte hindurch das Schicksal eines edlen Volkes trugen. Die Reihe der schwedischen Königsdramen endet mit „Gustav III.", doch gehört in diese» Kreis auch das Lutherdrama „Die Nachtigall von Wittenberg", in dem außer Luther auch Sickingen, Hütten, Staupitz, Karlstadt und Hans Sachs auftreten. Als Schicksalskünder, an Dimensionen alle anderen überragend, wird Doktor Faust eingeführt, und man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/396>, abgerufen am 01.10.2024.