Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel Aus dem Staate Preußen Gewalt und Geist -- Verhalten der Sozialdemokraten -- Besitzbefestigung -- Das Ent- eignungsgesetz eine Politische Gefahr Wenn eine brutale Gewalt menschlichen Einrichtungen und Gesetzen Ganz anders ist unser Verhalten den Gewalten gegenüber, die aus der Die Verfassung unseres Staates erscheint uns dabei als etwas Ewiges, Heiliges, Reichsspiegel Aus dem Staate Preußen Gewalt und Geist — Verhalten der Sozialdemokraten — Besitzbefestigung — Das Ent- eignungsgesetz eine Politische Gefahr Wenn eine brutale Gewalt menschlichen Einrichtungen und Gesetzen Ganz anders ist unser Verhalten den Gewalten gegenüber, die aus der Die Verfassung unseres Staates erscheint uns dabei als etwas Ewiges, Heiliges, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321442"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321442_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Aus dem Staate Preußen</head><lb/> <note type="argument"> Gewalt und Geist — Verhalten der Sozialdemokraten — Besitzbefestigung — Das Ent-<lb/> eignungsgesetz eine Politische Gefahr</note><lb/> <p xml:id="ID_1540"> Wenn eine brutale Gewalt menschlichen Einrichtungen und Gesetzen<lb/> gegenüber die Oberhand gewinnen kann, so ist das ein Zeichen dafür, daß die<lb/> Kraft des Geistes nicht mehr ausreicht, um jene im Zaume zu halten; bei politischen<lb/> oder sozialen Auseinandersetzungen ist es auch ein Beweis, daß sich die Maße in<lb/> dem Verhältnis der Menschen und sozialen Gruppen zueinander stark verschoben<lb/> haben: sie vermögen nach den früher geformten Gesetzen nicht mehr harmonisch<lb/> zusammenzuwirken. Die Menschen sind gewohnt, diese Wahrheit auf allen Ge¬<lb/> bieten der Technik anzuerkennen, und mit emsigen Fleiß arbeiten die Geschlechter<lb/> seit Jahrhunderten mit wachsendem Erfolg daran, das elementare Wirken der<lb/> Natur in seinen Ursachen zu erkennen. Ob es sich um die Eindämmung von<lb/> Strömen oder um die Ausbalanzierung eines Motors handelt —, wir ergründen<lb/> die lebendige Kraft und ihren natürlichen Willen, und sobald wir glauben sie<lb/> erkannt zu haben, beginnen wir den Kompromiß mit der rohen Kraft vorzu¬<lb/> bereiten, um sie zu bändigen und in den Dienst des menschlichen Geistes zu stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1541"> Ganz anders ist unser Verhalten den Gewalten gegenüber, die aus der<lb/> Tiefe der breiten Volksmassen emporsteigen. Wir glauben die Neigungen unseres<lb/> Volkes durch ewige Gesetze festlegen und dann die Nationen zwingen zu können,<lb/> sich diesen Gesetzen entsprechend etwa wie die Obst tragende Pflanze am Spalier<lb/> zu entwickeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1542" next="#ID_1543"> Die Verfassung unseres Staates erscheint uns dabei als etwas Ewiges, Heiliges,<lb/> und die Kräfte, die gegen sie wie Wellen an steinerne Bollwerke anprallen, sind<lb/> wir schnell bereit, als Wirkungen einer bösen, stets verneinenden Gewalt zu er-<lb/> kennen. Damit aber verzichten wir von vornherein darauf, sie auf ihre inneren<lb/> Ursachen hin zu untersuchen und begnügen uns, das „Böse" mit Gewalt zu be-<lb/> bekämpfen. Noch keine Regierung und keine Partei eines Zeitalters hat sich<lb/> Praktisch von solchem Vorgehen freimachen können, gleichgültig, ob sie sich konser-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0359]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Aus dem Staate Preußen
Gewalt und Geist — Verhalten der Sozialdemokraten — Besitzbefestigung — Das Ent-
eignungsgesetz eine Politische Gefahr
Wenn eine brutale Gewalt menschlichen Einrichtungen und Gesetzen
gegenüber die Oberhand gewinnen kann, so ist das ein Zeichen dafür, daß die
Kraft des Geistes nicht mehr ausreicht, um jene im Zaume zu halten; bei politischen
oder sozialen Auseinandersetzungen ist es auch ein Beweis, daß sich die Maße in
dem Verhältnis der Menschen und sozialen Gruppen zueinander stark verschoben
haben: sie vermögen nach den früher geformten Gesetzen nicht mehr harmonisch
zusammenzuwirken. Die Menschen sind gewohnt, diese Wahrheit auf allen Ge¬
bieten der Technik anzuerkennen, und mit emsigen Fleiß arbeiten die Geschlechter
seit Jahrhunderten mit wachsendem Erfolg daran, das elementare Wirken der
Natur in seinen Ursachen zu erkennen. Ob es sich um die Eindämmung von
Strömen oder um die Ausbalanzierung eines Motors handelt —, wir ergründen
die lebendige Kraft und ihren natürlichen Willen, und sobald wir glauben sie
erkannt zu haben, beginnen wir den Kompromiß mit der rohen Kraft vorzu¬
bereiten, um sie zu bändigen und in den Dienst des menschlichen Geistes zu stellen.
Ganz anders ist unser Verhalten den Gewalten gegenüber, die aus der
Tiefe der breiten Volksmassen emporsteigen. Wir glauben die Neigungen unseres
Volkes durch ewige Gesetze festlegen und dann die Nationen zwingen zu können,
sich diesen Gesetzen entsprechend etwa wie die Obst tragende Pflanze am Spalier
zu entwickeln.
Die Verfassung unseres Staates erscheint uns dabei als etwas Ewiges, Heiliges,
und die Kräfte, die gegen sie wie Wellen an steinerne Bollwerke anprallen, sind
wir schnell bereit, als Wirkungen einer bösen, stets verneinenden Gewalt zu er-
kennen. Damit aber verzichten wir von vornherein darauf, sie auf ihre inneren
Ursachen hin zu untersuchen und begnügen uns, das „Böse" mit Gewalt zu be-
bekämpfen. Noch keine Regierung und keine Partei eines Zeitalters hat sich
Praktisch von solchem Vorgehen freimachen können, gleichgültig, ob sie sich konser-
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