Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft schon hierdurch ihr mangelndes Verständnis für geschichtliches Werden. Aber Und wenn die Verfasser des neuen Projektes die Ersetzbarkeit jedes Voll Verachtung sehen die Brückenleute auf den heutigen Zustand herab, Die Methode der Arbeitsteilung ferner, die von der "Brücke" in das Schaffen ") Vgl. hierzu meine Ausführungen in den Grenzboten 1911, Heft 3g bis 3S. Grenzboten II 1912 3
Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft schon hierdurch ihr mangelndes Verständnis für geschichtliches Werden. Aber Und wenn die Verfasser des neuen Projektes die Ersetzbarkeit jedes Voll Verachtung sehen die Brückenleute auf den heutigen Zustand herab, Die Methode der Arbeitsteilung ferner, die von der „Brücke" in das Schaffen ") Vgl. hierzu meine Ausführungen in den Grenzboten 1911, Heft 3g bis 3S. Grenzboten II 1912 3
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321112"/> <fw type="header" place="top"> Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_50" prev="#ID_49"> schon hierdurch ihr mangelndes Verständnis für geschichtliches Werden. Aber<lb/> sie sind schon über den heutigen Zustand schlecht informiert, wenn sie alle<lb/> wissenschaftlich tätigen Menschen mit sich einig glauben über ihr Ziel geistigen<lb/> Schaffens: Aufhäufung von Resultaten zum allgemeinen Gebrauch. Hier wie<lb/> überall verleugnet sich nicht die utilitaristische Denkweise, wie sie um Ostwald<lb/> gepflegt wird/'')</p><lb/> <p xml:id="ID_51"> Und wenn die Verfasser des neuen Projektes die Ersetzbarkeit jedes<lb/> wissenschaftlichen Arbeiters postulieren, so möchte ich dagegen sagen: mit jedem<lb/> wahrhaften Wahrheitsucher stirbt seine ganze Spezies aus. Das Falsum jener<lb/> Leute liegt in der Gleichsetzung der Begriffe Wirklichkeit und Wahrheit; die<lb/> bloße Ermittlung und Katalogisierung des objektiv Wirklichen ist nicht das hohe<lb/> Ziel, dem sich alle Subjekte ohne weiteres zu unterwerfen haben. Und dessen<lb/> Kenntnis oder gar nur Teilkenntnis verdient bloß Schätzung als Bestandteil<lb/> und Stütze einer Gesamtanschauung, die getragen wird vom Subjekt, von der<lb/> wissenschaftlichen Persönlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_52"> Voll Verachtung sehen die Brückenleute auf den heutigen Zustand herab,<lb/> bei dem es vorkommen kann, daß zwei Gelehrte, ohne es zu wissen, dieselbe<lb/> Aufgabe in Angriff nehmen. Das bedeute Vergeudung von Energie und dürfe<lb/> in der künftigen „organisierten" Wissenschaft nicht mehr vorkommen. Anwendbar<lb/> ist das Prinzip des geringsten Energieaufwandes in der wissenschaftlichen Arbeit<lb/> allerdings, aber nur zur Vermeidung äußerer Schwierigkeiten, z. B. bei der<lb/> Benutzung von Bibliotheken, Museen, der raschen Beschaffung feststehender<lb/> Daten u. tgi. Hier könnte noch manche unnötige Mühe erspart werden, und<lb/> die Vorschläge der „Brücke" sind hier zum Teil der Erwägung wert. Aber<lb/> kann sie denn die Tatsache aus der Welt schaffen, daß die Menschen verschiedene<lb/> Fähigkeiten, verschiedene Wesensrichtuug, verschiedene Ausfassung derselben Tat¬<lb/> sachen in sich tragen? Sogar in den exakten Wissenschaften, in noch viel<lb/> höherem Maße aber in den Geisteswissenschaften entstehen vollständigere Resultate<lb/> bei doppelter Bearbeitung desselben Gebietes, als sie von einem einzelnen zu<lb/> erwarten sind. Und dazu kommt — aber hierfür haben die Brückenleute offenbar<lb/> keinen Blick —, daß jede wissenschaftliche Arbeitsleistung, selbst wenn sie kein<lb/> objektiv neues Ergebnis zeitigt, einen subjektiven Wert bedeutet, einen persön¬<lb/> lichen Gewinn für den Arbeiter an Schulung in der Wissenschaft, aber auch<lb/> an Ausbildung der Persönlichkeit in der Selbstförderung.</p><lb/> <p xml:id="ID_53" next="#ID_54"> Die Methode der Arbeitsteilung ferner, die von der „Brücke" in das Schaffen<lb/> der Geistesarbeiter hineingetragen werden soll, hat sich auf dem Gebiete der<lb/> Industrie da bewährt, wo man Massen ohne individuellen Wert produziert.<lb/> Wenn nun schon in der manuellen Technik dieser Hervorbringung die Eigenschaft<lb/> der Unpersönlichkeit in dem Maße anhaftet, daß Fabrikware mit dem hand¬<lb/> werklich oder gar künstlerisch hergestellten Produkt gar nicht verglichen werden<lb/> kann, so wäre schon aus dieser Analogie heraus an das Fabrizieren geistiger</p><lb/> <note xml:id="FID_4" place="foot"> ") Vgl. hierzu meine Ausführungen in den Grenzboten 1911, Heft 3g bis 3S.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1912 3</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Persönlichkeit und Sache in der Wissenschaft
schon hierdurch ihr mangelndes Verständnis für geschichtliches Werden. Aber
sie sind schon über den heutigen Zustand schlecht informiert, wenn sie alle
wissenschaftlich tätigen Menschen mit sich einig glauben über ihr Ziel geistigen
Schaffens: Aufhäufung von Resultaten zum allgemeinen Gebrauch. Hier wie
überall verleugnet sich nicht die utilitaristische Denkweise, wie sie um Ostwald
gepflegt wird/'')
Und wenn die Verfasser des neuen Projektes die Ersetzbarkeit jedes
wissenschaftlichen Arbeiters postulieren, so möchte ich dagegen sagen: mit jedem
wahrhaften Wahrheitsucher stirbt seine ganze Spezies aus. Das Falsum jener
Leute liegt in der Gleichsetzung der Begriffe Wirklichkeit und Wahrheit; die
bloße Ermittlung und Katalogisierung des objektiv Wirklichen ist nicht das hohe
Ziel, dem sich alle Subjekte ohne weiteres zu unterwerfen haben. Und dessen
Kenntnis oder gar nur Teilkenntnis verdient bloß Schätzung als Bestandteil
und Stütze einer Gesamtanschauung, die getragen wird vom Subjekt, von der
wissenschaftlichen Persönlichkeit.
Voll Verachtung sehen die Brückenleute auf den heutigen Zustand herab,
bei dem es vorkommen kann, daß zwei Gelehrte, ohne es zu wissen, dieselbe
Aufgabe in Angriff nehmen. Das bedeute Vergeudung von Energie und dürfe
in der künftigen „organisierten" Wissenschaft nicht mehr vorkommen. Anwendbar
ist das Prinzip des geringsten Energieaufwandes in der wissenschaftlichen Arbeit
allerdings, aber nur zur Vermeidung äußerer Schwierigkeiten, z. B. bei der
Benutzung von Bibliotheken, Museen, der raschen Beschaffung feststehender
Daten u. tgi. Hier könnte noch manche unnötige Mühe erspart werden, und
die Vorschläge der „Brücke" sind hier zum Teil der Erwägung wert. Aber
kann sie denn die Tatsache aus der Welt schaffen, daß die Menschen verschiedene
Fähigkeiten, verschiedene Wesensrichtuug, verschiedene Ausfassung derselben Tat¬
sachen in sich tragen? Sogar in den exakten Wissenschaften, in noch viel
höherem Maße aber in den Geisteswissenschaften entstehen vollständigere Resultate
bei doppelter Bearbeitung desselben Gebietes, als sie von einem einzelnen zu
erwarten sind. Und dazu kommt — aber hierfür haben die Brückenleute offenbar
keinen Blick —, daß jede wissenschaftliche Arbeitsleistung, selbst wenn sie kein
objektiv neues Ergebnis zeitigt, einen subjektiven Wert bedeutet, einen persön¬
lichen Gewinn für den Arbeiter an Schulung in der Wissenschaft, aber auch
an Ausbildung der Persönlichkeit in der Selbstförderung.
Die Methode der Arbeitsteilung ferner, die von der „Brücke" in das Schaffen
der Geistesarbeiter hineingetragen werden soll, hat sich auf dem Gebiete der
Industrie da bewährt, wo man Massen ohne individuellen Wert produziert.
Wenn nun schon in der manuellen Technik dieser Hervorbringung die Eigenschaft
der Unpersönlichkeit in dem Maße anhaftet, daß Fabrikware mit dem hand¬
werklich oder gar künstlerisch hergestellten Produkt gar nicht verglichen werden
kann, so wäre schon aus dieser Analogie heraus an das Fabrizieren geistiger
") Vgl. hierzu meine Ausführungen in den Grenzboten 1911, Heft 3g bis 3S.
Grenzboten II 1912 3
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