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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Revolution unmittelbar habe erregen wollen; es beweist aber seine Grundsätze,
nach welchen er eine Revolution für notwendig und erlaubt hält. Es beweiset
seine Gesinnungen, denen es an aller pflichtmäßigen Treue und Ehrfurcht gegen
Seine Majestät den König fehlt. Da nun die Bestimmung, zu der er von
Seiner Majestät dem Könige berufen worden, Bildung der Jugend für die
Staatszwecke ist, und da es hierbei nicht auf seine Meinungen und Gefühle
ankommen kann, sondern auf die Gesetze, unter denen er berufen worden und
Seiner Majestät dem Könige Treue und Gehorsam geschworen hat, so folgt
hieraus, daß ihm dieser Beruf nicht weiter anvertraut werden kann, sondern er
desselben zu entsetzen ist."

Auf eine sehr eigentümliche Weise trat der Kultusminister Altenstein, der
im Grunde die reaktionäre Strömung mißbilligte, für Schleiermacher ein. Er
lavierte auch hier wie sonst. Er schrieb Schuckmann, er sei im ganzen mit
ihm einverstanden, nur bedürfe die Sache noch weiterer Klärung und Unter¬
suchung. Für Schleiermacher hatte dies zunächst die Folge, daß ein Gesuch
um Urlaub zu einer sechswöchentlichen Reise nach Tirol ihn: von: Ministerium
"aus erheblichen Gründen" abgeschlagen wurde. Sofort beschwerte er sich beim
Könige direkt über diesen Bescheid. Daraufhin erhielt er am 6. September
einen vierwöchentlichen Urlaub bewilligt. Endlich im Januar 1823 wurde er
über alle Anklagepunkte vor dem Polizeipräsidium verhört. Betreffs der brief¬
lichen Äußerungen über den König gab Schleiermacher zu Protokoll, daß Briefe
stets ein Produkt der gegenseitigen Beziehungen seien, die zwischen Briefschreiber
und Empfänger bestehen. Sobald daher Briefsteller, die nur aus diesen
Beziehungen heraus zu erklären sind, in die weitere Öffentlichkeit dringen,
gewinnen sie einen ganz anderen Sinn. Er bedauert die Ausdrücke, die er
gewählt; sie seien das Produkt einer Augenblicksstimmung, ohne viel Überlegung
an seinen vertrauten Freund hingeworfen. Noch mehr aber bedauert er, daß sie
solche" zu Gesichte gekommen seien, für die sie nicht bestimmt waren. Auch gegen
die übrigen Anschuldigungen wußte Schleiermacher sich zu verteidigen. An Geistes¬
gegenwart und Verstandesschärfe fehlte es ihm nie, am wenigsten in Augenblicken
der Gefahr.

Auf diese Verteidigung hin forderte Altenstein Schnckmann aus, die Anklage
gegen Schleiermacher gründlich umzuarbeiten und besser zu motivieren. "Alles
was zur Entschuldigung des Schleiermacher dienen kann, ist beinahe ganz mit
Stillschweigen übergangen." Zweimal mußte Schuckmann sich der mühevollen
Arbeit unterziehen. So kam schließlich ein Antrag voller Anklagen und Restrik¬
tionen zustande, von den: Altenstein wußte, daß er weder von der Mehrheit des
Ministeriums noch von: Könige gebilligt werden könne. Der Antrag schloß:
"So ist doch sein ganzes Benehmen nicht entschieden genug, um seine gänzliche
Sinnesänderung zu verbürgen und frühere üble Eindrücke ganz zu verlöschen.
Und wir können nicht annehmen, daß dadurch alles, was ihn: zur Last liegt,
ausgetilgt, und daß bei einem Manne von seinen ausgezeichneten Talenten und


Revolution unmittelbar habe erregen wollen; es beweist aber seine Grundsätze,
nach welchen er eine Revolution für notwendig und erlaubt hält. Es beweiset
seine Gesinnungen, denen es an aller pflichtmäßigen Treue und Ehrfurcht gegen
Seine Majestät den König fehlt. Da nun die Bestimmung, zu der er von
Seiner Majestät dem Könige berufen worden, Bildung der Jugend für die
Staatszwecke ist, und da es hierbei nicht auf seine Meinungen und Gefühle
ankommen kann, sondern auf die Gesetze, unter denen er berufen worden und
Seiner Majestät dem Könige Treue und Gehorsam geschworen hat, so folgt
hieraus, daß ihm dieser Beruf nicht weiter anvertraut werden kann, sondern er
desselben zu entsetzen ist."

Auf eine sehr eigentümliche Weise trat der Kultusminister Altenstein, der
im Grunde die reaktionäre Strömung mißbilligte, für Schleiermacher ein. Er
lavierte auch hier wie sonst. Er schrieb Schuckmann, er sei im ganzen mit
ihm einverstanden, nur bedürfe die Sache noch weiterer Klärung und Unter¬
suchung. Für Schleiermacher hatte dies zunächst die Folge, daß ein Gesuch
um Urlaub zu einer sechswöchentlichen Reise nach Tirol ihn: von: Ministerium
„aus erheblichen Gründen" abgeschlagen wurde. Sofort beschwerte er sich beim
Könige direkt über diesen Bescheid. Daraufhin erhielt er am 6. September
einen vierwöchentlichen Urlaub bewilligt. Endlich im Januar 1823 wurde er
über alle Anklagepunkte vor dem Polizeipräsidium verhört. Betreffs der brief¬
lichen Äußerungen über den König gab Schleiermacher zu Protokoll, daß Briefe
stets ein Produkt der gegenseitigen Beziehungen seien, die zwischen Briefschreiber
und Empfänger bestehen. Sobald daher Briefsteller, die nur aus diesen
Beziehungen heraus zu erklären sind, in die weitere Öffentlichkeit dringen,
gewinnen sie einen ganz anderen Sinn. Er bedauert die Ausdrücke, die er
gewählt; sie seien das Produkt einer Augenblicksstimmung, ohne viel Überlegung
an seinen vertrauten Freund hingeworfen. Noch mehr aber bedauert er, daß sie
solche» zu Gesichte gekommen seien, für die sie nicht bestimmt waren. Auch gegen
die übrigen Anschuldigungen wußte Schleiermacher sich zu verteidigen. An Geistes¬
gegenwart und Verstandesschärfe fehlte es ihm nie, am wenigsten in Augenblicken
der Gefahr.

Auf diese Verteidigung hin forderte Altenstein Schnckmann aus, die Anklage
gegen Schleiermacher gründlich umzuarbeiten und besser zu motivieren. „Alles
was zur Entschuldigung des Schleiermacher dienen kann, ist beinahe ganz mit
Stillschweigen übergangen." Zweimal mußte Schuckmann sich der mühevollen
Arbeit unterziehen. So kam schließlich ein Antrag voller Anklagen und Restrik¬
tionen zustande, von den: Altenstein wußte, daß er weder von der Mehrheit des
Ministeriums noch von: Könige gebilligt werden könne. Der Antrag schloß:
»So ist doch sein ganzes Benehmen nicht entschieden genug, um seine gänzliche
Sinnesänderung zu verbürgen und frühere üble Eindrücke ganz zu verlöschen.
Und wir können nicht annehmen, daß dadurch alles, was ihn: zur Last liegt,
ausgetilgt, und daß bei einem Manne von seinen ausgezeichneten Talenten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/281>, abgerufen am 23.07.2024.