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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer Verfolgung

stand, deutete man ihn so, als ob Schleiermacher in der Gegenwart eine all¬
gemeine Volkserhebung wünsche, damit eine konstitutionelle Verfassung ein¬
geführt werde.

Um weiteres Anklagematerial zu gewinnen, wurden zwei Polizisten zur
Überwachung der Predigten Schleiermachers in die Dreifaltigkeitskirche geschickt.
Sie sollten berichten, so oft Schleiermacher die Kanzel zu politischen Zwecken
mißbrauche. Ein Bericht der beiden Polizeikommissare Grano und Eckert über
eine Predigt Schleiermachers vom 14. November 1819 ist im Geheimen Staats¬
archiv aufbewahrt geblieben. Sie teilen mit, Schleiermacher habe gepredigt
über die Befreiung aller geistigen Kräfte, die wir der Lehre Jesu verdanken.
Er habe gesagt: Das Rechte müsse doch siegen, und es werde das Gute nur
durch die Prüfung wie durchs Feuer geläutert. Das schien eine offenbare An¬
spielung auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Weiter heißt es im
Polizeibericht: Mehrere Studenten in burschenschaftlicher Tracht nahmen ander
Abendmahlsfeier in der Kirche teil und beteten andächtig kniend. Männer wie
Schuckmcmn, Kamptz, Lecoq, Wittgenstein mochten bei diesem Bericht den Ver¬
dacht haben: Konnten diese Studenten nicht durch die heilige Feier zu neuen
Umsturzversuchen eingeweiht werden, wenn Sands Meuchelmord als eine Gott
wohlgefällige Tat von einem Freunde Schleiermachers gepriesen sei!

Kurz, die Ministerialkommisston berichtete am 16. März 1820: "Wer so
redet, so schreibt und so handelt wie der Professor Schleiermacher nach allem
diesem geschrieben, geredet und sich betragen hat, sollte nicht länger als Seel¬
sorger, Prediger und akademischer Lehrer der Religion und Moral geduldet
werden." Aber eine einfache Entlassung sei doch nicht ratsam. Um ihn un¬
schädlich zu machen, solle er nach Greifswald abgeschoben werden. Ein Mitglied
der Kommission schlug Königsberg vor. Das schien noch weiter und Schleier¬
macher dort noch ungefährlicher zu sein. So wurde Greifswald durchgestrichen
und Königsberg an die Stelle gesetzt. Aber wie bei vielen Verfolgungen jener
Tage blieben diese Berichte zunächst bei den Akten. Doch wurde daraus
manches bekannt. Die Stadt Berlin sprach bereits davon: Schleiermacher soll
abgesetzt werden. Zunächst blieb noch alles ruhig. Schleiermacher wurde nur
verboten, seine Vorlesung über "Politik" nochmals zu halten. Nach zwei Jahren
nahm sich Schuckmann aufs neue der Sache an. Sechs Anklagen trug er gegen
Schleiermacher zusammen: 1. Teilnahme an den politischen Umtrieben über¬
haupt. 2. Teilnahme an den Verbindungen und Umtrieben auf den Universitäten.
N, Billigung und Beförderung des Turm- und übrigen unangemessenen Geistes
unter der Jugend. 4. Mißbrauch der Kanzel zur Beförderung politischer An¬
sichten und Zwecke. 5. Mißbrauch des akademischen Lehramts zu eben diesem
Zwecke. 6. Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen Seine Majestät den
König. Sein Bericht an den Minister von Altenstein vom 5. Juni 1822 schloß
mit den Worten: "Alles dies belegt nun zwar keine Handlungen, durch welche
der p> Schleiermacher überführt wurde, daß er selbst eine Empörung oder


Schleiermacher in politischer Verfolgung

stand, deutete man ihn so, als ob Schleiermacher in der Gegenwart eine all¬
gemeine Volkserhebung wünsche, damit eine konstitutionelle Verfassung ein¬
geführt werde.

Um weiteres Anklagematerial zu gewinnen, wurden zwei Polizisten zur
Überwachung der Predigten Schleiermachers in die Dreifaltigkeitskirche geschickt.
Sie sollten berichten, so oft Schleiermacher die Kanzel zu politischen Zwecken
mißbrauche. Ein Bericht der beiden Polizeikommissare Grano und Eckert über
eine Predigt Schleiermachers vom 14. November 1819 ist im Geheimen Staats¬
archiv aufbewahrt geblieben. Sie teilen mit, Schleiermacher habe gepredigt
über die Befreiung aller geistigen Kräfte, die wir der Lehre Jesu verdanken.
Er habe gesagt: Das Rechte müsse doch siegen, und es werde das Gute nur
durch die Prüfung wie durchs Feuer geläutert. Das schien eine offenbare An¬
spielung auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Weiter heißt es im
Polizeibericht: Mehrere Studenten in burschenschaftlicher Tracht nahmen ander
Abendmahlsfeier in der Kirche teil und beteten andächtig kniend. Männer wie
Schuckmcmn, Kamptz, Lecoq, Wittgenstein mochten bei diesem Bericht den Ver¬
dacht haben: Konnten diese Studenten nicht durch die heilige Feier zu neuen
Umsturzversuchen eingeweiht werden, wenn Sands Meuchelmord als eine Gott
wohlgefällige Tat von einem Freunde Schleiermachers gepriesen sei!

Kurz, die Ministerialkommisston berichtete am 16. März 1820: „Wer so
redet, so schreibt und so handelt wie der Professor Schleiermacher nach allem
diesem geschrieben, geredet und sich betragen hat, sollte nicht länger als Seel¬
sorger, Prediger und akademischer Lehrer der Religion und Moral geduldet
werden." Aber eine einfache Entlassung sei doch nicht ratsam. Um ihn un¬
schädlich zu machen, solle er nach Greifswald abgeschoben werden. Ein Mitglied
der Kommission schlug Königsberg vor. Das schien noch weiter und Schleier¬
macher dort noch ungefährlicher zu sein. So wurde Greifswald durchgestrichen
und Königsberg an die Stelle gesetzt. Aber wie bei vielen Verfolgungen jener
Tage blieben diese Berichte zunächst bei den Akten. Doch wurde daraus
manches bekannt. Die Stadt Berlin sprach bereits davon: Schleiermacher soll
abgesetzt werden. Zunächst blieb noch alles ruhig. Schleiermacher wurde nur
verboten, seine Vorlesung über „Politik" nochmals zu halten. Nach zwei Jahren
nahm sich Schuckmann aufs neue der Sache an. Sechs Anklagen trug er gegen
Schleiermacher zusammen: 1. Teilnahme an den politischen Umtrieben über¬
haupt. 2. Teilnahme an den Verbindungen und Umtrieben auf den Universitäten.
N, Billigung und Beförderung des Turm- und übrigen unangemessenen Geistes
unter der Jugend. 4. Mißbrauch der Kanzel zur Beförderung politischer An¬
sichten und Zwecke. 5. Mißbrauch des akademischen Lehramts zu eben diesem
Zwecke. 6. Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen Seine Majestät den
König. Sein Bericht an den Minister von Altenstein vom 5. Juni 1822 schloß
mit den Worten: „Alles dies belegt nun zwar keine Handlungen, durch welche
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[0280] Schleiermacher in politischer Verfolgung stand, deutete man ihn so, als ob Schleiermacher in der Gegenwart eine all¬ gemeine Volkserhebung wünsche, damit eine konstitutionelle Verfassung ein¬ geführt werde. Um weiteres Anklagematerial zu gewinnen, wurden zwei Polizisten zur Überwachung der Predigten Schleiermachers in die Dreifaltigkeitskirche geschickt. Sie sollten berichten, so oft Schleiermacher die Kanzel zu politischen Zwecken mißbrauche. Ein Bericht der beiden Polizeikommissare Grano und Eckert über eine Predigt Schleiermachers vom 14. November 1819 ist im Geheimen Staats¬ archiv aufbewahrt geblieben. Sie teilen mit, Schleiermacher habe gepredigt über die Befreiung aller geistigen Kräfte, die wir der Lehre Jesu verdanken. Er habe gesagt: Das Rechte müsse doch siegen, und es werde das Gute nur durch die Prüfung wie durchs Feuer geläutert. Das schien eine offenbare An¬ spielung auf die gegenwärtigen politischen Verhältnisse. Weiter heißt es im Polizeibericht: Mehrere Studenten in burschenschaftlicher Tracht nahmen ander Abendmahlsfeier in der Kirche teil und beteten andächtig kniend. Männer wie Schuckmcmn, Kamptz, Lecoq, Wittgenstein mochten bei diesem Bericht den Ver¬ dacht haben: Konnten diese Studenten nicht durch die heilige Feier zu neuen Umsturzversuchen eingeweiht werden, wenn Sands Meuchelmord als eine Gott wohlgefällige Tat von einem Freunde Schleiermachers gepriesen sei! Kurz, die Ministerialkommisston berichtete am 16. März 1820: „Wer so redet, so schreibt und so handelt wie der Professor Schleiermacher nach allem diesem geschrieben, geredet und sich betragen hat, sollte nicht länger als Seel¬ sorger, Prediger und akademischer Lehrer der Religion und Moral geduldet werden." Aber eine einfache Entlassung sei doch nicht ratsam. Um ihn un¬ schädlich zu machen, solle er nach Greifswald abgeschoben werden. Ein Mitglied der Kommission schlug Königsberg vor. Das schien noch weiter und Schleier¬ macher dort noch ungefährlicher zu sein. So wurde Greifswald durchgestrichen und Königsberg an die Stelle gesetzt. Aber wie bei vielen Verfolgungen jener Tage blieben diese Berichte zunächst bei den Akten. Doch wurde daraus manches bekannt. Die Stadt Berlin sprach bereits davon: Schleiermacher soll abgesetzt werden. Zunächst blieb noch alles ruhig. Schleiermacher wurde nur verboten, seine Vorlesung über „Politik" nochmals zu halten. Nach zwei Jahren nahm sich Schuckmann aufs neue der Sache an. Sechs Anklagen trug er gegen Schleiermacher zusammen: 1. Teilnahme an den politischen Umtrieben über¬ haupt. 2. Teilnahme an den Verbindungen und Umtrieben auf den Universitäten. N, Billigung und Beförderung des Turm- und übrigen unangemessenen Geistes unter der Jugend. 4. Mißbrauch der Kanzel zur Beförderung politischer An¬ sichten und Zwecke. 5. Mißbrauch des akademischen Lehramts zu eben diesem Zwecke. 6. Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen Seine Majestät den König. Sein Bericht an den Minister von Altenstein vom 5. Juni 1822 schloß mit den Worten: „Alles dies belegt nun zwar keine Handlungen, durch welche der p> Schleiermacher überführt wurde, daß er selbst eine Empörung oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/280>, abgerufen am 23.07.2024.