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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleievmcichcr in politischer Verfolgung

dagewesenen Volkserhebung getragen gewesen. 'Die selbstverständliche Folge des
ruhmreichen Krieges wäre es gewesen, wenn das Volk, das sür des Vaterlandes
Bestand Gut und Blut geopfert hatte, nun auch in einer ständischen Verfassung
an der Beratung über Wohl und Wehe des Staats Anteil bekommen Hütte.
So war die Meinung von Stein, E. M. Arndt, Schleiermacher und vielen
anderen. Auch hatte der König bereits sein Wort gegeben, daß eine ständische
Volksvertretung durchgeführt werden sollte. Aber die nun bei allen Regierungen
einsetzende Angst vor der Revolution und dem Jakobinertum ließ es nicht zur
Durchführung des königlichen Versprechens kommen. Alle Begeisterung für ein
freies, starkes geeinigtes Deutschland erschien als staatsgefährlich, als Versuch,
die überlebte Verfassung des Deutschen Bundes unizustürzen. Besonders wurde
die Deutsche Burschenschaft verdächtigt, in der die nationale Begeisterung oft
überschauende. Dem religiösen Leben wurden die schwersten Wunden geschlagen,
da die religiöse Begeisterung mit der nationalen seit den Freiheitskriegen eng
verbunden war. Die Kirche wurde in jenen Jahren zum Bunde mit der
Reaktion gezwungen und entfremdete sich für Jahrzehnte die besten freiheitlich
gesinnten Männer. Vergebens erhob Schleiermacher seine warnende Stimme.
Er selbst wurde politisch verdächtigt.

Bei der harmlosen studentischen Feier des Reformationsfestes am .18. Oktober
1817 wurden auf der Wartburg symbolisch die Titel der Bücher von Schmalz
und anderen Reaktionären in jugendlicher Nachahmung der Tat Luthers ver¬
brannt. Dies wurde fast als revolutionäres Unternehmen angesehen. Tat¬
sächlich schien es, als ob die Demagogenangst imstande sei, wirkliche Revolutionäre
zu erzeugen. Ein fanatischer Student Karl Ludwig Sand ermordete den als
Führer der Reaktion verschrienen Dichter Kotzebue am 23. März 1814 in
Mannheim. Jetzt galt es den deutschen Regierungen als erwiesen: in den
Burschenschafter besteht ein Geheimbund, der nichts anderes als den Umsturz
der Verfassung, eine Art französischer Revolution erreichen will. Eine besondere
Untersuchungskommission wurde in Mainz eingesetzt, um die Mitglieder dieser
Verschwörung zu ermitteln. Nicht bloß Studenten und Gymnasiasten, sondern
auch Professoren wurden unschuldig verdächtigt. In Berlin fiel Schleiermachers
Freund und Kollege De Wette als erstes Opfer. Sein tröstender Brief an die
ihm bekannte Mutter von Sand wurde so ausgelegt, als habe er den Meuchel¬
mord als eine Gott wohlgefällige Tat gepriesen. Er wurde durch Kabinetts¬
order vom 30. September 1819 seiner Professur entsetzt. Schleiermacher sollte
nach dem Willen Schuckmanns das nächste Opfer sein. Das ihm zur Last
gelegte Verbrechen war, daß er als Dekan der theologischen Fakultät beim
Abschied De Weites ein Dankschreiben verfaßt hatte, das die Verdienste des
scheidenden Kollegen in gebührender Weise feierte und das Bedauern der Kollegen
wie der Studenten über den erzwungenen Abschied aussprach. Nun hatten zwar
die theologischen Kollegen Neander und Marheineke den Brief gleichfalls unter¬
schrieben. Aber deren Gesinnung galt als unverdächtig. Bei Schleiermacher


Schleievmcichcr in politischer Verfolgung

dagewesenen Volkserhebung getragen gewesen. 'Die selbstverständliche Folge des
ruhmreichen Krieges wäre es gewesen, wenn das Volk, das sür des Vaterlandes
Bestand Gut und Blut geopfert hatte, nun auch in einer ständischen Verfassung
an der Beratung über Wohl und Wehe des Staats Anteil bekommen Hütte.
So war die Meinung von Stein, E. M. Arndt, Schleiermacher und vielen
anderen. Auch hatte der König bereits sein Wort gegeben, daß eine ständische
Volksvertretung durchgeführt werden sollte. Aber die nun bei allen Regierungen
einsetzende Angst vor der Revolution und dem Jakobinertum ließ es nicht zur
Durchführung des königlichen Versprechens kommen. Alle Begeisterung für ein
freies, starkes geeinigtes Deutschland erschien als staatsgefährlich, als Versuch,
die überlebte Verfassung des Deutschen Bundes unizustürzen. Besonders wurde
die Deutsche Burschenschaft verdächtigt, in der die nationale Begeisterung oft
überschauende. Dem religiösen Leben wurden die schwersten Wunden geschlagen,
da die religiöse Begeisterung mit der nationalen seit den Freiheitskriegen eng
verbunden war. Die Kirche wurde in jenen Jahren zum Bunde mit der
Reaktion gezwungen und entfremdete sich für Jahrzehnte die besten freiheitlich
gesinnten Männer. Vergebens erhob Schleiermacher seine warnende Stimme.
Er selbst wurde politisch verdächtigt.

Bei der harmlosen studentischen Feier des Reformationsfestes am .18. Oktober
1817 wurden auf der Wartburg symbolisch die Titel der Bücher von Schmalz
und anderen Reaktionären in jugendlicher Nachahmung der Tat Luthers ver¬
brannt. Dies wurde fast als revolutionäres Unternehmen angesehen. Tat¬
sächlich schien es, als ob die Demagogenangst imstande sei, wirkliche Revolutionäre
zu erzeugen. Ein fanatischer Student Karl Ludwig Sand ermordete den als
Führer der Reaktion verschrienen Dichter Kotzebue am 23. März 1814 in
Mannheim. Jetzt galt es den deutschen Regierungen als erwiesen: in den
Burschenschafter besteht ein Geheimbund, der nichts anderes als den Umsturz
der Verfassung, eine Art französischer Revolution erreichen will. Eine besondere
Untersuchungskommission wurde in Mainz eingesetzt, um die Mitglieder dieser
Verschwörung zu ermitteln. Nicht bloß Studenten und Gymnasiasten, sondern
auch Professoren wurden unschuldig verdächtigt. In Berlin fiel Schleiermachers
Freund und Kollege De Wette als erstes Opfer. Sein tröstender Brief an die
ihm bekannte Mutter von Sand wurde so ausgelegt, als habe er den Meuchel¬
mord als eine Gott wohlgefällige Tat gepriesen. Er wurde durch Kabinetts¬
order vom 30. September 1819 seiner Professur entsetzt. Schleiermacher sollte
nach dem Willen Schuckmanns das nächste Opfer sein. Das ihm zur Last
gelegte Verbrechen war, daß er als Dekan der theologischen Fakultät beim
Abschied De Weites ein Dankschreiben verfaßt hatte, das die Verdienste des
scheidenden Kollegen in gebührender Weise feierte und das Bedauern der Kollegen
wie der Studenten über den erzwungenen Abschied aussprach. Nun hatten zwar
die theologischen Kollegen Neander und Marheineke den Brief gleichfalls unter¬
schrieben. Aber deren Gesinnung galt als unverdächtig. Bei Schleiermacher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/278>, abgerufen am 23.07.2024.