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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer Verfolgung

maßungen und Beleidigungen des Professors Schleiermacher" an. Und er drang
durch. Hardenberg wußte drei Tage nach der ruhmreichen Schlacht bei Leipzig
nichts Besseres zu tun, als noch aus Leipzig, also vom Schlachtfelde aus an
Schleiermacher zu schreiben: "Sehr tadelnswert und unpassend ist dahingegen
der Ton, den Ew. Hochehrwürden in dein oben bereits erwähnten Schreiben
annehmen. Sie scheinen darin ganz zu vergessen, daß Sie dem Staatsrat Lecoq
Achtung schuldig sind, und daß es Ihnen in keiner Hinsicht gebührt, sich seinen
Verfügungen zu widersetzen." So sehr war der weite und freie Geist eines
Stein und Scharnhorst bereits 1813 aus der Negierung verschwunden, daß so
kleinliche Erlasse möglich waren. Der Preußische Korrespondent aber, der die
erste im großen Stil gedachte politische Zeitung sein sollte, unterlag unter den
steten Mißhandlungen der Zensur im Jahre 1814.

Kaum war der Freiheitskrieg beendet, so erschien -- noch im Jahre 1815 --
eine kleine sechzehn Seiten lange Broschüre des Juristen Schmalz, des ersten
Rektors der Universität Berlin. Er stellte es darin als eine große Gefahr für
den Staat hin, daß politische Geheimbünde existierten. Diese seien so gefährlich
wie die Jakobiner in der französischen Revolution. Gemeine waren Vereine wie
der "Tugendbund", die in den Jahren 1808 und 1809 eine allgemeine Volks¬
erhebung gegen die immer drückender werdende Fremdherrschaft der Franzosen
zu entfachen versucht hatten, um die zögernde Negierung schon damals zum
Kriege fortzureißen. Schleiermacher hatte wie viele Patrioten solchen Vereinigungen
nahe gestanden. Er fühlte sich persönlich angegriffen und antwortete in einer
Schrift "An Herrn Geheimrat Schmalz. Auch eine Rezension." Er hielt diesem
vor: es sei schändlich, nach dem ruhmreichen Kriege Argwohn zwischen den
König und das Volk zu säen und zu rufen: "Das Vaterland ist in Gefahr!",
wenn keine Gefahr da sei. Es beständen allerdings noch heute solche Vereine
wie 1808, aber ohne Statuten: der Verein aller Gutgesinnten, die auch jetzt
noch, wenn es not tut, hervortreten werden. Auch andere Männer, wie Niebuhr,
zerzausten das Pamphlet von Schmalz. Dieser blieb in der öffentlichen Meinung
seitdem gerichtet; seine Rolle war ausgespielt. "Schmalzgesellen" nannte man
seitdem die Reaktionäre. Aber sein Ruf fand bei mehreren deutschen Regierungen
nur zu gutes Gehör, Schmalz erhielt eiuen württembergischen Orden, dann
einen russischen, zwei andere Regierungen folgten. Der Streit drohte durch
neue Schriften immer weitere Ausdehnung zu gewinnen. Da wurde ein weiterer
Schriftenwechsel vom Könige verboten. Aber zum Ordensfeste am 18. Januar
1816 erhielt Schmalz den Roten Adlerorden samt der Einladung zur könig¬
lichen Tafel. Schleiermacher wurde gefragt, was er zu dieser Ordensverleihung
sage. Er wußte, daß seiue satirischen Worte bald herumgetragen wurden und
den erreichten, dem sie galten. So antwortete er: "Nun ja, wo ein Aas ist,
da sammeln sich die Adler."

Doch dies waren erst die Vorboten eines ernsteren Streites, der nun ent¬
brennen sollte. Die Freiheitskriege waren von einer bis dahin noch nicht


Grenzboten II 1912 "1
Schleiermacher in politischer Verfolgung

maßungen und Beleidigungen des Professors Schleiermacher" an. Und er drang
durch. Hardenberg wußte drei Tage nach der ruhmreichen Schlacht bei Leipzig
nichts Besseres zu tun, als noch aus Leipzig, also vom Schlachtfelde aus an
Schleiermacher zu schreiben: „Sehr tadelnswert und unpassend ist dahingegen
der Ton, den Ew. Hochehrwürden in dein oben bereits erwähnten Schreiben
annehmen. Sie scheinen darin ganz zu vergessen, daß Sie dem Staatsrat Lecoq
Achtung schuldig sind, und daß es Ihnen in keiner Hinsicht gebührt, sich seinen
Verfügungen zu widersetzen." So sehr war der weite und freie Geist eines
Stein und Scharnhorst bereits 1813 aus der Negierung verschwunden, daß so
kleinliche Erlasse möglich waren. Der Preußische Korrespondent aber, der die
erste im großen Stil gedachte politische Zeitung sein sollte, unterlag unter den
steten Mißhandlungen der Zensur im Jahre 1814.

Kaum war der Freiheitskrieg beendet, so erschien — noch im Jahre 1815 —
eine kleine sechzehn Seiten lange Broschüre des Juristen Schmalz, des ersten
Rektors der Universität Berlin. Er stellte es darin als eine große Gefahr für
den Staat hin, daß politische Geheimbünde existierten. Diese seien so gefährlich
wie die Jakobiner in der französischen Revolution. Gemeine waren Vereine wie
der „Tugendbund", die in den Jahren 1808 und 1809 eine allgemeine Volks¬
erhebung gegen die immer drückender werdende Fremdherrschaft der Franzosen
zu entfachen versucht hatten, um die zögernde Negierung schon damals zum
Kriege fortzureißen. Schleiermacher hatte wie viele Patrioten solchen Vereinigungen
nahe gestanden. Er fühlte sich persönlich angegriffen und antwortete in einer
Schrift „An Herrn Geheimrat Schmalz. Auch eine Rezension." Er hielt diesem
vor: es sei schändlich, nach dem ruhmreichen Kriege Argwohn zwischen den
König und das Volk zu säen und zu rufen: „Das Vaterland ist in Gefahr!",
wenn keine Gefahr da sei. Es beständen allerdings noch heute solche Vereine
wie 1808, aber ohne Statuten: der Verein aller Gutgesinnten, die auch jetzt
noch, wenn es not tut, hervortreten werden. Auch andere Männer, wie Niebuhr,
zerzausten das Pamphlet von Schmalz. Dieser blieb in der öffentlichen Meinung
seitdem gerichtet; seine Rolle war ausgespielt. „Schmalzgesellen" nannte man
seitdem die Reaktionäre. Aber sein Ruf fand bei mehreren deutschen Regierungen
nur zu gutes Gehör, Schmalz erhielt eiuen württembergischen Orden, dann
einen russischen, zwei andere Regierungen folgten. Der Streit drohte durch
neue Schriften immer weitere Ausdehnung zu gewinnen. Da wurde ein weiterer
Schriftenwechsel vom Könige verboten. Aber zum Ordensfeste am 18. Januar
1816 erhielt Schmalz den Roten Adlerorden samt der Einladung zur könig¬
lichen Tafel. Schleiermacher wurde gefragt, was er zu dieser Ordensverleihung
sage. Er wußte, daß seiue satirischen Worte bald herumgetragen wurden und
den erreichten, dem sie galten. So antwortete er: „Nun ja, wo ein Aas ist,
da sammeln sich die Adler."

Doch dies waren erst die Vorboten eines ernsteren Streites, der nun ent¬
brennen sollte. Die Freiheitskriege waren von einer bis dahin noch nicht


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[0277] Schleiermacher in politischer Verfolgung maßungen und Beleidigungen des Professors Schleiermacher" an. Und er drang durch. Hardenberg wußte drei Tage nach der ruhmreichen Schlacht bei Leipzig nichts Besseres zu tun, als noch aus Leipzig, also vom Schlachtfelde aus an Schleiermacher zu schreiben: „Sehr tadelnswert und unpassend ist dahingegen der Ton, den Ew. Hochehrwürden in dein oben bereits erwähnten Schreiben annehmen. Sie scheinen darin ganz zu vergessen, daß Sie dem Staatsrat Lecoq Achtung schuldig sind, und daß es Ihnen in keiner Hinsicht gebührt, sich seinen Verfügungen zu widersetzen." So sehr war der weite und freie Geist eines Stein und Scharnhorst bereits 1813 aus der Negierung verschwunden, daß so kleinliche Erlasse möglich waren. Der Preußische Korrespondent aber, der die erste im großen Stil gedachte politische Zeitung sein sollte, unterlag unter den steten Mißhandlungen der Zensur im Jahre 1814. Kaum war der Freiheitskrieg beendet, so erschien — noch im Jahre 1815 — eine kleine sechzehn Seiten lange Broschüre des Juristen Schmalz, des ersten Rektors der Universität Berlin. Er stellte es darin als eine große Gefahr für den Staat hin, daß politische Geheimbünde existierten. Diese seien so gefährlich wie die Jakobiner in der französischen Revolution. Gemeine waren Vereine wie der „Tugendbund", die in den Jahren 1808 und 1809 eine allgemeine Volks¬ erhebung gegen die immer drückender werdende Fremdherrschaft der Franzosen zu entfachen versucht hatten, um die zögernde Negierung schon damals zum Kriege fortzureißen. Schleiermacher hatte wie viele Patrioten solchen Vereinigungen nahe gestanden. Er fühlte sich persönlich angegriffen und antwortete in einer Schrift „An Herrn Geheimrat Schmalz. Auch eine Rezension." Er hielt diesem vor: es sei schändlich, nach dem ruhmreichen Kriege Argwohn zwischen den König und das Volk zu säen und zu rufen: „Das Vaterland ist in Gefahr!", wenn keine Gefahr da sei. Es beständen allerdings noch heute solche Vereine wie 1808, aber ohne Statuten: der Verein aller Gutgesinnten, die auch jetzt noch, wenn es not tut, hervortreten werden. Auch andere Männer, wie Niebuhr, zerzausten das Pamphlet von Schmalz. Dieser blieb in der öffentlichen Meinung seitdem gerichtet; seine Rolle war ausgespielt. „Schmalzgesellen" nannte man seitdem die Reaktionäre. Aber sein Ruf fand bei mehreren deutschen Regierungen nur zu gutes Gehör, Schmalz erhielt eiuen württembergischen Orden, dann einen russischen, zwei andere Regierungen folgten. Der Streit drohte durch neue Schriften immer weitere Ausdehnung zu gewinnen. Da wurde ein weiterer Schriftenwechsel vom Könige verboten. Aber zum Ordensfeste am 18. Januar 1816 erhielt Schmalz den Roten Adlerorden samt der Einladung zur könig¬ lichen Tafel. Schleiermacher wurde gefragt, was er zu dieser Ordensverleihung sage. Er wußte, daß seiue satirischen Worte bald herumgetragen wurden und den erreichten, dem sie galten. So antwortete er: „Nun ja, wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler." Doch dies waren erst die Vorboten eines ernsteren Streites, der nun ent¬ brennen sollte. Die Freiheitskriege waren von einer bis dahin noch nicht Grenzboten II 1912 »1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/277>, abgerufen am 25.08.2024.