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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

schätzenden Dienst leistet, daß sie den ausgebildeten Gesellen lohnende Beschäftigung
gewährt. Gesellen wollen bezahlt sein; zahlreiche Handwerksmeister ersetzen aber
nachweislich diese Arbeitskräfte zu einem erheblichen Teile durch Einstellung von
Lehrlingen, und es ist von Handwerkerkreisen selbst oft genug die hieraus erwachsene
Lehrlingszüchterei als ein Krebsschaden des Handwerks bemängelt worden. In
wieweit letzterem aus der Lehrlingshaltung ein sehr ansehnlicher materieller
Vorteil erwächst, hat die Handelskammer Düsseldorf in ihrer im Mai 1911
erschienenen Schrift "Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Hcmdwerker-
ausbilduug" ziffernmäßig nachgewiesen und aktenmäßig belegt. Hiermit fällt
also die Behauptung in sich zusammen, daß dem Handwerksmeister aus der
Lehrlingsausbildung verhältnismäßig hohe, nicht wieder ausgeglichene Kosten
erwachsen, und daß die Lehrlinge, die später zur Industrie übertreten, aus den
von Handwerkerorganisationen unterhaltenen Einrichtungen Vorteile gezogen
haben, denen keine Gegenleistungen gegenüberstehen. Das Handwerk selbst
dürfte, wenn ihm die Industrie die überschüssigen Kräfte nicht mehr abnähme,
sehr bald empfindlich dadurch berührt werden, daß der Zustrom von Lehr¬
lingen zum Handwerk immer mehr abflauen und dieses somit der bisherigen
billigen Arbeitskräfte beraubt werden würde. Recht bezeichnend hierfür find die
Ausführungen des Abgeordneten Trimborn gelegentlich der großen Handwerks¬
debatte im Reichstage im Dezember 1907: "Man fürchtet folgendes: Belege
man die Industrie für den Gebrauch der vom Handwerke ausgebildeten Kräfte
mit einer Abgabe, dann wird die Industrie davon ablassen, diese Kräfte für
sich in Anspruch zu nehmen, und Maßnahmen treffen, um sich ihre Kräfte selber
heranzuziehen. Tritt das ein, so wird ein Lehrlingsmangel in allen Hand¬
werken entstehen, auch in denen, die bisher über Lehrlingsmangel nicht geklagt
haben, und es hat die weitere Folge, daß die jungen Kräfte statt ihrer
bisherigen besseren Ausbildung lediglich eine industrielle erhalten." Kann
nach Vorstehendem die Frage, ob die einzelnen Handwerker durch die
Ausbildung ihres gewerblichen Nachwuchses besonders stark belastet
werden, ohne weiteres verneint werden, so muß des weiteren als fest¬
stehend erachtet werden, daß auch die Handwerkerorganisationen als solche
einer finanziellen Entlastung zu ungnnsten der Industrie nicht bedürfen. Die
Denkschrift der Düsseldorfer Handelskammer über "Die Beiträge der Industrie
zu den Kosten der Handwerkerausbildung und Handwerkerwohlfahrtspflege" hat
auf Grund der Finanzüberstchten der Handwerkskammern und Innungen für die
Jahre 1904 und 1905 unter peinlichster Berücksichtigung aller Umstände fest¬
gestellt, daß im Bildungsfonds beider Handwerkerorganisationen nicht nur kein
ungedeckter Aufwand vorhanden ist, sondern daß diese Körperschaften aus ihren
Einnahmen für Prüfungen und Einschreibungen, Schulzwecke, Ausstellungen, Kurse,
Vorträge, Prämien und Lehrlingsheime ein jährliches Plus von 226000 Mark
ohne die Staatszuschüsse, mit diesen aber eine Mehreinnahme von 465000 Mark
gehabt haben! Solche Verhältnisse lassen also den Ruf nach Unterstützung aus


Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

schätzenden Dienst leistet, daß sie den ausgebildeten Gesellen lohnende Beschäftigung
gewährt. Gesellen wollen bezahlt sein; zahlreiche Handwerksmeister ersetzen aber
nachweislich diese Arbeitskräfte zu einem erheblichen Teile durch Einstellung von
Lehrlingen, und es ist von Handwerkerkreisen selbst oft genug die hieraus erwachsene
Lehrlingszüchterei als ein Krebsschaden des Handwerks bemängelt worden. In
wieweit letzterem aus der Lehrlingshaltung ein sehr ansehnlicher materieller
Vorteil erwächst, hat die Handelskammer Düsseldorf in ihrer im Mai 1911
erschienenen Schrift „Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Hcmdwerker-
ausbilduug" ziffernmäßig nachgewiesen und aktenmäßig belegt. Hiermit fällt
also die Behauptung in sich zusammen, daß dem Handwerksmeister aus der
Lehrlingsausbildung verhältnismäßig hohe, nicht wieder ausgeglichene Kosten
erwachsen, und daß die Lehrlinge, die später zur Industrie übertreten, aus den
von Handwerkerorganisationen unterhaltenen Einrichtungen Vorteile gezogen
haben, denen keine Gegenleistungen gegenüberstehen. Das Handwerk selbst
dürfte, wenn ihm die Industrie die überschüssigen Kräfte nicht mehr abnähme,
sehr bald empfindlich dadurch berührt werden, daß der Zustrom von Lehr¬
lingen zum Handwerk immer mehr abflauen und dieses somit der bisherigen
billigen Arbeitskräfte beraubt werden würde. Recht bezeichnend hierfür find die
Ausführungen des Abgeordneten Trimborn gelegentlich der großen Handwerks¬
debatte im Reichstage im Dezember 1907: „Man fürchtet folgendes: Belege
man die Industrie für den Gebrauch der vom Handwerke ausgebildeten Kräfte
mit einer Abgabe, dann wird die Industrie davon ablassen, diese Kräfte für
sich in Anspruch zu nehmen, und Maßnahmen treffen, um sich ihre Kräfte selber
heranzuziehen. Tritt das ein, so wird ein Lehrlingsmangel in allen Hand¬
werken entstehen, auch in denen, die bisher über Lehrlingsmangel nicht geklagt
haben, und es hat die weitere Folge, daß die jungen Kräfte statt ihrer
bisherigen besseren Ausbildung lediglich eine industrielle erhalten." Kann
nach Vorstehendem die Frage, ob die einzelnen Handwerker durch die
Ausbildung ihres gewerblichen Nachwuchses besonders stark belastet
werden, ohne weiteres verneint werden, so muß des weiteren als fest¬
stehend erachtet werden, daß auch die Handwerkerorganisationen als solche
einer finanziellen Entlastung zu ungnnsten der Industrie nicht bedürfen. Die
Denkschrift der Düsseldorfer Handelskammer über „Die Beiträge der Industrie
zu den Kosten der Handwerkerausbildung und Handwerkerwohlfahrtspflege" hat
auf Grund der Finanzüberstchten der Handwerkskammern und Innungen für die
Jahre 1904 und 1905 unter peinlichster Berücksichtigung aller Umstände fest¬
gestellt, daß im Bildungsfonds beider Handwerkerorganisationen nicht nur kein
ungedeckter Aufwand vorhanden ist, sondern daß diese Körperschaften aus ihren
Einnahmen für Prüfungen und Einschreibungen, Schulzwecke, Ausstellungen, Kurse,
Vorträge, Prämien und Lehrlingsheime ein jährliches Plus von 226000 Mark
ohne die Staatszuschüsse, mit diesen aber eine Mehreinnahme von 465000 Mark
gehabt haben! Solche Verhältnisse lassen also den Ruf nach Unterstützung aus


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[0231] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? schätzenden Dienst leistet, daß sie den ausgebildeten Gesellen lohnende Beschäftigung gewährt. Gesellen wollen bezahlt sein; zahlreiche Handwerksmeister ersetzen aber nachweislich diese Arbeitskräfte zu einem erheblichen Teile durch Einstellung von Lehrlingen, und es ist von Handwerkerkreisen selbst oft genug die hieraus erwachsene Lehrlingszüchterei als ein Krebsschaden des Handwerks bemängelt worden. In wieweit letzterem aus der Lehrlingshaltung ein sehr ansehnlicher materieller Vorteil erwächst, hat die Handelskammer Düsseldorf in ihrer im Mai 1911 erschienenen Schrift „Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Hcmdwerker- ausbilduug" ziffernmäßig nachgewiesen und aktenmäßig belegt. Hiermit fällt also die Behauptung in sich zusammen, daß dem Handwerksmeister aus der Lehrlingsausbildung verhältnismäßig hohe, nicht wieder ausgeglichene Kosten erwachsen, und daß die Lehrlinge, die später zur Industrie übertreten, aus den von Handwerkerorganisationen unterhaltenen Einrichtungen Vorteile gezogen haben, denen keine Gegenleistungen gegenüberstehen. Das Handwerk selbst dürfte, wenn ihm die Industrie die überschüssigen Kräfte nicht mehr abnähme, sehr bald empfindlich dadurch berührt werden, daß der Zustrom von Lehr¬ lingen zum Handwerk immer mehr abflauen und dieses somit der bisherigen billigen Arbeitskräfte beraubt werden würde. Recht bezeichnend hierfür find die Ausführungen des Abgeordneten Trimborn gelegentlich der großen Handwerks¬ debatte im Reichstage im Dezember 1907: „Man fürchtet folgendes: Belege man die Industrie für den Gebrauch der vom Handwerke ausgebildeten Kräfte mit einer Abgabe, dann wird die Industrie davon ablassen, diese Kräfte für sich in Anspruch zu nehmen, und Maßnahmen treffen, um sich ihre Kräfte selber heranzuziehen. Tritt das ein, so wird ein Lehrlingsmangel in allen Hand¬ werken entstehen, auch in denen, die bisher über Lehrlingsmangel nicht geklagt haben, und es hat die weitere Folge, daß die jungen Kräfte statt ihrer bisherigen besseren Ausbildung lediglich eine industrielle erhalten." Kann nach Vorstehendem die Frage, ob die einzelnen Handwerker durch die Ausbildung ihres gewerblichen Nachwuchses besonders stark belastet werden, ohne weiteres verneint werden, so muß des weiteren als fest¬ stehend erachtet werden, daß auch die Handwerkerorganisationen als solche einer finanziellen Entlastung zu ungnnsten der Industrie nicht bedürfen. Die Denkschrift der Düsseldorfer Handelskammer über „Die Beiträge der Industrie zu den Kosten der Handwerkerausbildung und Handwerkerwohlfahrtspflege" hat auf Grund der Finanzüberstchten der Handwerkskammern und Innungen für die Jahre 1904 und 1905 unter peinlichster Berücksichtigung aller Umstände fest¬ gestellt, daß im Bildungsfonds beider Handwerkerorganisationen nicht nur kein ungedeckter Aufwand vorhanden ist, sondern daß diese Körperschaften aus ihren Einnahmen für Prüfungen und Einschreibungen, Schulzwecke, Ausstellungen, Kurse, Vorträge, Prämien und Lehrlingsheime ein jährliches Plus von 226000 Mark ohne die Staatszuschüsse, mit diesen aber eine Mehreinnahme von 465000 Mark gehabt haben! Solche Verhältnisse lassen also den Ruf nach Unterstützung aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/231>, abgerufen am 25.08.2024.