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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

das Handwerk. In den übrigen Bundesstaaten, in denen die Handwerkskammern
nicht aus staatlichen Mitteln erhalten werden, werden die Fachschulen der
Handwerkskammern zum großen Teile von den Gemeinden unterstützt, also
ebenfalls von den aus den industriellen Unternehmen fließenden Steuern
mit unterhalten. Dies wird sich in Zukunft wohl noch in verstärktem Maße
geltend machen, da die ganze Einrichtung der Schulen -- Lokale, Anstellung
der Lehrkräfte usw. -- immer häufiger von den Kommunalverwaltungen über¬
nommen wird und somit die ganze Entwicklung des gewerblichen Schul¬
wesens darauf hinstrebt, letzteres den Stadtverwaltungen völlig zu unterstellen.
Es ist dies anscheinend auch der Weg, auf dem die Reichsregierung uach der
Erklärung des Staatssekretärs des Reichsamtes des Innern vom 5. März d. I.
im Reichstage den Wunsch des Handwerks zu erfüllen gedenkt. Daher ist es
vielleicht nicht ohne Interesse, sich dessen zu erinnern, was der Abgeordnete
Richter bei der zweiten Beratung des Z 103 i in der 232. Sitzung des Reichs¬
tages vom 25. Mai 1897 voraussehend ausführte: ". . . Hier ist die ungeheuer¬
liche Änderung der Kommission beschlossen worden, daß die Handwerkskammern
zwar eine sehr große Selbstverwaltung haben, aber nicht die Beteiligten, sondern
der Staat und die Gemeinden die Kosten zu zahlen haben. Bei allen Interessen¬
vertretungen, den Handelskammern, den Landwirtschaftskammern, und was ähn¬
liches geschaffen worden ist, heißt es, wie hier in der Regierungsvorlage, daß
die Kosten auch auf die Beteiligten umzulegen sind, und daß sie dann durch
Steuerzuschläge oder sonst zu erheben sind. Statt dessen hat die Kommission
dekretiert, daß die Kosten jedenfalls nicht von den Beteiligten zu tragen sind,
sondern daß der Staat und die Gemeinde sich darüber zu vereinbaren haben,
wer das Ehrenrecht der Bezahlung für die Handwerkskammern zu übernehmen
verpflichtet ist. Man klagt darüber, daß den Gemeinden allmählich die Kosten
aufgepackt werden, und das ist hier so ein Beispiel, wo man leicht dazu über¬
geht. Es heißt, die Handwerker seien so arme Leute. Gewiß sind sehr viel
arme Leute darunter -- auch unter den Handelstreibenden finden Sie sehr viele
arme Leute, auch unter den Landwirten sogar notleidende -- aber es gibt doch
auch wohl Handwerker, die leicht die Beiträge zu den Kammern zahlen können.
Es gibt solche z. B. im Schlossergewerbe, im Tischlergewerbe -- es gibt auch
ganz wohlhabende Bäcker, sogar solche, denen man, wie Fürst Bismarck einmal
sagte, nur auf die Rocktaschen zu klopfen brauchte, um die harten Taler heraus¬
fallen zu sehen. Das sollen nun alles arme Leute sein, die keinen Groschen
zahlen können, um die Handwerkskammerkosten zu bestreiten! Ja, eine derartige
Selbstverwaltung, die sich nicht selbst bezahlt, ist ein Unding, eine Karikatur
auf Selbstverwaltung, die hier geschaffen wird. . . Wenn man nicht zu bezahlen
braucht, wird man sehr freigebig sein in bezug auf die Ausgaben. . ."

Diese Ausführungen sind auch heute noch zweifellos sehr beachtenswert,
und das Handwerk sollte bei seinen Klagen auch des weiteren nicht ganz über¬
sehen, daß die Industrie dem Handwerk gerade dadurch einen nicht zu unter-


Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie?

das Handwerk. In den übrigen Bundesstaaten, in denen die Handwerkskammern
nicht aus staatlichen Mitteln erhalten werden, werden die Fachschulen der
Handwerkskammern zum großen Teile von den Gemeinden unterstützt, also
ebenfalls von den aus den industriellen Unternehmen fließenden Steuern
mit unterhalten. Dies wird sich in Zukunft wohl noch in verstärktem Maße
geltend machen, da die ganze Einrichtung der Schulen — Lokale, Anstellung
der Lehrkräfte usw. — immer häufiger von den Kommunalverwaltungen über¬
nommen wird und somit die ganze Entwicklung des gewerblichen Schul¬
wesens darauf hinstrebt, letzteres den Stadtverwaltungen völlig zu unterstellen.
Es ist dies anscheinend auch der Weg, auf dem die Reichsregierung uach der
Erklärung des Staatssekretärs des Reichsamtes des Innern vom 5. März d. I.
im Reichstage den Wunsch des Handwerks zu erfüllen gedenkt. Daher ist es
vielleicht nicht ohne Interesse, sich dessen zu erinnern, was der Abgeordnete
Richter bei der zweiten Beratung des Z 103 i in der 232. Sitzung des Reichs¬
tages vom 25. Mai 1897 voraussehend ausführte: „. . . Hier ist die ungeheuer¬
liche Änderung der Kommission beschlossen worden, daß die Handwerkskammern
zwar eine sehr große Selbstverwaltung haben, aber nicht die Beteiligten, sondern
der Staat und die Gemeinden die Kosten zu zahlen haben. Bei allen Interessen¬
vertretungen, den Handelskammern, den Landwirtschaftskammern, und was ähn¬
liches geschaffen worden ist, heißt es, wie hier in der Regierungsvorlage, daß
die Kosten auch auf die Beteiligten umzulegen sind, und daß sie dann durch
Steuerzuschläge oder sonst zu erheben sind. Statt dessen hat die Kommission
dekretiert, daß die Kosten jedenfalls nicht von den Beteiligten zu tragen sind,
sondern daß der Staat und die Gemeinde sich darüber zu vereinbaren haben,
wer das Ehrenrecht der Bezahlung für die Handwerkskammern zu übernehmen
verpflichtet ist. Man klagt darüber, daß den Gemeinden allmählich die Kosten
aufgepackt werden, und das ist hier so ein Beispiel, wo man leicht dazu über¬
geht. Es heißt, die Handwerker seien so arme Leute. Gewiß sind sehr viel
arme Leute darunter — auch unter den Handelstreibenden finden Sie sehr viele
arme Leute, auch unter den Landwirten sogar notleidende — aber es gibt doch
auch wohl Handwerker, die leicht die Beiträge zu den Kammern zahlen können.
Es gibt solche z. B. im Schlossergewerbe, im Tischlergewerbe — es gibt auch
ganz wohlhabende Bäcker, sogar solche, denen man, wie Fürst Bismarck einmal
sagte, nur auf die Rocktaschen zu klopfen brauchte, um die harten Taler heraus¬
fallen zu sehen. Das sollen nun alles arme Leute sein, die keinen Groschen
zahlen können, um die Handwerkskammerkosten zu bestreiten! Ja, eine derartige
Selbstverwaltung, die sich nicht selbst bezahlt, ist ein Unding, eine Karikatur
auf Selbstverwaltung, die hier geschaffen wird. . . Wenn man nicht zu bezahlen
braucht, wird man sehr freigebig sein in bezug auf die Ausgaben. . ."

Diese Ausführungen sind auch heute noch zweifellos sehr beachtenswert,
und das Handwerk sollte bei seinen Klagen auch des weiteren nicht ganz über¬
sehen, daß die Industrie dem Handwerk gerade dadurch einen nicht zu unter-


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[0230] Förderung des Handwerks auf Rösten der Industrie? das Handwerk. In den übrigen Bundesstaaten, in denen die Handwerkskammern nicht aus staatlichen Mitteln erhalten werden, werden die Fachschulen der Handwerkskammern zum großen Teile von den Gemeinden unterstützt, also ebenfalls von den aus den industriellen Unternehmen fließenden Steuern mit unterhalten. Dies wird sich in Zukunft wohl noch in verstärktem Maße geltend machen, da die ganze Einrichtung der Schulen — Lokale, Anstellung der Lehrkräfte usw. — immer häufiger von den Kommunalverwaltungen über¬ nommen wird und somit die ganze Entwicklung des gewerblichen Schul¬ wesens darauf hinstrebt, letzteres den Stadtverwaltungen völlig zu unterstellen. Es ist dies anscheinend auch der Weg, auf dem die Reichsregierung uach der Erklärung des Staatssekretärs des Reichsamtes des Innern vom 5. März d. I. im Reichstage den Wunsch des Handwerks zu erfüllen gedenkt. Daher ist es vielleicht nicht ohne Interesse, sich dessen zu erinnern, was der Abgeordnete Richter bei der zweiten Beratung des Z 103 i in der 232. Sitzung des Reichs¬ tages vom 25. Mai 1897 voraussehend ausführte: „. . . Hier ist die ungeheuer¬ liche Änderung der Kommission beschlossen worden, daß die Handwerkskammern zwar eine sehr große Selbstverwaltung haben, aber nicht die Beteiligten, sondern der Staat und die Gemeinden die Kosten zu zahlen haben. Bei allen Interessen¬ vertretungen, den Handelskammern, den Landwirtschaftskammern, und was ähn¬ liches geschaffen worden ist, heißt es, wie hier in der Regierungsvorlage, daß die Kosten auch auf die Beteiligten umzulegen sind, und daß sie dann durch Steuerzuschläge oder sonst zu erheben sind. Statt dessen hat die Kommission dekretiert, daß die Kosten jedenfalls nicht von den Beteiligten zu tragen sind, sondern daß der Staat und die Gemeinde sich darüber zu vereinbaren haben, wer das Ehrenrecht der Bezahlung für die Handwerkskammern zu übernehmen verpflichtet ist. Man klagt darüber, daß den Gemeinden allmählich die Kosten aufgepackt werden, und das ist hier so ein Beispiel, wo man leicht dazu über¬ geht. Es heißt, die Handwerker seien so arme Leute. Gewiß sind sehr viel arme Leute darunter — auch unter den Handelstreibenden finden Sie sehr viele arme Leute, auch unter den Landwirten sogar notleidende — aber es gibt doch auch wohl Handwerker, die leicht die Beiträge zu den Kammern zahlen können. Es gibt solche z. B. im Schlossergewerbe, im Tischlergewerbe — es gibt auch ganz wohlhabende Bäcker, sogar solche, denen man, wie Fürst Bismarck einmal sagte, nur auf die Rocktaschen zu klopfen brauchte, um die harten Taler heraus¬ fallen zu sehen. Das sollen nun alles arme Leute sein, die keinen Groschen zahlen können, um die Handwerkskammerkosten zu bestreiten! Ja, eine derartige Selbstverwaltung, die sich nicht selbst bezahlt, ist ein Unding, eine Karikatur auf Selbstverwaltung, die hier geschaffen wird. . . Wenn man nicht zu bezahlen braucht, wird man sehr freigebig sein in bezug auf die Ausgaben. . ." Diese Ausführungen sind auch heute noch zweifellos sehr beachtenswert, und das Handwerk sollte bei seinen Klagen auch des weiteren nicht ganz über¬ sehen, daß die Industrie dem Handwerk gerade dadurch einen nicht zu unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/230>, abgerufen am 23.07.2024.