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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Föderalistische und unitarische Parteien

Wie anders jedoch die Deutsch-Konservative Partei dem Reich und dem Neichs-
gedcmken gegenübersteht, ergibt sich, wenn man die oben wiedergegebene Stelle
aus dem Programm der Fraktion des Zentrums von 1871 mit dem folgenden
Passus aus dem Gründungsaufruf der Deutsch-Konservativen Partei vom 12. Juli
187K vergleicht. In ihm heißt es: "Wir wollen die für unser Vaterland
gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne
stärken und ausbauen. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte
Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme
gewahrt werde". Diese Sätze, die sich -- nebenbei bemerkt -- unverändert
auch in dem sogenannten Tivoliprogramm vom 8. Dezember 1892 finden, sagen
nichts von einem Entgegenwirken wider die Bestrebungen, die geeignet sind, den
föderalistischen Charakter der Reichsverfassung abzuändern; es wird vielmehr
von einer Stärkung und einen: Ausbau der gewonnenen Einheit gesprochen. Es
ist auch nicht die Rede davon, daß von der Selbständigkeit der Einzelstaaten
nicht mehr als unabweislich "geopfert" werden solle; es soll vielmehr nur die
berechtigte Selbständigkeit und die berechtigte Eigenart geschont werden. Damit
wendet die Partei nur den Fundamentalsatz ihres ganzen Programms, nämlich
die Erhaltung dessen, was nach ihrer Ansicht "gut ist und sich als solches bewährt
hat", auf einen bestimmten Fall an. Nun läßt sich ja unzweifelhaft darüber
streiten, was als berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der Staaten anzusehen ist.
Die Deutsch-Konservative Partei ist aber geneigt, berechtigte Eigenart auch dort zu
sehen, wo andere nur wenig berechtigten Partikularismus sehen können. Nimmt
man "ihren legitimistischen Zug", ihre "Wertschätzung überkommener staatlicher
Gewalten" hinzu, so ist es verständlich, wenn die Konservativen sich nicht selten
an der Seite des Zentrums fanden, wo es galt, den Föderalismus über den
Unitarismus zum Siege zu führen. Die Konservative Partei hat nicht immer
die Maxime verfolgt, daß die Einheit des Reiches auszubauen und zu fördern
sei. Direkte Neichssteuern -- eine in. E. eminent nationale Forderung -- haben
die Konservativen ebenso wie das Zentrum bekämpft; man denke nur an ihre
Stellung zur erweiterten Reichserbschaftssteuer, die eben jetzt wieder in Verbindung
mit der neuen Wehrvorlage erörtert worden ist. Oder man denke an ein anderes
Beispiel: die Vereinheitlichung der Eisenbahnen. Wie sich die Konservativen zu
ihr stellen, hat erst vor kurzer Zeit (30. Januar 1912) der Abg. von Pappenheim
im preußischen Abgeordnetenhaus dargelegt. Er führte aus: Was die Be¬
strebungen auf einen engeren Zusammenschluß der deutschen Eisenbahnen anlange,
die Ausdehnung der bisherigen Wagengemeinschaft zu einer Eisenbahngemein¬
schaft, einer allgemeinen Betriebsgemeinschaft, so seien sie, die Konservativen,
gern bereit, das zu tun, was im Interesse der Sicherheit und Erleichterung des
Betriebes und der Verkehrsverhältnisse liege, aber nur soweit, als nicht die
selbständige Verwaltung der deutschen Eisenbahnen in Frage komme. Sie hielten
sich verpflichtet, die Selbständigkeit der Bundesstaaten mit aller Sorgsamkeit zu
wahren (Beifall rechts), und sie würden alles vermeiden, was bei einer aus-


Föderalistische und unitarische Parteien

Wie anders jedoch die Deutsch-Konservative Partei dem Reich und dem Neichs-
gedcmken gegenübersteht, ergibt sich, wenn man die oben wiedergegebene Stelle
aus dem Programm der Fraktion des Zentrums von 1871 mit dem folgenden
Passus aus dem Gründungsaufruf der Deutsch-Konservativen Partei vom 12. Juli
187K vergleicht. In ihm heißt es: „Wir wollen die für unser Vaterland
gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne
stärken und ausbauen. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte
Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme
gewahrt werde". Diese Sätze, die sich — nebenbei bemerkt — unverändert
auch in dem sogenannten Tivoliprogramm vom 8. Dezember 1892 finden, sagen
nichts von einem Entgegenwirken wider die Bestrebungen, die geeignet sind, den
föderalistischen Charakter der Reichsverfassung abzuändern; es wird vielmehr
von einer Stärkung und einen: Ausbau der gewonnenen Einheit gesprochen. Es
ist auch nicht die Rede davon, daß von der Selbständigkeit der Einzelstaaten
nicht mehr als unabweislich „geopfert" werden solle; es soll vielmehr nur die
berechtigte Selbständigkeit und die berechtigte Eigenart geschont werden. Damit
wendet die Partei nur den Fundamentalsatz ihres ganzen Programms, nämlich
die Erhaltung dessen, was nach ihrer Ansicht „gut ist und sich als solches bewährt
hat", auf einen bestimmten Fall an. Nun läßt sich ja unzweifelhaft darüber
streiten, was als berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der Staaten anzusehen ist.
Die Deutsch-Konservative Partei ist aber geneigt, berechtigte Eigenart auch dort zu
sehen, wo andere nur wenig berechtigten Partikularismus sehen können. Nimmt
man „ihren legitimistischen Zug", ihre „Wertschätzung überkommener staatlicher
Gewalten" hinzu, so ist es verständlich, wenn die Konservativen sich nicht selten
an der Seite des Zentrums fanden, wo es galt, den Föderalismus über den
Unitarismus zum Siege zu führen. Die Konservative Partei hat nicht immer
die Maxime verfolgt, daß die Einheit des Reiches auszubauen und zu fördern
sei. Direkte Neichssteuern — eine in. E. eminent nationale Forderung — haben
die Konservativen ebenso wie das Zentrum bekämpft; man denke nur an ihre
Stellung zur erweiterten Reichserbschaftssteuer, die eben jetzt wieder in Verbindung
mit der neuen Wehrvorlage erörtert worden ist. Oder man denke an ein anderes
Beispiel: die Vereinheitlichung der Eisenbahnen. Wie sich die Konservativen zu
ihr stellen, hat erst vor kurzer Zeit (30. Januar 1912) der Abg. von Pappenheim
im preußischen Abgeordnetenhaus dargelegt. Er führte aus: Was die Be¬
strebungen auf einen engeren Zusammenschluß der deutschen Eisenbahnen anlange,
die Ausdehnung der bisherigen Wagengemeinschaft zu einer Eisenbahngemein¬
schaft, einer allgemeinen Betriebsgemeinschaft, so seien sie, die Konservativen,
gern bereit, das zu tun, was im Interesse der Sicherheit und Erleichterung des
Betriebes und der Verkehrsverhältnisse liege, aber nur soweit, als nicht die
selbständige Verwaltung der deutschen Eisenbahnen in Frage komme. Sie hielten
sich verpflichtet, die Selbständigkeit der Bundesstaaten mit aller Sorgsamkeit zu
wahren (Beifall rechts), und sie würden alles vermeiden, was bei einer aus-


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[0016] Föderalistische und unitarische Parteien Wie anders jedoch die Deutsch-Konservative Partei dem Reich und dem Neichs- gedcmken gegenübersteht, ergibt sich, wenn man die oben wiedergegebene Stelle aus dem Programm der Fraktion des Zentrums von 1871 mit dem folgenden Passus aus dem Gründungsaufruf der Deutsch-Konservativen Partei vom 12. Juli 187K vergleicht. In ihm heißt es: „Wir wollen die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne stärken und ausbauen. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme gewahrt werde". Diese Sätze, die sich — nebenbei bemerkt — unverändert auch in dem sogenannten Tivoliprogramm vom 8. Dezember 1892 finden, sagen nichts von einem Entgegenwirken wider die Bestrebungen, die geeignet sind, den föderalistischen Charakter der Reichsverfassung abzuändern; es wird vielmehr von einer Stärkung und einen: Ausbau der gewonnenen Einheit gesprochen. Es ist auch nicht die Rede davon, daß von der Selbständigkeit der Einzelstaaten nicht mehr als unabweislich „geopfert" werden solle; es soll vielmehr nur die berechtigte Selbständigkeit und die berechtigte Eigenart geschont werden. Damit wendet die Partei nur den Fundamentalsatz ihres ganzen Programms, nämlich die Erhaltung dessen, was nach ihrer Ansicht „gut ist und sich als solches bewährt hat", auf einen bestimmten Fall an. Nun läßt sich ja unzweifelhaft darüber streiten, was als berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der Staaten anzusehen ist. Die Deutsch-Konservative Partei ist aber geneigt, berechtigte Eigenart auch dort zu sehen, wo andere nur wenig berechtigten Partikularismus sehen können. Nimmt man „ihren legitimistischen Zug", ihre „Wertschätzung überkommener staatlicher Gewalten" hinzu, so ist es verständlich, wenn die Konservativen sich nicht selten an der Seite des Zentrums fanden, wo es galt, den Föderalismus über den Unitarismus zum Siege zu führen. Die Konservative Partei hat nicht immer die Maxime verfolgt, daß die Einheit des Reiches auszubauen und zu fördern sei. Direkte Neichssteuern — eine in. E. eminent nationale Forderung — haben die Konservativen ebenso wie das Zentrum bekämpft; man denke nur an ihre Stellung zur erweiterten Reichserbschaftssteuer, die eben jetzt wieder in Verbindung mit der neuen Wehrvorlage erörtert worden ist. Oder man denke an ein anderes Beispiel: die Vereinheitlichung der Eisenbahnen. Wie sich die Konservativen zu ihr stellen, hat erst vor kurzer Zeit (30. Januar 1912) der Abg. von Pappenheim im preußischen Abgeordnetenhaus dargelegt. Er führte aus: Was die Be¬ strebungen auf einen engeren Zusammenschluß der deutschen Eisenbahnen anlange, die Ausdehnung der bisherigen Wagengemeinschaft zu einer Eisenbahngemein¬ schaft, einer allgemeinen Betriebsgemeinschaft, so seien sie, die Konservativen, gern bereit, das zu tun, was im Interesse der Sicherheit und Erleichterung des Betriebes und der Verkehrsverhältnisse liege, aber nur soweit, als nicht die selbständige Verwaltung der deutschen Eisenbahnen in Frage komme. Sie hielten sich verpflichtet, die Selbständigkeit der Bundesstaaten mit aller Sorgsamkeit zu wahren (Beifall rechts), und sie würden alles vermeiden, was bei einer aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/16>, abgerufen am 23.07.2024.