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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus Gstasien

Bühneneinrichtuug aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Diese besteht
nämlich (wie einstmals auch bei uns, und neuerdings in München wieder
eingeführt) aus einer drehbaren Bühne, so daß der Szenenwechsel durch eine
einfache Umdrehung bewirkt wird. Auch in die Garderobenräume der Schau¬
spieler konnten wir einen flüchtigen Blick werfen. Nicht minder interessant war
es aber auch, das Publikum zu beobachten, mit welch gespannter Aufmerksamkeit
es der Vorstellung und besonders dem Spiele seines vergötterten Meisters folgte.
Bei besonders packenden Stellen machte es seiner Begeisterung durch eigen¬
tümlich krächzende Laute Luft, wie man sie bei uns zu Lande eigentlich nur
beim Zahnarzt zu hören pflegt.

Während wir uns in der Pause nach dem dritten Akte das reizvoll bunte
Treiben im Foyer ansahen, überbrachte uns ein Theaterdiener zwei Photo¬
graphien von Danjuro mit dessen eigenhändiger Unterschrift. Natürlich wurde
das sofort bemerkt, und nun drängte sich alles um uns, Groß und Klein, jeder
wollte das Bild sehen! Aber mit welch feinem Anstand geschah es, mit welch
bescheidener Höflichkeit bei aller Lebhaftigkeit! Es war eine reizende Szene.

Um 3 Uhr verließen wir das Theater, weil wir uns nach diesen 6 Stunden
doch etwas angegriffen und abgespannt fühlten, zumal wir den Hergang auf
der Bühne zugleich mit den Augen verfolgen und uns von unserem Führer
dolmetschen lassen mußten. Dieser Tag war einer von denen, die die Marksteine
im Leben bilden.

Den dritten Tag besichtigten wir das sehr interessante japanische Museum
im herrlichen Uyenoparke und fuhren von dort nach AsÄusa. Das ist eine Art
Würstelprater, wo man echtes unverfälschtes Volksleben kennen lernen kann.
Zahlreiche Schaubuden aller Art sorgen für das Vergnügen des Volkes, besonders
der Kinder, die höchst possierlich sind und wie Puppen aussehen, denen durch
irgend einen Zauber künstliches Leben eingehaucht ward. In Aseckusa ist auch
einer der größten und besuchtesten Tempel der Kuanon, der Göttin der Barm¬
herzigkeit. Scharenweise drängte sich das Volk in den Tempel, besonders Frauen,
die um Kindersegen flehten. Die Priester betreiben, in diesem Tempel einen
schwunghaften Handel mit Amuletten. Draußen vor dem Tempel werden
Vögel und Fische, besonders Aale, feilgehalten, durch deren Freilassung man
ein Buddha wohlgefälliges Werk verrichtet. . .




An seine Schwester.

An Bord des Genkai-maru, den 14. Juni 1898.


Meine liebe Weinandel

Nun schwimmen wir schon wieder seit acht Tagen und haben noch immer
nicht unser Ziel erreicht. Vor Chifu. von wo aus Dir Lilly schrieb, mußten
wir statt vierundzwanzig zweiundfünfzig Stunden liegen, da draußen ein taifun¬
artiger Orkan tobte und infolgedessen kein Schiff den Hafen verlassen durfte.


Briefe aus Gstasien

Bühneneinrichtuug aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Diese besteht
nämlich (wie einstmals auch bei uns, und neuerdings in München wieder
eingeführt) aus einer drehbaren Bühne, so daß der Szenenwechsel durch eine
einfache Umdrehung bewirkt wird. Auch in die Garderobenräume der Schau¬
spieler konnten wir einen flüchtigen Blick werfen. Nicht minder interessant war
es aber auch, das Publikum zu beobachten, mit welch gespannter Aufmerksamkeit
es der Vorstellung und besonders dem Spiele seines vergötterten Meisters folgte.
Bei besonders packenden Stellen machte es seiner Begeisterung durch eigen¬
tümlich krächzende Laute Luft, wie man sie bei uns zu Lande eigentlich nur
beim Zahnarzt zu hören pflegt.

Während wir uns in der Pause nach dem dritten Akte das reizvoll bunte
Treiben im Foyer ansahen, überbrachte uns ein Theaterdiener zwei Photo¬
graphien von Danjuro mit dessen eigenhändiger Unterschrift. Natürlich wurde
das sofort bemerkt, und nun drängte sich alles um uns, Groß und Klein, jeder
wollte das Bild sehen! Aber mit welch feinem Anstand geschah es, mit welch
bescheidener Höflichkeit bei aller Lebhaftigkeit! Es war eine reizende Szene.

Um 3 Uhr verließen wir das Theater, weil wir uns nach diesen 6 Stunden
doch etwas angegriffen und abgespannt fühlten, zumal wir den Hergang auf
der Bühne zugleich mit den Augen verfolgen und uns von unserem Führer
dolmetschen lassen mußten. Dieser Tag war einer von denen, die die Marksteine
im Leben bilden.

Den dritten Tag besichtigten wir das sehr interessante japanische Museum
im herrlichen Uyenoparke und fuhren von dort nach AsÄusa. Das ist eine Art
Würstelprater, wo man echtes unverfälschtes Volksleben kennen lernen kann.
Zahlreiche Schaubuden aller Art sorgen für das Vergnügen des Volkes, besonders
der Kinder, die höchst possierlich sind und wie Puppen aussehen, denen durch
irgend einen Zauber künstliches Leben eingehaucht ward. In Aseckusa ist auch
einer der größten und besuchtesten Tempel der Kuanon, der Göttin der Barm¬
herzigkeit. Scharenweise drängte sich das Volk in den Tempel, besonders Frauen,
die um Kindersegen flehten. Die Priester betreiben, in diesem Tempel einen
schwunghaften Handel mit Amuletten. Draußen vor dem Tempel werden
Vögel und Fische, besonders Aale, feilgehalten, durch deren Freilassung man
ein Buddha wohlgefälliges Werk verrichtet. . .




An seine Schwester.

An Bord des Genkai-maru, den 14. Juni 1898.


Meine liebe Weinandel

Nun schwimmen wir schon wieder seit acht Tagen und haben noch immer
nicht unser Ziel erreicht. Vor Chifu. von wo aus Dir Lilly schrieb, mußten
wir statt vierundzwanzig zweiundfünfzig Stunden liegen, da draußen ein taifun¬
artiger Orkan tobte und infolgedessen kein Schiff den Hafen verlassen durfte.


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[0139] Briefe aus Gstasien Bühneneinrichtuug aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Diese besteht nämlich (wie einstmals auch bei uns, und neuerdings in München wieder eingeführt) aus einer drehbaren Bühne, so daß der Szenenwechsel durch eine einfache Umdrehung bewirkt wird. Auch in die Garderobenräume der Schau¬ spieler konnten wir einen flüchtigen Blick werfen. Nicht minder interessant war es aber auch, das Publikum zu beobachten, mit welch gespannter Aufmerksamkeit es der Vorstellung und besonders dem Spiele seines vergötterten Meisters folgte. Bei besonders packenden Stellen machte es seiner Begeisterung durch eigen¬ tümlich krächzende Laute Luft, wie man sie bei uns zu Lande eigentlich nur beim Zahnarzt zu hören pflegt. Während wir uns in der Pause nach dem dritten Akte das reizvoll bunte Treiben im Foyer ansahen, überbrachte uns ein Theaterdiener zwei Photo¬ graphien von Danjuro mit dessen eigenhändiger Unterschrift. Natürlich wurde das sofort bemerkt, und nun drängte sich alles um uns, Groß und Klein, jeder wollte das Bild sehen! Aber mit welch feinem Anstand geschah es, mit welch bescheidener Höflichkeit bei aller Lebhaftigkeit! Es war eine reizende Szene. Um 3 Uhr verließen wir das Theater, weil wir uns nach diesen 6 Stunden doch etwas angegriffen und abgespannt fühlten, zumal wir den Hergang auf der Bühne zugleich mit den Augen verfolgen und uns von unserem Führer dolmetschen lassen mußten. Dieser Tag war einer von denen, die die Marksteine im Leben bilden. Den dritten Tag besichtigten wir das sehr interessante japanische Museum im herrlichen Uyenoparke und fuhren von dort nach AsÄusa. Das ist eine Art Würstelprater, wo man echtes unverfälschtes Volksleben kennen lernen kann. Zahlreiche Schaubuden aller Art sorgen für das Vergnügen des Volkes, besonders der Kinder, die höchst possierlich sind und wie Puppen aussehen, denen durch irgend einen Zauber künstliches Leben eingehaucht ward. In Aseckusa ist auch einer der größten und besuchtesten Tempel der Kuanon, der Göttin der Barm¬ herzigkeit. Scharenweise drängte sich das Volk in den Tempel, besonders Frauen, die um Kindersegen flehten. Die Priester betreiben, in diesem Tempel einen schwunghaften Handel mit Amuletten. Draußen vor dem Tempel werden Vögel und Fische, besonders Aale, feilgehalten, durch deren Freilassung man ein Buddha wohlgefälliges Werk verrichtet. . . An seine Schwester. An Bord des Genkai-maru, den 14. Juni 1898. Meine liebe Weinandel Nun schwimmen wir schon wieder seit acht Tagen und haben noch immer nicht unser Ziel erreicht. Vor Chifu. von wo aus Dir Lilly schrieb, mußten wir statt vierundzwanzig zweiundfünfzig Stunden liegen, da draußen ein taifun¬ artiger Orkan tobte und infolgedessen kein Schiff den Hafen verlassen durfte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/139>, abgerufen am 23.07.2024.