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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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orden zulassen oder ausschließen; gerade dadurch, daß sie die Forderung des
einen Papstes ausführen, handeln sie unvermeidlich der des anderen zuwider.

Was bleibt in diesem Dilemma, wo die höchsten angeblich von Gott
gesetzten Hüter der römisch-katholischen Kirche sich unversöhnlich widersprechen,
also gänzlich versagen, selbst sür katholische Wähler, Volksvertreter, Regierungen
anders zu tun übrig, als beide päpstlichen Entscheidungen, Forderungen, Drohungen
als sich widersprechend und darum sich gegenseitig ausschaltend zu ignorieren
und sich durch das Studium der Lehren und Taten des Ordens ein auf eigene
Erkenntnis gegründetes Urteil zu bilden? Wer diesen allein richtigen Weg geht, wird
schwerlich zu einem anderen Ergebnis gelangen als Clemens, nämlich zu der Über¬
zeugung; daß der Jesuitenorden durch seine Lehren (namentlich von der Probabilität,
vom geistigen Vorbehalt, von der Lenkung der Absicht beim Handeln) alle Wahrhaftig¬
keit, Treue, Ehrlichkeit untergräbt, Anleitung zur Verlogenheit, Treulosigkeit gibt,
zur Verfolgungswut gegen alles, was er Ketzer nennt, aufreizt und den wahn¬
witzigsten Aberglauben verbreitet. Und wer diese Überzeugung vom Wesen des
Jesuitenordens gewonnen hat, der wird, wenn auch nicht auf die Autorität
Papst Clemens des Vierzehnten hin, so doch in völliger Übereinstimmung mit
dieser sagen: in einem Lande, wo ein festgefügter Orden mit solchen Lehren und
Bestrebungen frei wirken kann, und der noch dazu geleitet wird von einem im
Auslande wohnenden Oberherrn (dem Ordensgeneral in Rom, dem jeder Jesuit
so gut wie blinden Gehorsam schuldet), kann der Friede zwischen den ver¬
schiedenen Konfessionen nicht bestehen, am allerwenigsten in einem Lande von
konfessionell so gemischter Bevölkerung wie Deutschland.

Die Welt hat also erlebt, erstens, daß das Papsttum den Jesuitenorden
hegte, pflegte, förderte wie eins seiner liebsten Kinder. Sie hat zweitens erlebt,
daß es ihn für einen höchst gefährlichen Krebsschaden der katholischen Kirche und
weltlichen Staaten erklärte, der mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden müsse,
und ihn aufhob, weil es kein anderes Mittel gäbe, ihn unschädlich zu machen.
Sie hat drittens erlebt, daß es ihn ein Menschenalter später für ein für das
Wohl der Kirche und Christenheit überaus segensreiches providentielles Geschenk
erklärte und ihn wieder einsetzte trotz des hierfür angedrohten größeren Bannes I

Angesichts solches Schwankens von einem Extrem zum anderen in der¬
selben hochwichtigen kirchlichen Angelegenheit liegt die Frage nahe, ob diese dritte
Stellungnahme nun wohl Roms unwiderruflich letztes Wort in dieser Sache
bleiben wird, oder ob es über kurz oder lang nicht doch wieder zu dem Stand¬
punkt Clemens des Vierzehnten zurückkehren und den Orden wieder in Grund
und Boden verurteilen wird. Mag das nun geschehen oder nicht, auf alle
Fälle steht fest, daß das bestehende deutsche Jesuitengesetz den Wünschen und
Vorschriften Papst Clemens XIV. und des katholischen Klerus seiner Zeit durchaus
entspricht, mithin auch vom katholischen Standpunkte aus nichts Stichhaltiges
dagegen geltend gemacht werden kann.




orden zulassen oder ausschließen; gerade dadurch, daß sie die Forderung des
einen Papstes ausführen, handeln sie unvermeidlich der des anderen zuwider.

Was bleibt in diesem Dilemma, wo die höchsten angeblich von Gott
gesetzten Hüter der römisch-katholischen Kirche sich unversöhnlich widersprechen,
also gänzlich versagen, selbst sür katholische Wähler, Volksvertreter, Regierungen
anders zu tun übrig, als beide päpstlichen Entscheidungen, Forderungen, Drohungen
als sich widersprechend und darum sich gegenseitig ausschaltend zu ignorieren
und sich durch das Studium der Lehren und Taten des Ordens ein auf eigene
Erkenntnis gegründetes Urteil zu bilden? Wer diesen allein richtigen Weg geht, wird
schwerlich zu einem anderen Ergebnis gelangen als Clemens, nämlich zu der Über¬
zeugung; daß der Jesuitenorden durch seine Lehren (namentlich von der Probabilität,
vom geistigen Vorbehalt, von der Lenkung der Absicht beim Handeln) alle Wahrhaftig¬
keit, Treue, Ehrlichkeit untergräbt, Anleitung zur Verlogenheit, Treulosigkeit gibt,
zur Verfolgungswut gegen alles, was er Ketzer nennt, aufreizt und den wahn¬
witzigsten Aberglauben verbreitet. Und wer diese Überzeugung vom Wesen des
Jesuitenordens gewonnen hat, der wird, wenn auch nicht auf die Autorität
Papst Clemens des Vierzehnten hin, so doch in völliger Übereinstimmung mit
dieser sagen: in einem Lande, wo ein festgefügter Orden mit solchen Lehren und
Bestrebungen frei wirken kann, und der noch dazu geleitet wird von einem im
Auslande wohnenden Oberherrn (dem Ordensgeneral in Rom, dem jeder Jesuit
so gut wie blinden Gehorsam schuldet), kann der Friede zwischen den ver¬
schiedenen Konfessionen nicht bestehen, am allerwenigsten in einem Lande von
konfessionell so gemischter Bevölkerung wie Deutschland.

Die Welt hat also erlebt, erstens, daß das Papsttum den Jesuitenorden
hegte, pflegte, förderte wie eins seiner liebsten Kinder. Sie hat zweitens erlebt,
daß es ihn für einen höchst gefährlichen Krebsschaden der katholischen Kirche und
weltlichen Staaten erklärte, der mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden müsse,
und ihn aufhob, weil es kein anderes Mittel gäbe, ihn unschädlich zu machen.
Sie hat drittens erlebt, daß es ihn ein Menschenalter später für ein für das
Wohl der Kirche und Christenheit überaus segensreiches providentielles Geschenk
erklärte und ihn wieder einsetzte trotz des hierfür angedrohten größeren Bannes I

Angesichts solches Schwankens von einem Extrem zum anderen in der¬
selben hochwichtigen kirchlichen Angelegenheit liegt die Frage nahe, ob diese dritte
Stellungnahme nun wohl Roms unwiderruflich letztes Wort in dieser Sache
bleiben wird, oder ob es über kurz oder lang nicht doch wieder zu dem Stand¬
punkt Clemens des Vierzehnten zurückkehren und den Orden wieder in Grund
und Boden verurteilen wird. Mag das nun geschehen oder nicht, auf alle
Fälle steht fest, daß das bestehende deutsche Jesuitengesetz den Wünschen und
Vorschriften Papst Clemens XIV. und des katholischen Klerus seiner Zeit durchaus
entspricht, mithin auch vom katholischen Standpunkte aus nichts Stichhaltiges
dagegen geltend gemacht werden kann.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/127>, abgerufen am 25.08.2024.