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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Rußland, Frankreich und Deutschland

Fürsten Gortschakow kaum Unrecht tun, wenn ich nach meinen mehrere Jahr¬
zehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die persönliche Rivalität
mit mir bei ihm schwerer wog als die Interessen Rußlands: seine Eitelkeit,
seine Eifersucht gegen mich waren größer als sein Patriotismus," Wenn diese
Worte in ihrer ganzen Härte und Schwere auch vielleicht etwas über das Ziel
hinausschießen, so wird man doch von der Menschenkenntnis des Fürsten Bis-
marck erwarten können, daß sie nicht ganz fehlgehen. Was Ssaburow aus
einer den: Landsmann und ehemaligen Vorgesetzten und Lehrmeister schuldigen
Rücksicht diskret verschweigt, muß also nach dieser Richtung hin ergänzt werden:
Gortschakows Politik war eben in hohem Maße auch durch persönliche Eitelkeit
bestimmt und von ihr getragen. Man wird dann auch die Erbitterung ver¬
stehen, von der Fürst Bismarck bei dieser Gelegenheit erfüllt war. Seine
gewaltige Persönlichkeit ließ sich nur schwer ganz in den Bann der diplomatischen
Form zwingen, so sehr er diese auch beherrschte. Es erklärt sich also sehr wohl,
daß es dem zünftigen Diplomaten, der der unbeteiligte Zuhörer bei der Aus¬
sprache der beiden Kanzler war, ohne damals den inneren Zusammenhang der
Dinge ganz zu kennen, so schien, als ob die Überlegenheit diesmal auf feiten
Gortschakows wäre.

Aus der Schilderung von Lord Odo Russell geht hervor, daß er zu seinem
eigenen Erstaunen zu der eigentümlichen Rolle, die er bei dieser Gelegenheit
spielte, durch einen Befehl seiner Negierung veranlaßt wurde. Es erscheint
allerdings einigermaßen auffallend, daß es Gortschakow glückte, die Mitwirkung
Englands zu diesen: diplomatischen Spiel gegen Deutschland zu erlangen. Zur
weiteren Aufklärung fügt Ssaburow daher eine Erzählung hinzu, die er viele
Jahre später ans dem Munde des seinerzeit vielgenannten Pariser Times¬
korrespondenten Blowitz hörte. Dieser erzählte folgendes:

"Einige Zeit vor der Ankunft Kaiser Alexanders in Berlin ließ mich der
Herzog Decazes, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, rufen, um mir zu
sagen: .Sie können mir einen großen Dienst leisten; ernste Nachrichten kommen
aus Berlin; man sucht Streit mit uns wegen unserer Rüstungen. Der Kaiser
von Rußland, an den mir uns gewandt haben, ist geneigt, seine Reise nach
Ems zu benutzen, um einen Aufenthalt in Berlin zu machen und mit seinem
Oheim Kaiser Wilhelm zu sprechen. Aber um eine solche Angelegenheit berühren
zu können, ohne daß es den Anschein hat, als mische man sich in die Angelegen¬
heiten der deutschen Regierung, muß die öffentliche Meinung alarmiert werden;
ganz Europa muß erfahren, daß es sich vielleicht am Vorabend eines Krieges
befindet. Wir können das nicht durch unsere Zeitungen machen; man würde
uns anklagen, eine Intrige angezettelt zu haben, aber die Times, eine englische,
neutrale Zeitung, kann es tun. Wir werden Sie mit allen gewünschten Angaben
versehen/ Ich schrieb an den Herausgeber der Times, um seine Zustimmung
zu erbitten. Er antwortete mir, er könne nicht eine Korrespondenz veröffent¬
lichen, die eine befreundete Regierung beschuldige, sie plane einen räuberischen


Grenzboten II 1912 14
Rußland, Frankreich und Deutschland

Fürsten Gortschakow kaum Unrecht tun, wenn ich nach meinen mehrere Jahr¬
zehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die persönliche Rivalität
mit mir bei ihm schwerer wog als die Interessen Rußlands: seine Eitelkeit,
seine Eifersucht gegen mich waren größer als sein Patriotismus," Wenn diese
Worte in ihrer ganzen Härte und Schwere auch vielleicht etwas über das Ziel
hinausschießen, so wird man doch von der Menschenkenntnis des Fürsten Bis-
marck erwarten können, daß sie nicht ganz fehlgehen. Was Ssaburow aus
einer den: Landsmann und ehemaligen Vorgesetzten und Lehrmeister schuldigen
Rücksicht diskret verschweigt, muß also nach dieser Richtung hin ergänzt werden:
Gortschakows Politik war eben in hohem Maße auch durch persönliche Eitelkeit
bestimmt und von ihr getragen. Man wird dann auch die Erbitterung ver¬
stehen, von der Fürst Bismarck bei dieser Gelegenheit erfüllt war. Seine
gewaltige Persönlichkeit ließ sich nur schwer ganz in den Bann der diplomatischen
Form zwingen, so sehr er diese auch beherrschte. Es erklärt sich also sehr wohl,
daß es dem zünftigen Diplomaten, der der unbeteiligte Zuhörer bei der Aus¬
sprache der beiden Kanzler war, ohne damals den inneren Zusammenhang der
Dinge ganz zu kennen, so schien, als ob die Überlegenheit diesmal auf feiten
Gortschakows wäre.

Aus der Schilderung von Lord Odo Russell geht hervor, daß er zu seinem
eigenen Erstaunen zu der eigentümlichen Rolle, die er bei dieser Gelegenheit
spielte, durch einen Befehl seiner Negierung veranlaßt wurde. Es erscheint
allerdings einigermaßen auffallend, daß es Gortschakow glückte, die Mitwirkung
Englands zu diesen: diplomatischen Spiel gegen Deutschland zu erlangen. Zur
weiteren Aufklärung fügt Ssaburow daher eine Erzählung hinzu, die er viele
Jahre später ans dem Munde des seinerzeit vielgenannten Pariser Times¬
korrespondenten Blowitz hörte. Dieser erzählte folgendes:

„Einige Zeit vor der Ankunft Kaiser Alexanders in Berlin ließ mich der
Herzog Decazes, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, rufen, um mir zu
sagen: .Sie können mir einen großen Dienst leisten; ernste Nachrichten kommen
aus Berlin; man sucht Streit mit uns wegen unserer Rüstungen. Der Kaiser
von Rußland, an den mir uns gewandt haben, ist geneigt, seine Reise nach
Ems zu benutzen, um einen Aufenthalt in Berlin zu machen und mit seinem
Oheim Kaiser Wilhelm zu sprechen. Aber um eine solche Angelegenheit berühren
zu können, ohne daß es den Anschein hat, als mische man sich in die Angelegen¬
heiten der deutschen Regierung, muß die öffentliche Meinung alarmiert werden;
ganz Europa muß erfahren, daß es sich vielleicht am Vorabend eines Krieges
befindet. Wir können das nicht durch unsere Zeitungen machen; man würde
uns anklagen, eine Intrige angezettelt zu haben, aber die Times, eine englische,
neutrale Zeitung, kann es tun. Wir werden Sie mit allen gewünschten Angaben
versehen/ Ich schrieb an den Herausgeber der Times, um seine Zustimmung
zu erbitten. Er antwortete mir, er könne nicht eine Korrespondenz veröffent¬
lichen, die eine befreundete Regierung beschuldige, sie plane einen räuberischen


Grenzboten II 1912 14
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[0117] Rußland, Frankreich und Deutschland Fürsten Gortschakow kaum Unrecht tun, wenn ich nach meinen mehrere Jahr¬ zehnte dauernden Beziehungen zu ihm annehme, daß die persönliche Rivalität mit mir bei ihm schwerer wog als die Interessen Rußlands: seine Eitelkeit, seine Eifersucht gegen mich waren größer als sein Patriotismus," Wenn diese Worte in ihrer ganzen Härte und Schwere auch vielleicht etwas über das Ziel hinausschießen, so wird man doch von der Menschenkenntnis des Fürsten Bis- marck erwarten können, daß sie nicht ganz fehlgehen. Was Ssaburow aus einer den: Landsmann und ehemaligen Vorgesetzten und Lehrmeister schuldigen Rücksicht diskret verschweigt, muß also nach dieser Richtung hin ergänzt werden: Gortschakows Politik war eben in hohem Maße auch durch persönliche Eitelkeit bestimmt und von ihr getragen. Man wird dann auch die Erbitterung ver¬ stehen, von der Fürst Bismarck bei dieser Gelegenheit erfüllt war. Seine gewaltige Persönlichkeit ließ sich nur schwer ganz in den Bann der diplomatischen Form zwingen, so sehr er diese auch beherrschte. Es erklärt sich also sehr wohl, daß es dem zünftigen Diplomaten, der der unbeteiligte Zuhörer bei der Aus¬ sprache der beiden Kanzler war, ohne damals den inneren Zusammenhang der Dinge ganz zu kennen, so schien, als ob die Überlegenheit diesmal auf feiten Gortschakows wäre. Aus der Schilderung von Lord Odo Russell geht hervor, daß er zu seinem eigenen Erstaunen zu der eigentümlichen Rolle, die er bei dieser Gelegenheit spielte, durch einen Befehl seiner Negierung veranlaßt wurde. Es erscheint allerdings einigermaßen auffallend, daß es Gortschakow glückte, die Mitwirkung Englands zu diesen: diplomatischen Spiel gegen Deutschland zu erlangen. Zur weiteren Aufklärung fügt Ssaburow daher eine Erzählung hinzu, die er viele Jahre später ans dem Munde des seinerzeit vielgenannten Pariser Times¬ korrespondenten Blowitz hörte. Dieser erzählte folgendes: „Einige Zeit vor der Ankunft Kaiser Alexanders in Berlin ließ mich der Herzog Decazes, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, rufen, um mir zu sagen: .Sie können mir einen großen Dienst leisten; ernste Nachrichten kommen aus Berlin; man sucht Streit mit uns wegen unserer Rüstungen. Der Kaiser von Rußland, an den mir uns gewandt haben, ist geneigt, seine Reise nach Ems zu benutzen, um einen Aufenthalt in Berlin zu machen und mit seinem Oheim Kaiser Wilhelm zu sprechen. Aber um eine solche Angelegenheit berühren zu können, ohne daß es den Anschein hat, als mische man sich in die Angelegen¬ heiten der deutschen Regierung, muß die öffentliche Meinung alarmiert werden; ganz Europa muß erfahren, daß es sich vielleicht am Vorabend eines Krieges befindet. Wir können das nicht durch unsere Zeitungen machen; man würde uns anklagen, eine Intrige angezettelt zu haben, aber die Times, eine englische, neutrale Zeitung, kann es tun. Wir werden Sie mit allen gewünschten Angaben versehen/ Ich schrieb an den Herausgeber der Times, um seine Zustimmung zu erbitten. Er antwortete mir, er könne nicht eine Korrespondenz veröffent¬ lichen, die eine befreundete Regierung beschuldige, sie plane einen räuberischen Grenzboten II 1912 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/117>, abgerufen am 23.07.2024.