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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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derung dem Fürsten Gortschakow gehörte; er zeigte sich überlegen an Kalt¬
blütigkeit, an Höflichkeit, an Feinheit und, ich muß sagen, an Weite der Gesichts¬
punkte. Fürst Bismarck fühlte sich unbehaglich, wie jemand, der seinen Zorn
verbeißt. Es ist das erste Mal, daß ich ihn in seinen Antworten habe den
kürzeren ziehen sehen. Am folgenden Tage empfing ich den Besuch des Staats >
Sekretärs Vülow. Nach einigen Worten ohne Bedeutung nahm er seine feier¬
lichste Amtsmiene an und machte mir folgende Eröffnung: ,Seine Durchlaucht
der Kanzler beauftragt mich, Herr Botschafter, Eurer Exzellenz sein Bedauern
auszudrücken, daß Ihr Kredit bei Ihrer Negierung nicht so groß ist, wie Seine
Durchlaucht gehofft hatte.' Auf diesen unerwarteten Ausfall erwiderte ich:
,Haben Sie die Güte, meinerseits dem Herrn Kanzler zu antworten, daß auch
ich eine übertriebene Vorstellung von dem Kredit hatte, den Seine Durchlaucht
bei der russischen Regierung besaß/"

Was Bismarck selbst betrifft, so weiß Ssaburow nur eine Äußerung aus
späterer Zeit zu berichten, die sich auf diesen Vorgang bezieht. Bismarck sagte:
"Es ist für mich oft viel schwerer, mich mit meiner eigenen Regierung zu ver¬
ständigen als mit den auswärtigen Regierungen. Wir haben einen Generalstab,
der in beständigem Kriegszustand mit unseren drei Nachbarn ist, auch Österreich
nicht ausgenommen. Das ist ihr Handwerk, aber es ist nicht das meinige.
Im Jahre 1875 gingen unsere Taktiker zu weit, und ich habe dazwischen treten
müssen. Sie fanden, daß Frankreich sich zu früh von seinen Niederlagen erholte.
Glücklicherweise will der Kaiser keinen Krieg, solange er regiert. Trotzdem
wollte ich ihn nicht mit seinem Generalstab allein lassen. Deshalb habe ich
eine Auseinandersetzung mit der französischen Regierung herbeigeführt. Ich wußte
wenigstens, wo ich Halt zu machen hatte, während es die Militärs niemals
wissen." Und erregt fügte er hinzu: "Unglücklicherweise hat Fürst Gortschakow
das nicht verstehen wollen und hat es vorgezogen, einen diplomatischen Erfolg
auf meine Kosten zu erringen."

Wir wissen seitdem aus den "Gedanken und Erinnerungen", wie erbittert
Fürst B'smarck über das Verhalten Gortschakows war. Er war so fest davon
überzeugt, daß ein vertrauensvolles Zusammengehen Deutschlands und Rußlands
den Interessen beider Länder entspräche, und er hatte in der Pflege dieses Ge¬
dankens so viele Beweise seiner unerschütterlichen Loyalität gegeben, daß ihn
eine Verkennung und Durchkreuzung dieses Grundgedankens seiner Politik
empfindlicher als alles andere berührte, zumal da er genau wußte, daß Kaiser
Alexander das Interesse Rußlands anders verstand als sein Kanzler. Er
empfand Gortschakows diplomatische Schachzüge so tief, daß er ihm nicht einmal
das Recht einer abweichenden Meinung über die Interessen seines Landes
zuzugestehen vermochte. Daher widmete er ihm in den "Gedanken und Erinne¬
rungen" das harte Urteil: "Sein persönliches Übelwollen war stärker als sein
russisches Pflichtgefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, sondern Ent¬
fremdung gegen Deutschland und Dank bei Frankreich... Ich werde dem


derung dem Fürsten Gortschakow gehörte; er zeigte sich überlegen an Kalt¬
blütigkeit, an Höflichkeit, an Feinheit und, ich muß sagen, an Weite der Gesichts¬
punkte. Fürst Bismarck fühlte sich unbehaglich, wie jemand, der seinen Zorn
verbeißt. Es ist das erste Mal, daß ich ihn in seinen Antworten habe den
kürzeren ziehen sehen. Am folgenden Tage empfing ich den Besuch des Staats >
Sekretärs Vülow. Nach einigen Worten ohne Bedeutung nahm er seine feier¬
lichste Amtsmiene an und machte mir folgende Eröffnung: ,Seine Durchlaucht
der Kanzler beauftragt mich, Herr Botschafter, Eurer Exzellenz sein Bedauern
auszudrücken, daß Ihr Kredit bei Ihrer Negierung nicht so groß ist, wie Seine
Durchlaucht gehofft hatte.' Auf diesen unerwarteten Ausfall erwiderte ich:
,Haben Sie die Güte, meinerseits dem Herrn Kanzler zu antworten, daß auch
ich eine übertriebene Vorstellung von dem Kredit hatte, den Seine Durchlaucht
bei der russischen Regierung besaß/"

Was Bismarck selbst betrifft, so weiß Ssaburow nur eine Äußerung aus
späterer Zeit zu berichten, die sich auf diesen Vorgang bezieht. Bismarck sagte:
„Es ist für mich oft viel schwerer, mich mit meiner eigenen Regierung zu ver¬
ständigen als mit den auswärtigen Regierungen. Wir haben einen Generalstab,
der in beständigem Kriegszustand mit unseren drei Nachbarn ist, auch Österreich
nicht ausgenommen. Das ist ihr Handwerk, aber es ist nicht das meinige.
Im Jahre 1875 gingen unsere Taktiker zu weit, und ich habe dazwischen treten
müssen. Sie fanden, daß Frankreich sich zu früh von seinen Niederlagen erholte.
Glücklicherweise will der Kaiser keinen Krieg, solange er regiert. Trotzdem
wollte ich ihn nicht mit seinem Generalstab allein lassen. Deshalb habe ich
eine Auseinandersetzung mit der französischen Regierung herbeigeführt. Ich wußte
wenigstens, wo ich Halt zu machen hatte, während es die Militärs niemals
wissen." Und erregt fügte er hinzu: „Unglücklicherweise hat Fürst Gortschakow
das nicht verstehen wollen und hat es vorgezogen, einen diplomatischen Erfolg
auf meine Kosten zu erringen."

Wir wissen seitdem aus den „Gedanken und Erinnerungen", wie erbittert
Fürst B'smarck über das Verhalten Gortschakows war. Er war so fest davon
überzeugt, daß ein vertrauensvolles Zusammengehen Deutschlands und Rußlands
den Interessen beider Länder entspräche, und er hatte in der Pflege dieses Ge¬
dankens so viele Beweise seiner unerschütterlichen Loyalität gegeben, daß ihn
eine Verkennung und Durchkreuzung dieses Grundgedankens seiner Politik
empfindlicher als alles andere berührte, zumal da er genau wußte, daß Kaiser
Alexander das Interesse Rußlands anders verstand als sein Kanzler. Er
empfand Gortschakows diplomatische Schachzüge so tief, daß er ihm nicht einmal
das Recht einer abweichenden Meinung über die Interessen seines Landes
zuzugestehen vermochte. Daher widmete er ihm in den „Gedanken und Erinne¬
rungen" das harte Urteil: „Sein persönliches Übelwollen war stärker als sein
russisches Pflichtgefühl. Er wollte keine Gefälligkeit von uns, sondern Ent¬
fremdung gegen Deutschland und Dank bei Frankreich... Ich werde dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/116>, abgerufen am 25.08.2024.