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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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des Auswärtigen, Herzog Decazes, und der Berliner Botschafter, Herr v. Gontaut-
Biron. beeilten sich, friedliche Versicherungen abzugeben. Anderseits betonten
Kaiser Wilhelm. Fürst Bismarck und der Staatssekretär v, Bülow (der Vater
des späteren Reichskanzlers) an geeigneter Stelle auf das entschiedenste, daß
Deutschland keine Angriffsabsichten habe. Es schien, als ob sich der Sturm
wieder legen werde, als am 21. April Gontaut-Biron bei einem Diner des
englischen Botschafters mit Herrn v, Radowitz (dem späteren Botschafter) zu¬
sammentraf, der als besonderer Vertrauensmann des Fürsten Bismarck galt.
Das Gespräch der beiden Diplomaten bewegte sich anfangs in der Bahn, daß
beide ihre Befriedigung über die glückliche Erledigung des Zwischenfalls aus¬
drückten. Weitere Ausführungen Gontauts über die Haltung der deutschen
Presse veranlaßten indessen Herrn v. Radowitz doch, darauf hinzuweisen, daß
die Ausführungen der deutschen Blätter in wesentlichen Punkten sachlich gerecht¬
fertigt gewesen seien. Der Botschafter faßte dies dahin auf, daß maßgebende
Persönlichkeiten der deutschen Negierung sich den Gedanken eines Präventiv¬
krieges, falls die Krtegsabsicht Frankreichs zweifellos festgestellt erscheine, zu
eigen machten. Er berichtete über die Unterredung eingehend an den Herzog
Decazes, der sich nun unter dem Eindruck der Darstellung Gontauts an die
russische Regierung wandte und ihre Intervention gegen die angeblichen Kriegs¬
gelüste Deutschlands anrief. Hätte Fürst Gortschakow die Politik Rußlands
im Sinne seines Kaisers geführt, so hätte es nur einer kurzen Verständigung
mit Berlin bedurft, um eine Klärung der Lage herbeizuführen. Aber im
System des russischen Kanzlers lag es, die Miene anzunehmen, als glaube er
an die absolute Richtigkeit der französischen Auffassung; er hielt absichtlich den
Schein aufrecht, als habe er ernstlich zwischen Deutschland und Frankreich zu
vermitteln. Er veranlaßte den Kaiser Alexander, auf der bevorstehenden Reise
nach Ems in Berlin Station zu machen und sich mit Kaiser Wilhelm zu
besprechen. Da er selbst den Kaiser begleitete, wußte er es weiter einzurichten, daß
seine eigene Begegnung mit dem Fürsten Bismarck nicht den Charakter einer
vertraulichen Aussprache sondern eines diplomatischen Schritts annahm, indem
er nämlich den englischen Botschafter veranlaßte, dabei zugegen zu sein. Am
13. Mai fand der Besuch Kaiser Alexanders in Berlin statt; er konnte natürlich
nur ergeben, daß kriegerische Absichten Deutschlands überhaupt nicht bestanden
hatten. Aber Gortschakow verharrte in der Rolle, daß dieses Ergebnis die
Frucht der russischen Vermittlung gewesen sei. Er richtete an die russischen
Vertretungen im Auslande ein Zirkular, daß die Aufrechterhaltung des Friedens
gesichert sei, als ob es in seiner Hand gelegen hätte, daß Deutschland Frieden
hielt und Frankreich vor den bösen Gelüsten seines Nachbarn gerettet wurde.

Was nun die Unterredung zwischen Bismarck und Gortschakow in Gegenwart
des englischen Botschafters Lord Odo Russell betrifft, so begnügt sich Ssaburow
damit, die Darstellungen neben einander zu stellen, die er aus dem Munde der
drei Teilnehmer an dieser Unterredung selbst empfangen hat. Sie sind so


des Auswärtigen, Herzog Decazes, und der Berliner Botschafter, Herr v. Gontaut-
Biron. beeilten sich, friedliche Versicherungen abzugeben. Anderseits betonten
Kaiser Wilhelm. Fürst Bismarck und der Staatssekretär v, Bülow (der Vater
des späteren Reichskanzlers) an geeigneter Stelle auf das entschiedenste, daß
Deutschland keine Angriffsabsichten habe. Es schien, als ob sich der Sturm
wieder legen werde, als am 21. April Gontaut-Biron bei einem Diner des
englischen Botschafters mit Herrn v, Radowitz (dem späteren Botschafter) zu¬
sammentraf, der als besonderer Vertrauensmann des Fürsten Bismarck galt.
Das Gespräch der beiden Diplomaten bewegte sich anfangs in der Bahn, daß
beide ihre Befriedigung über die glückliche Erledigung des Zwischenfalls aus¬
drückten. Weitere Ausführungen Gontauts über die Haltung der deutschen
Presse veranlaßten indessen Herrn v. Radowitz doch, darauf hinzuweisen, daß
die Ausführungen der deutschen Blätter in wesentlichen Punkten sachlich gerecht¬
fertigt gewesen seien. Der Botschafter faßte dies dahin auf, daß maßgebende
Persönlichkeiten der deutschen Negierung sich den Gedanken eines Präventiv¬
krieges, falls die Krtegsabsicht Frankreichs zweifellos festgestellt erscheine, zu
eigen machten. Er berichtete über die Unterredung eingehend an den Herzog
Decazes, der sich nun unter dem Eindruck der Darstellung Gontauts an die
russische Regierung wandte und ihre Intervention gegen die angeblichen Kriegs¬
gelüste Deutschlands anrief. Hätte Fürst Gortschakow die Politik Rußlands
im Sinne seines Kaisers geführt, so hätte es nur einer kurzen Verständigung
mit Berlin bedurft, um eine Klärung der Lage herbeizuführen. Aber im
System des russischen Kanzlers lag es, die Miene anzunehmen, als glaube er
an die absolute Richtigkeit der französischen Auffassung; er hielt absichtlich den
Schein aufrecht, als habe er ernstlich zwischen Deutschland und Frankreich zu
vermitteln. Er veranlaßte den Kaiser Alexander, auf der bevorstehenden Reise
nach Ems in Berlin Station zu machen und sich mit Kaiser Wilhelm zu
besprechen. Da er selbst den Kaiser begleitete, wußte er es weiter einzurichten, daß
seine eigene Begegnung mit dem Fürsten Bismarck nicht den Charakter einer
vertraulichen Aussprache sondern eines diplomatischen Schritts annahm, indem
er nämlich den englischen Botschafter veranlaßte, dabei zugegen zu sein. Am
13. Mai fand der Besuch Kaiser Alexanders in Berlin statt; er konnte natürlich
nur ergeben, daß kriegerische Absichten Deutschlands überhaupt nicht bestanden
hatten. Aber Gortschakow verharrte in der Rolle, daß dieses Ergebnis die
Frucht der russischen Vermittlung gewesen sei. Er richtete an die russischen
Vertretungen im Auslande ein Zirkular, daß die Aufrechterhaltung des Friedens
gesichert sei, als ob es in seiner Hand gelegen hätte, daß Deutschland Frieden
hielt und Frankreich vor den bösen Gelüsten seines Nachbarn gerettet wurde.

Was nun die Unterredung zwischen Bismarck und Gortschakow in Gegenwart
des englischen Botschafters Lord Odo Russell betrifft, so begnügt sich Ssaburow
damit, die Darstellungen neben einander zu stellen, die er aus dem Munde der
drei Teilnehmer an dieser Unterredung selbst empfangen hat. Sie sind so


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[0114] des Auswärtigen, Herzog Decazes, und der Berliner Botschafter, Herr v. Gontaut- Biron. beeilten sich, friedliche Versicherungen abzugeben. Anderseits betonten Kaiser Wilhelm. Fürst Bismarck und der Staatssekretär v, Bülow (der Vater des späteren Reichskanzlers) an geeigneter Stelle auf das entschiedenste, daß Deutschland keine Angriffsabsichten habe. Es schien, als ob sich der Sturm wieder legen werde, als am 21. April Gontaut-Biron bei einem Diner des englischen Botschafters mit Herrn v, Radowitz (dem späteren Botschafter) zu¬ sammentraf, der als besonderer Vertrauensmann des Fürsten Bismarck galt. Das Gespräch der beiden Diplomaten bewegte sich anfangs in der Bahn, daß beide ihre Befriedigung über die glückliche Erledigung des Zwischenfalls aus¬ drückten. Weitere Ausführungen Gontauts über die Haltung der deutschen Presse veranlaßten indessen Herrn v. Radowitz doch, darauf hinzuweisen, daß die Ausführungen der deutschen Blätter in wesentlichen Punkten sachlich gerecht¬ fertigt gewesen seien. Der Botschafter faßte dies dahin auf, daß maßgebende Persönlichkeiten der deutschen Negierung sich den Gedanken eines Präventiv¬ krieges, falls die Krtegsabsicht Frankreichs zweifellos festgestellt erscheine, zu eigen machten. Er berichtete über die Unterredung eingehend an den Herzog Decazes, der sich nun unter dem Eindruck der Darstellung Gontauts an die russische Regierung wandte und ihre Intervention gegen die angeblichen Kriegs¬ gelüste Deutschlands anrief. Hätte Fürst Gortschakow die Politik Rußlands im Sinne seines Kaisers geführt, so hätte es nur einer kurzen Verständigung mit Berlin bedurft, um eine Klärung der Lage herbeizuführen. Aber im System des russischen Kanzlers lag es, die Miene anzunehmen, als glaube er an die absolute Richtigkeit der französischen Auffassung; er hielt absichtlich den Schein aufrecht, als habe er ernstlich zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Er veranlaßte den Kaiser Alexander, auf der bevorstehenden Reise nach Ems in Berlin Station zu machen und sich mit Kaiser Wilhelm zu besprechen. Da er selbst den Kaiser begleitete, wußte er es weiter einzurichten, daß seine eigene Begegnung mit dem Fürsten Bismarck nicht den Charakter einer vertraulichen Aussprache sondern eines diplomatischen Schritts annahm, indem er nämlich den englischen Botschafter veranlaßte, dabei zugegen zu sein. Am 13. Mai fand der Besuch Kaiser Alexanders in Berlin statt; er konnte natürlich nur ergeben, daß kriegerische Absichten Deutschlands überhaupt nicht bestanden hatten. Aber Gortschakow verharrte in der Rolle, daß dieses Ergebnis die Frucht der russischen Vermittlung gewesen sei. Er richtete an die russischen Vertretungen im Auslande ein Zirkular, daß die Aufrechterhaltung des Friedens gesichert sei, als ob es in seiner Hand gelegen hätte, daß Deutschland Frieden hielt und Frankreich vor den bösen Gelüsten seines Nachbarn gerettet wurde. Was nun die Unterredung zwischen Bismarck und Gortschakow in Gegenwart des englischen Botschafters Lord Odo Russell betrifft, so begnügt sich Ssaburow damit, die Darstellungen neben einander zu stellen, die er aus dem Munde der drei Teilnehmer an dieser Unterredung selbst empfangen hat. Sie sind so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/114>, abgerufen am 01.10.2024.