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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Erhöhung der Steuern verlieren zu können, werden deshalb gerade Wahl
enlhaltuug üben, oder aber solche Kandidaten wählen, von denen sie annehmen
können, daß diese für eine neue Belastung bestimmter Interessenkreise nicht zu
haben sein werden. Die sogenannte Wahlparole stärkt somit alle die Elemente,
gegen die die Regierung mobil machen möchte, ohne dabei den Freunden der
Regierung die Möglichkeit zu schaffen, identische Parolen auszugeben und für
die große nationale Idee zu wirken. Dazu wäre eine klare Angabe darüber
nötig gewesen, wie die Regierung sich die finanzielle Deckung der Mehr¬
forderungen denkt.

Die Regierung hat denn auch weder den Konservativen noch den Liberalen
mit ihren Äußerungen eine Freude bereitet. Sie hat bei den Agrariern das
Mißtrauen erzeugt, als sollten neue Besitzsteuern kommen, während die sonstigen
Gewerbetreibenden fürchten, eine konservative Mehrheit werde erneut Belastungen
von Handel und Verkehr vornehmen. Die ideellen und ethischen Momente aber
verschwinden zwischen den beiden materiellen Fragen vollständig, und so dürste
die Parole eher eine Radikalisierung als eine Beruhigung zur Folge haben.

Neben der Negierungsparole beansprucht die Stichwahlparole des kon¬
servativen Führers, Herrn v. Heydebrcmd und der Lasa, die größte Beachtung.
Auch sie zielt auf Radikalisierung. Die konservative Partei solle nur denjenigen
Kandidaten anderer Parteien Wahlhilfe leisten, die sich verpflichten, sür einen
lückenlosen Zolltarif einzutreten. Da aber den Bündlern der bestehende Zoll¬
tarif nicht als lückenlos gilt, da sie infolgedessen eine Erhöhung gewisser Zölle
fordern, so kann schlechterdings weder ein liberaler, noch ein konservativer
Kandidat, der nicht Mitglied des Bundes der Landwirte ist, für die Heyde-
brcmdsche Parole eintreten. Es hat infolgedessen nicht erstaunt, daß sowohl die
Nationalliberalen wie die Freikonservativen die Heydebmndsche Parole zurück¬
gewiesen haben. (Auch die Hamburger Nachrichten haben dagegen protestiert.)

Eine glückliche Idee Hendebrands war also die Parole nicht. Auch vom
rein politischen Gesichtspunkte aus nicht! Denn das, was die Agrarier oder
was viele Konservative mit heißem Bemühen seit Monaten betrieben, nämlich
die Trennung des Zentralvcrbcmdes Deutscher Industrieller vom Hansabund,
ist damit stark gefährdet worden.

Wir möchten an die Rede erinnern, die der frühere Generalsekretär Bueck
am 6. Dezember 1910 gehalten hat und die wir s. Zt. in den Grenzboten
näher gewürdigt hatten. Bneck führte aus:

"Es sei nicht wegzuleugnen, daß die Verteuerung der Lebenshaltung der Arbeiter ihren
Grund in den zum Teil übertrieben hohen Zöllen auf Nahrungsmittel habe. Das habe zu
einer fartgesetzten Steigerung der Löhne geführt; nunmehr aber sei die Industrie in dieser
Beziehung an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. In maßgebenden industriellen
Kreisen sei daher ernstlich erwogen worden, bei der konservativen Partei auf Herabsetzung der
Lebensmittelzölle hinzuwirken, wozu die Borbcreitungen zum neue" im Jahre 1917 festzu¬
stellenden Zolltarif Gelegenheit böten, und das um so mehr, als sich die Landwirtschaft in
unbedingt günstiger Lage befinde. ES könne auch keinem Zweifel unterliegen, daß die ganze,


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Erhöhung der Steuern verlieren zu können, werden deshalb gerade Wahl
enlhaltuug üben, oder aber solche Kandidaten wählen, von denen sie annehmen
können, daß diese für eine neue Belastung bestimmter Interessenkreise nicht zu
haben sein werden. Die sogenannte Wahlparole stärkt somit alle die Elemente,
gegen die die Regierung mobil machen möchte, ohne dabei den Freunden der
Regierung die Möglichkeit zu schaffen, identische Parolen auszugeben und für
die große nationale Idee zu wirken. Dazu wäre eine klare Angabe darüber
nötig gewesen, wie die Regierung sich die finanzielle Deckung der Mehr¬
forderungen denkt.

Die Regierung hat denn auch weder den Konservativen noch den Liberalen
mit ihren Äußerungen eine Freude bereitet. Sie hat bei den Agrariern das
Mißtrauen erzeugt, als sollten neue Besitzsteuern kommen, während die sonstigen
Gewerbetreibenden fürchten, eine konservative Mehrheit werde erneut Belastungen
von Handel und Verkehr vornehmen. Die ideellen und ethischen Momente aber
verschwinden zwischen den beiden materiellen Fragen vollständig, und so dürste
die Parole eher eine Radikalisierung als eine Beruhigung zur Folge haben.

Neben der Negierungsparole beansprucht die Stichwahlparole des kon¬
servativen Führers, Herrn v. Heydebrcmd und der Lasa, die größte Beachtung.
Auch sie zielt auf Radikalisierung. Die konservative Partei solle nur denjenigen
Kandidaten anderer Parteien Wahlhilfe leisten, die sich verpflichten, sür einen
lückenlosen Zolltarif einzutreten. Da aber den Bündlern der bestehende Zoll¬
tarif nicht als lückenlos gilt, da sie infolgedessen eine Erhöhung gewisser Zölle
fordern, so kann schlechterdings weder ein liberaler, noch ein konservativer
Kandidat, der nicht Mitglied des Bundes der Landwirte ist, für die Heyde-
brcmdsche Parole eintreten. Es hat infolgedessen nicht erstaunt, daß sowohl die
Nationalliberalen wie die Freikonservativen die Heydebmndsche Parole zurück¬
gewiesen haben. (Auch die Hamburger Nachrichten haben dagegen protestiert.)

Eine glückliche Idee Hendebrands war also die Parole nicht. Auch vom
rein politischen Gesichtspunkte aus nicht! Denn das, was die Agrarier oder
was viele Konservative mit heißem Bemühen seit Monaten betrieben, nämlich
die Trennung des Zentralvcrbcmdes Deutscher Industrieller vom Hansabund,
ist damit stark gefährdet worden.

Wir möchten an die Rede erinnern, die der frühere Generalsekretär Bueck
am 6. Dezember 1910 gehalten hat und die wir s. Zt. in den Grenzboten
näher gewürdigt hatten. Bneck führte aus:

„Es sei nicht wegzuleugnen, daß die Verteuerung der Lebenshaltung der Arbeiter ihren
Grund in den zum Teil übertrieben hohen Zöllen auf Nahrungsmittel habe. Das habe zu
einer fartgesetzten Steigerung der Löhne geführt; nunmehr aber sei die Industrie in dieser
Beziehung an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. In maßgebenden industriellen
Kreisen sei daher ernstlich erwogen worden, bei der konservativen Partei auf Herabsetzung der
Lebensmittelzölle hinzuwirken, wozu die Borbcreitungen zum neue» im Jahre 1917 festzu¬
stellenden Zolltarif Gelegenheit böten, und das um so mehr, als sich die Landwirtschaft in
unbedingt günstiger Lage befinde. ES könne auch keinem Zweifel unterliegen, daß die ganze,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/99>, abgerufen am 27.09.2024.