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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus perfien

der häßlichen Steinhäuser und Wellblechbaracken los werden, die der fremde
Eroberer dort draußen errichtete. Sähe der persische Dichter Firdusi die hä߬
liche europäische Dutzendware, die heute in den alten schönen Basaren an die
Stelle der Schütze des Orients getreten ist, er sänge nicht wie vor 900 Jahren:
"Für ein Lächeln auf deinen Lippen gäbe ich alle Schätze Bucharas und Samara
lands." Mit dem Augenblick, an dem ein Volk von Fremden abhängig wird,
ist es kulturell tot. Was übrig bleibt, ist nur ein in der Vergangenheit
wurzelndes Scheinleben. Ist die Unabhängigkeit Perstens auch noch so
fadenscheinig geworden, sie deckt noch immer eigenes Leben und selbständige
Entwicklung.

... Ich steige einen kahlen, steinigen Hang hinauf. Nirgends ein grüner
Fleck, nicht einmal der kleinste Grashalm, auf dem das Auge sich ausruhen
könnte inmitten des erbarmungslosen, von allen Seiten reflektierten Sonnen¬
lichts. Eine graubraune Lehmmauer, deren Farbe sich in nichts von der ein¬
tönigen Umgebung abhebt, taucht auf. Ich trete in den Garten, der sich hinter
der großen Mauer versteckt -- und wie mit einem Zauberschlage hat sich alles
geändert. Draußen zittert die Luft in der brennenden Mittagsglut, hier herrscht
wunderbare Kühle; draußen war das Auge geblendet vom grellen Licht, hier
taucht es in dunkle, grüne Schatten. Draußen war alles starr und tot, hier
ertönt das Rauschen des Wassers und das Singen der Vögel. Nur aus der
Umgebung, aus der Natur dieses Landes heraus läßt sich der Zauber persischer
Gärten, lassen sich die begeisterten Lieder, die persische Dichter ihnen weihten,
verstehen. Wodurch läßt sich nur die geheimnisvolle Kraft des Orients erklären,
der jeden in seinen Bann schlägt, der einmal von seinen Reizen gekostet hat?
Habe ich wochenlang das öde Hochland Irans durchzogen, hat mich der tägliche
Kampf nut Maultiertreibern und Karawansereiinhabern, der Mangel jeglichen
Komforts mürbe gemacht, so fange ich an, mich nach dem heimischen Leben zu
sehnen, und denke wohl gar: Das ist nun wirklich das letzte Mal, daß du dich
all dem aussetzt. Aber der Bann ist nicht zu brechen. Bin ich wirklich zu
Kultur und Komfort zurückgekehrt, so erwacht mit erneuter Kraft die Sehnsucht
nach dem freien Leben hier draußen. Im Ohr hallt der dumpfe Klang der
Karawanenglocken, und im Traume erscheinen die langen Reihen stolz einher¬
schreitender Kamele, die langsam und feierlich durch öde Wüsten und über
steinige Pässe ziehen.

Stellen Sie sich ein Bild vor, dessen Großartigkeit ich allerdings nur an¬
deuten, nie erschöpfend beschreiben kann: Hoch über Teheran erhebt sich, den
ganzen nördlichen Horizont abschließend, die gewaltige Kette des Elbursgebirges,
im Nordosten überragt von dem spitzen Horn der Demawänd, des alten, jetzt
erloschenen Vulkans. Nach dem ersten Schneefall taucht allabendlich die unter¬
gehende Sonne die weißen Berge in ein Meer von Farben, vom zartesten Rosa
bis zum dunkelsten Rot. Wenn aber der letzte Schein auf den näherliegenden
Höhen erloschen ist, wenn das warme Not einem kalten Blau gewichen ist, wenn


Briefe aus perfien

der häßlichen Steinhäuser und Wellblechbaracken los werden, die der fremde
Eroberer dort draußen errichtete. Sähe der persische Dichter Firdusi die hä߬
liche europäische Dutzendware, die heute in den alten schönen Basaren an die
Stelle der Schütze des Orients getreten ist, er sänge nicht wie vor 900 Jahren:
„Für ein Lächeln auf deinen Lippen gäbe ich alle Schätze Bucharas und Samara
lands." Mit dem Augenblick, an dem ein Volk von Fremden abhängig wird,
ist es kulturell tot. Was übrig bleibt, ist nur ein in der Vergangenheit
wurzelndes Scheinleben. Ist die Unabhängigkeit Perstens auch noch so
fadenscheinig geworden, sie deckt noch immer eigenes Leben und selbständige
Entwicklung.

... Ich steige einen kahlen, steinigen Hang hinauf. Nirgends ein grüner
Fleck, nicht einmal der kleinste Grashalm, auf dem das Auge sich ausruhen
könnte inmitten des erbarmungslosen, von allen Seiten reflektierten Sonnen¬
lichts. Eine graubraune Lehmmauer, deren Farbe sich in nichts von der ein¬
tönigen Umgebung abhebt, taucht auf. Ich trete in den Garten, der sich hinter
der großen Mauer versteckt — und wie mit einem Zauberschlage hat sich alles
geändert. Draußen zittert die Luft in der brennenden Mittagsglut, hier herrscht
wunderbare Kühle; draußen war das Auge geblendet vom grellen Licht, hier
taucht es in dunkle, grüne Schatten. Draußen war alles starr und tot, hier
ertönt das Rauschen des Wassers und das Singen der Vögel. Nur aus der
Umgebung, aus der Natur dieses Landes heraus läßt sich der Zauber persischer
Gärten, lassen sich die begeisterten Lieder, die persische Dichter ihnen weihten,
verstehen. Wodurch läßt sich nur die geheimnisvolle Kraft des Orients erklären,
der jeden in seinen Bann schlägt, der einmal von seinen Reizen gekostet hat?
Habe ich wochenlang das öde Hochland Irans durchzogen, hat mich der tägliche
Kampf nut Maultiertreibern und Karawansereiinhabern, der Mangel jeglichen
Komforts mürbe gemacht, so fange ich an, mich nach dem heimischen Leben zu
sehnen, und denke wohl gar: Das ist nun wirklich das letzte Mal, daß du dich
all dem aussetzt. Aber der Bann ist nicht zu brechen. Bin ich wirklich zu
Kultur und Komfort zurückgekehrt, so erwacht mit erneuter Kraft die Sehnsucht
nach dem freien Leben hier draußen. Im Ohr hallt der dumpfe Klang der
Karawanenglocken, und im Traume erscheinen die langen Reihen stolz einher¬
schreitender Kamele, die langsam und feierlich durch öde Wüsten und über
steinige Pässe ziehen.

Stellen Sie sich ein Bild vor, dessen Großartigkeit ich allerdings nur an¬
deuten, nie erschöpfend beschreiben kann: Hoch über Teheran erhebt sich, den
ganzen nördlichen Horizont abschließend, die gewaltige Kette des Elbursgebirges,
im Nordosten überragt von dem spitzen Horn der Demawänd, des alten, jetzt
erloschenen Vulkans. Nach dem ersten Schneefall taucht allabendlich die unter¬
gehende Sonne die weißen Berge in ein Meer von Farben, vom zartesten Rosa
bis zum dunkelsten Rot. Wenn aber der letzte Schein auf den näherliegenden
Höhen erloschen ist, wenn das warme Not einem kalten Blau gewichen ist, wenn


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[0081] Briefe aus perfien der häßlichen Steinhäuser und Wellblechbaracken los werden, die der fremde Eroberer dort draußen errichtete. Sähe der persische Dichter Firdusi die hä߬ liche europäische Dutzendware, die heute in den alten schönen Basaren an die Stelle der Schütze des Orients getreten ist, er sänge nicht wie vor 900 Jahren: „Für ein Lächeln auf deinen Lippen gäbe ich alle Schätze Bucharas und Samara lands." Mit dem Augenblick, an dem ein Volk von Fremden abhängig wird, ist es kulturell tot. Was übrig bleibt, ist nur ein in der Vergangenheit wurzelndes Scheinleben. Ist die Unabhängigkeit Perstens auch noch so fadenscheinig geworden, sie deckt noch immer eigenes Leben und selbständige Entwicklung. ... Ich steige einen kahlen, steinigen Hang hinauf. Nirgends ein grüner Fleck, nicht einmal der kleinste Grashalm, auf dem das Auge sich ausruhen könnte inmitten des erbarmungslosen, von allen Seiten reflektierten Sonnen¬ lichts. Eine graubraune Lehmmauer, deren Farbe sich in nichts von der ein¬ tönigen Umgebung abhebt, taucht auf. Ich trete in den Garten, der sich hinter der großen Mauer versteckt — und wie mit einem Zauberschlage hat sich alles geändert. Draußen zittert die Luft in der brennenden Mittagsglut, hier herrscht wunderbare Kühle; draußen war das Auge geblendet vom grellen Licht, hier taucht es in dunkle, grüne Schatten. Draußen war alles starr und tot, hier ertönt das Rauschen des Wassers und das Singen der Vögel. Nur aus der Umgebung, aus der Natur dieses Landes heraus läßt sich der Zauber persischer Gärten, lassen sich die begeisterten Lieder, die persische Dichter ihnen weihten, verstehen. Wodurch läßt sich nur die geheimnisvolle Kraft des Orients erklären, der jeden in seinen Bann schlägt, der einmal von seinen Reizen gekostet hat? Habe ich wochenlang das öde Hochland Irans durchzogen, hat mich der tägliche Kampf nut Maultiertreibern und Karawansereiinhabern, der Mangel jeglichen Komforts mürbe gemacht, so fange ich an, mich nach dem heimischen Leben zu sehnen, und denke wohl gar: Das ist nun wirklich das letzte Mal, daß du dich all dem aussetzt. Aber der Bann ist nicht zu brechen. Bin ich wirklich zu Kultur und Komfort zurückgekehrt, so erwacht mit erneuter Kraft die Sehnsucht nach dem freien Leben hier draußen. Im Ohr hallt der dumpfe Klang der Karawanenglocken, und im Traume erscheinen die langen Reihen stolz einher¬ schreitender Kamele, die langsam und feierlich durch öde Wüsten und über steinige Pässe ziehen. Stellen Sie sich ein Bild vor, dessen Großartigkeit ich allerdings nur an¬ deuten, nie erschöpfend beschreiben kann: Hoch über Teheran erhebt sich, den ganzen nördlichen Horizont abschließend, die gewaltige Kette des Elbursgebirges, im Nordosten überragt von dem spitzen Horn der Demawänd, des alten, jetzt erloschenen Vulkans. Nach dem ersten Schneefall taucht allabendlich die unter¬ gehende Sonne die weißen Berge in ein Meer von Farben, vom zartesten Rosa bis zum dunkelsten Rot. Wenn aber der letzte Schein auf den näherliegenden Höhen erloschen ist, wenn das warme Not einem kalten Blau gewichen ist, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/81>, abgerufen am 27.09.2024.