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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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flehte lind die älteren Romantiker

Dann weil es Zurechnung wollte, Verdienst und Schuld an seinem Werden und
seinem einzelnen Handeln in der Welt. Dies wollte es eigentlich; und nun --
wie fern ist es davon, es noch zu wollen!" Das Ich muß nun das Unendliche
als das ursprünglich Geistige anerkennen, und es beruhigt sich dabei, daß es
auch' damit in das absolute Unbegreifliche hineinfällt. Die Stimme des Gewissens
aber nennt Schleiermacher ganz wie in den "Reden" die Offenbarungen des
Unendlichen in einzelnen Anschauungen des Endlichen, "den Strahl, an welche:"
wir aus dem Unendlichen ausgehen und als einzelne und besondere Wesen hin¬
gestellt werden". Dies ist die "verzwickte" Rezension. Ihr Ergebnis ist einfach
genug. Wir aber sagen in Übereinstimmung mit ihrem Verfasser, daß der
Schwindelbau Fichtes von 1794 für ihn selbst nicht ausgehalten hat. Schon
die äußeren Geschehnisse, besonders des Jahres 1799, wirkten auf den Zusammen-
bruch hin. Fichte sah sein eigenes Ich unaufhaltsam von dem Strome der
Zeit fortgerissen; der Versuch, sich unter allen Umständen durchzusetzen gegen
fremde Mächte, war gescheitert. Das sagt uns vor allem die Stimmung der
Briefe, die er während und nach der Krisis in Jena geschrieben hat. Kant
sagte sich mit dürren Worten von ihm los. Nun mußte er sich mit den
Trümmern seines Ich der Wissenschaftslehre mühsam wieder anzubauen suchen,
und es ist vor allem hieraus zu erklären, daß er dem Geiste der Zeit Rechnung
tragend sich jetzt der Religion zuwandte.

Schleiermachers Religion ist eine Selbstbetrachtung im eigentlichen Sinne.
Sein Blick richtet sich nach innen; aber er sucht dort nichts zu bestimmen,
sondern beobachtet mehr die Erfahrungstatsachen des Gefühlslebens und hat
einen tiefen Sinn für eigene und fremde Individualität. Die Eigentümlichkeit
des Einzelwesens interessiert ihn, nicht "die unwürdige Einzelheit des sinnlichen
tierischen Lebens", sondern "die besondere geistige Gestalt des Menschen zugleich
mit demi Bewußtsein der allgemeinen Menschheit". Diese freie Verbindung von
Allgemeinheit und Einzelheit, die "Einheit in der Vielheit", wie er sie in den
"Reden" nennt, finden wir wieder in den "Monologen", die 1800 erschienen
find. Schleiermachers Einheit und Totalität des Universums hat aber nichts
zu tun mit der alles Mannigfaltige vernichtenden Einheit des absoluten Ich.
Allerdings, wenn man ihn an anderen Stellen reden hört von der Einheit
unseres Wesens, "das weder das Tun, noch das Wissen um sein Tun entbehren
kann", oder von der Identität des Selbstbewußtseins, so könnte man doch an
einen unmerklichen Einfluß Fichtes, vielleicht auf dem Wege über Hülsen, glauben.
Aber es ist nur eine leise Berührung und jene Einheit wird doch nur gefunden
in einem sonst fließenden vergänglichen Bewußtsein. Schleiermachers "Anschauung
des Universums" ist eben eine ganz freie, reine Kontemplation, die nichts
empirisch Gegebenes aufheben will, sondern nur einen alles verbindenden Sinn
sucht. Diese Anschauung ist in den Monologen aus dem dunklen Gefühl in
das hellere Licht der Vernunft gerückt. Sie will ihr Objekt, das Universum
und seine Einzelheiten, nicht nach ihrem Willen zwingen und Systematisieren,


Grenzboten I 1912 S
flehte lind die älteren Romantiker

Dann weil es Zurechnung wollte, Verdienst und Schuld an seinem Werden und
seinem einzelnen Handeln in der Welt. Dies wollte es eigentlich; und nun —
wie fern ist es davon, es noch zu wollen!" Das Ich muß nun das Unendliche
als das ursprünglich Geistige anerkennen, und es beruhigt sich dabei, daß es
auch' damit in das absolute Unbegreifliche hineinfällt. Die Stimme des Gewissens
aber nennt Schleiermacher ganz wie in den „Reden" die Offenbarungen des
Unendlichen in einzelnen Anschauungen des Endlichen, „den Strahl, an welche:»
wir aus dem Unendlichen ausgehen und als einzelne und besondere Wesen hin¬
gestellt werden". Dies ist die „verzwickte" Rezension. Ihr Ergebnis ist einfach
genug. Wir aber sagen in Übereinstimmung mit ihrem Verfasser, daß der
Schwindelbau Fichtes von 1794 für ihn selbst nicht ausgehalten hat. Schon
die äußeren Geschehnisse, besonders des Jahres 1799, wirkten auf den Zusammen-
bruch hin. Fichte sah sein eigenes Ich unaufhaltsam von dem Strome der
Zeit fortgerissen; der Versuch, sich unter allen Umständen durchzusetzen gegen
fremde Mächte, war gescheitert. Das sagt uns vor allem die Stimmung der
Briefe, die er während und nach der Krisis in Jena geschrieben hat. Kant
sagte sich mit dürren Worten von ihm los. Nun mußte er sich mit den
Trümmern seines Ich der Wissenschaftslehre mühsam wieder anzubauen suchen,
und es ist vor allem hieraus zu erklären, daß er dem Geiste der Zeit Rechnung
tragend sich jetzt der Religion zuwandte.

Schleiermachers Religion ist eine Selbstbetrachtung im eigentlichen Sinne.
Sein Blick richtet sich nach innen; aber er sucht dort nichts zu bestimmen,
sondern beobachtet mehr die Erfahrungstatsachen des Gefühlslebens und hat
einen tiefen Sinn für eigene und fremde Individualität. Die Eigentümlichkeit
des Einzelwesens interessiert ihn, nicht „die unwürdige Einzelheit des sinnlichen
tierischen Lebens", sondern „die besondere geistige Gestalt des Menschen zugleich
mit demi Bewußtsein der allgemeinen Menschheit". Diese freie Verbindung von
Allgemeinheit und Einzelheit, die „Einheit in der Vielheit", wie er sie in den
„Reden" nennt, finden wir wieder in den „Monologen", die 1800 erschienen
find. Schleiermachers Einheit und Totalität des Universums hat aber nichts
zu tun mit der alles Mannigfaltige vernichtenden Einheit des absoluten Ich.
Allerdings, wenn man ihn an anderen Stellen reden hört von der Einheit
unseres Wesens, „das weder das Tun, noch das Wissen um sein Tun entbehren
kann", oder von der Identität des Selbstbewußtseins, so könnte man doch an
einen unmerklichen Einfluß Fichtes, vielleicht auf dem Wege über Hülsen, glauben.
Aber es ist nur eine leise Berührung und jene Einheit wird doch nur gefunden
in einem sonst fließenden vergänglichen Bewußtsein. Schleiermachers „Anschauung
des Universums" ist eben eine ganz freie, reine Kontemplation, die nichts
empirisch Gegebenes aufheben will, sondern nur einen alles verbindenden Sinn
sucht. Diese Anschauung ist in den Monologen aus dem dunklen Gefühl in
das hellere Licht der Vernunft gerückt. Sie will ihr Objekt, das Universum
und seine Einzelheiten, nicht nach ihrem Willen zwingen und Systematisieren,


Grenzboten I 1912 S
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/77>, abgerufen am 28.09.2024.