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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lichte und die älteren Romantiker

dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das
Gegengewicht hält und ihn einen höheren Idealismus ahnen läßt als den,
welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das
Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint. Er wird es herabwürdigen
zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eigenen
Beschränktheit." So hat Schleiermacher der Versuchung widerstanden, mit Fichte
zu paktieren, und die Religion ist ihm ein freies, fließendes Element geblieben.
Über die Köpfe von Fichte und Kant hinweg reicht er Spinoza die Hand:
"Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und
Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe." Freiheit und Harmonie,
d. i. "Einheit in der Vielheit" sucht Schleiermacher wie Hülsen in: Universum;
aber "geraubt hat der Mensch", sagt jener, "das Gefühl seiner Unendlichkeit
und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn
er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen
Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unerme߬
lichen". Dennoch sind beide sich später so nahe gekommen, weil Hülsens
Anschauung im Grunde ebenso religiös war. Nur das Fichtesche Ich stand im
Anfang störend zwischen ihnen.

In der Rezension von Fichtes "Bestimmung des Menschen" im Athenäum
von 1800 äußert Schleiermacher sich direkt zu dessen Philosophie. Es sind
gewundene Gedankengänge, in denen er ihm folgt und merkwürdige Widersprüche
zur Wissenschaftslehre findet. Mit Recht wundert er sich, daß Fichte auf seinem
Weg von der äußeren Natur und ihrem Zusammenhang anscheinend gar nicht
auf den Idealismus geführt wird, sondern auf die innere Stimme des Gewissens,
daß er also seine früher entwickelten Theorien gar nicht für seine Ethik ver¬
wendet. Deutlich genug sprechen folgende Worte: "Wenn der theoretische
Idealismus für deu, der sich außer der Schule befindet, nur dient, um die
Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche die realistische Spekulation seinem
Gelangen zum Bewußtsein der Freiheit verursachen könnte: so ist er ihm wahrlich
überall nicht brauchbar, weil ja jene Spekulation nur eine Verkünstelung des
Verstandes ist und außer der Schule ebenfalls nicht vorkommen kann." Dann
nimmt er zwar die Wissenschaftslehre gegen Fichte selbst in Schutz, indem er
meint, man müsse wohl auch vom Moralismus, sobald man nur über ihn
denken wolle, notwendig auf den Idealismus kommen. Aber für seine eigene
Anschauung kommt doch etwas ganz anderes bei dieser Rezension heraus, als
was man in der Fichteschen Spekulation finden könnte: die Nichtigkeit des Ich
im Verhältnis zu einem Übersinnlich - Unendlichen, Unbegreiflichen. Zuletzt
fragt der Rezensent: "Ob denn das Ich wirklich am Ende die ganze Denkart
und das ganze System des Geistes so umfaßt und erschöpft hat, als es von
sich rühmt? Weshalb erschrak es denn so gewaltig vor jenem System der
allgemeinen Naturnotwendigkeit? Weil seine Liebe dabei verloren gehen mußte,
sein Interesse an sich selbst, an seiner Persönlichkeit als endlichem Wesen. . .


Lichte und die älteren Romantiker

dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das
Gegengewicht hält und ihn einen höheren Idealismus ahnen läßt als den,
welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das
Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint. Er wird es herabwürdigen
zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eigenen
Beschränktheit." So hat Schleiermacher der Versuchung widerstanden, mit Fichte
zu paktieren, und die Religion ist ihm ein freies, fließendes Element geblieben.
Über die Köpfe von Fichte und Kant hinweg reicht er Spinoza die Hand:
„Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und
Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe." Freiheit und Harmonie,
d. i. „Einheit in der Vielheit" sucht Schleiermacher wie Hülsen in: Universum;
aber „geraubt hat der Mensch", sagt jener, „das Gefühl seiner Unendlichkeit
und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn
er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen
Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unerme߬
lichen". Dennoch sind beide sich später so nahe gekommen, weil Hülsens
Anschauung im Grunde ebenso religiös war. Nur das Fichtesche Ich stand im
Anfang störend zwischen ihnen.

In der Rezension von Fichtes „Bestimmung des Menschen" im Athenäum
von 1800 äußert Schleiermacher sich direkt zu dessen Philosophie. Es sind
gewundene Gedankengänge, in denen er ihm folgt und merkwürdige Widersprüche
zur Wissenschaftslehre findet. Mit Recht wundert er sich, daß Fichte auf seinem
Weg von der äußeren Natur und ihrem Zusammenhang anscheinend gar nicht
auf den Idealismus geführt wird, sondern auf die innere Stimme des Gewissens,
daß er also seine früher entwickelten Theorien gar nicht für seine Ethik ver¬
wendet. Deutlich genug sprechen folgende Worte: „Wenn der theoretische
Idealismus für deu, der sich außer der Schule befindet, nur dient, um die
Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche die realistische Spekulation seinem
Gelangen zum Bewußtsein der Freiheit verursachen könnte: so ist er ihm wahrlich
überall nicht brauchbar, weil ja jene Spekulation nur eine Verkünstelung des
Verstandes ist und außer der Schule ebenfalls nicht vorkommen kann." Dann
nimmt er zwar die Wissenschaftslehre gegen Fichte selbst in Schutz, indem er
meint, man müsse wohl auch vom Moralismus, sobald man nur über ihn
denken wolle, notwendig auf den Idealismus kommen. Aber für seine eigene
Anschauung kommt doch etwas ganz anderes bei dieser Rezension heraus, als
was man in der Fichteschen Spekulation finden könnte: die Nichtigkeit des Ich
im Verhältnis zu einem Übersinnlich - Unendlichen, Unbegreiflichen. Zuletzt
fragt der Rezensent: „Ob denn das Ich wirklich am Ende die ganze Denkart
und das ganze System des Geistes so umfaßt und erschöpft hat, als es von
sich rühmt? Weshalb erschrak es denn so gewaltig vor jenem System der
allgemeinen Naturnotwendigkeit? Weil seine Liebe dabei verloren gehen mußte,
sein Interesse an sich selbst, an seiner Persönlichkeit als endlichem Wesen. . .


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[0076] Lichte und die älteren Romantiker dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das Gegengewicht hält und ihn einen höheren Idealismus ahnen läßt als den, welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint. Er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eigenen Beschränktheit." So hat Schleiermacher der Versuchung widerstanden, mit Fichte zu paktieren, und die Religion ist ihm ein freies, fließendes Element geblieben. Über die Köpfe von Fichte und Kant hinweg reicht er Spinoza die Hand: „Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe." Freiheit und Harmonie, d. i. „Einheit in der Vielheit" sucht Schleiermacher wie Hülsen in: Universum; aber „geraubt hat der Mensch", sagt jener, „das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unerme߬ lichen". Dennoch sind beide sich später so nahe gekommen, weil Hülsens Anschauung im Grunde ebenso religiös war. Nur das Fichtesche Ich stand im Anfang störend zwischen ihnen. In der Rezension von Fichtes „Bestimmung des Menschen" im Athenäum von 1800 äußert Schleiermacher sich direkt zu dessen Philosophie. Es sind gewundene Gedankengänge, in denen er ihm folgt und merkwürdige Widersprüche zur Wissenschaftslehre findet. Mit Recht wundert er sich, daß Fichte auf seinem Weg von der äußeren Natur und ihrem Zusammenhang anscheinend gar nicht auf den Idealismus geführt wird, sondern auf die innere Stimme des Gewissens, daß er also seine früher entwickelten Theorien gar nicht für seine Ethik ver¬ wendet. Deutlich genug sprechen folgende Worte: „Wenn der theoretische Idealismus für deu, der sich außer der Schule befindet, nur dient, um die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche die realistische Spekulation seinem Gelangen zum Bewußtsein der Freiheit verursachen könnte: so ist er ihm wahrlich überall nicht brauchbar, weil ja jene Spekulation nur eine Verkünstelung des Verstandes ist und außer der Schule ebenfalls nicht vorkommen kann." Dann nimmt er zwar die Wissenschaftslehre gegen Fichte selbst in Schutz, indem er meint, man müsse wohl auch vom Moralismus, sobald man nur über ihn denken wolle, notwendig auf den Idealismus kommen. Aber für seine eigene Anschauung kommt doch etwas ganz anderes bei dieser Rezension heraus, als was man in der Fichteschen Spekulation finden könnte: die Nichtigkeit des Ich im Verhältnis zu einem Übersinnlich - Unendlichen, Unbegreiflichen. Zuletzt fragt der Rezensent: „Ob denn das Ich wirklich am Ende die ganze Denkart und das ganze System des Geistes so umfaßt und erschöpft hat, als es von sich rühmt? Weshalb erschrak es denn so gewaltig vor jenem System der allgemeinen Naturnotwendigkeit? Weil seine Liebe dabei verloren gehen mußte, sein Interesse an sich selbst, an seiner Persönlichkeit als endlichem Wesen. . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/76>, abgerufen am 28.09.2024.