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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichte und die älteren Romantiker

Gott sein." Das ist zwar bloß Referat, aber keine Ironie. In folgendem
zeigt sich dann die völlige Übereinstimmung mit Friedrich Schlegels universa¬
listischer Theorie: "Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den
ursprünglichen Sinn wieder. Das niedere Selbst wird mit einem besseren
Selbst in dieser Operation identifiziert." Also hier derselbe deutliche Zusammen¬
hang zwischen romantischer Poesie und Fichtescher Philosophie wie bei Schlegel.
Man mochte wirklich damals glauben, daß ein Zustand des ewigen Friedens,
eine Art tausendjähriges Reich des Geistes nicht mehr seri? sei. Arbeitet doch
auch Kant darauf hin. --

Durch das Leben des Dichters Novalis geht ein tiefer Sinn, der überall,
und aus den wunderlichsten Äußerungen oft am schönsten hervorleuchtet. Über
seine magische Welt aber fällt von oben her die nüchterne Helle des Kant-
Fichteschen Vernunft- und Moralsustems und macht die Gestalten dieser Welt
zu blaßgrauen Schemen. Sonst aber spricht zu uns ein wunderbar tiefes
Gefühl; es dringt herauf wie das Rauschen eines unterirdischen Stromes in
der Stille der Nacht. "Wenn jenes mächtige Gefühl, wofür die Sprache keinen
anderen Namen hat als Liebe und Wollust, sich in dem Lauscher ausdehnt wie
ein gewaltiger, alles auflösender Dunst, und er bebend in süßer Angst in den
Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit in den überschlagenden Wogen
sich verzehrt, so vergißt man, sage ich, bei solchen Worten das "absolute Ich".
Die Hymnen an die Nacht und die geistlichen Lieder zeigen uns auch, wie tief
seine Seele in der Religion wurzelte. Die Reden Schleiermachers waren von
tiefer Wirkung.

Eine Eigentümlichkeit der Fichteschen Philosophie hat alle Romantiker
sozusagen faszimert. Sie ist aber auch der Grund für ihre ärgsten literarischen
und philosophischen Ausschweifungen. Hölderlin zeigt sich in einem Briefe vom
November 1794 von der Persönlichkeit Fichtes besonders deswegen so begeistert,
weil sie daran geht, "in den entlegensten Gebieten des menschlichen Wissens
die Prinzipien dieses Wissens . - . aufzusuchen". Das geht schon auf den
beschreibenden Charakter dieser Philosophie. Das "große Ich" in Jena setzt
sich selbst, und wie es über sich reflektiert, so reflektiert es auch über all das,
was ein Ich tut und treibt, auch über alle Wissenschaften, einerlei ob es etwas
davon versteht oder nicht. Das ganze Wesen der Philosophie ist ihm nichts
anderes als -- "das Begreifen des Unbegreiflichen als solchen" (sie!). Novalis
nennt die Wissenschaftslehre eine "Beschreibung des unbekannten Ideals der
Philosophie", und so kann sie allerdings aufgefaßt werden. Was das aber nun
soll, die Beschreibung eines Dinges, wovon man nichts weiß, das haben sich
unbegreiflicherweise die Besten unter den Romantikern damals gar nicht gefragt.
"Das Denken des Denkens" mit Absicht und Bewußtsein ist nun das, worauf
Fichte immer hinzielt. In dem magischen Sinne des Novalis sehen wir diesen
"Gedanken" in der wunderlichsten Brechung: Er meint durch Denken ans Denken
das Denken in seine Gewalt zu bekommen und schließlich denken zu können,


Fichte und die älteren Romantiker

Gott sein." Das ist zwar bloß Referat, aber keine Ironie. In folgendem
zeigt sich dann die völlige Übereinstimmung mit Friedrich Schlegels universa¬
listischer Theorie: „Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den
ursprünglichen Sinn wieder. Das niedere Selbst wird mit einem besseren
Selbst in dieser Operation identifiziert." Also hier derselbe deutliche Zusammen¬
hang zwischen romantischer Poesie und Fichtescher Philosophie wie bei Schlegel.
Man mochte wirklich damals glauben, daß ein Zustand des ewigen Friedens,
eine Art tausendjähriges Reich des Geistes nicht mehr seri? sei. Arbeitet doch
auch Kant darauf hin. —

Durch das Leben des Dichters Novalis geht ein tiefer Sinn, der überall,
und aus den wunderlichsten Äußerungen oft am schönsten hervorleuchtet. Über
seine magische Welt aber fällt von oben her die nüchterne Helle des Kant-
Fichteschen Vernunft- und Moralsustems und macht die Gestalten dieser Welt
zu blaßgrauen Schemen. Sonst aber spricht zu uns ein wunderbar tiefes
Gefühl; es dringt herauf wie das Rauschen eines unterirdischen Stromes in
der Stille der Nacht. „Wenn jenes mächtige Gefühl, wofür die Sprache keinen
anderen Namen hat als Liebe und Wollust, sich in dem Lauscher ausdehnt wie
ein gewaltiger, alles auflösender Dunst, und er bebend in süßer Angst in den
Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit in den überschlagenden Wogen
sich verzehrt, so vergißt man, sage ich, bei solchen Worten das „absolute Ich".
Die Hymnen an die Nacht und die geistlichen Lieder zeigen uns auch, wie tief
seine Seele in der Religion wurzelte. Die Reden Schleiermachers waren von
tiefer Wirkung.

Eine Eigentümlichkeit der Fichteschen Philosophie hat alle Romantiker
sozusagen faszimert. Sie ist aber auch der Grund für ihre ärgsten literarischen
und philosophischen Ausschweifungen. Hölderlin zeigt sich in einem Briefe vom
November 1794 von der Persönlichkeit Fichtes besonders deswegen so begeistert,
weil sie daran geht, „in den entlegensten Gebieten des menschlichen Wissens
die Prinzipien dieses Wissens . - . aufzusuchen". Das geht schon auf den
beschreibenden Charakter dieser Philosophie. Das „große Ich" in Jena setzt
sich selbst, und wie es über sich reflektiert, so reflektiert es auch über all das,
was ein Ich tut und treibt, auch über alle Wissenschaften, einerlei ob es etwas
davon versteht oder nicht. Das ganze Wesen der Philosophie ist ihm nichts
anderes als — „das Begreifen des Unbegreiflichen als solchen" (sie!). Novalis
nennt die Wissenschaftslehre eine „Beschreibung des unbekannten Ideals der
Philosophie", und so kann sie allerdings aufgefaßt werden. Was das aber nun
soll, die Beschreibung eines Dinges, wovon man nichts weiß, das haben sich
unbegreiflicherweise die Besten unter den Romantikern damals gar nicht gefragt.
„Das Denken des Denkens" mit Absicht und Bewußtsein ist nun das, worauf
Fichte immer hinzielt. In dem magischen Sinne des Novalis sehen wir diesen
„Gedanken" in der wunderlichsten Brechung: Er meint durch Denken ans Denken
das Denken in seine Gewalt zu bekommen und schließlich denken zu können,


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[0072] Fichte und die älteren Romantiker Gott sein." Das ist zwar bloß Referat, aber keine Ironie. In folgendem zeigt sich dann die völlige Übereinstimmung mit Friedrich Schlegels universa¬ listischer Theorie: „Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Das niedere Selbst wird mit einem besseren Selbst in dieser Operation identifiziert." Also hier derselbe deutliche Zusammen¬ hang zwischen romantischer Poesie und Fichtescher Philosophie wie bei Schlegel. Man mochte wirklich damals glauben, daß ein Zustand des ewigen Friedens, eine Art tausendjähriges Reich des Geistes nicht mehr seri? sei. Arbeitet doch auch Kant darauf hin. — Durch das Leben des Dichters Novalis geht ein tiefer Sinn, der überall, und aus den wunderlichsten Äußerungen oft am schönsten hervorleuchtet. Über seine magische Welt aber fällt von oben her die nüchterne Helle des Kant- Fichteschen Vernunft- und Moralsustems und macht die Gestalten dieser Welt zu blaßgrauen Schemen. Sonst aber spricht zu uns ein wunderbar tiefes Gefühl; es dringt herauf wie das Rauschen eines unterirdischen Stromes in der Stille der Nacht. „Wenn jenes mächtige Gefühl, wofür die Sprache keinen anderen Namen hat als Liebe und Wollust, sich in dem Lauscher ausdehnt wie ein gewaltiger, alles auflösender Dunst, und er bebend in süßer Angst in den Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit in den überschlagenden Wogen sich verzehrt, so vergißt man, sage ich, bei solchen Worten das „absolute Ich". Die Hymnen an die Nacht und die geistlichen Lieder zeigen uns auch, wie tief seine Seele in der Religion wurzelte. Die Reden Schleiermachers waren von tiefer Wirkung. Eine Eigentümlichkeit der Fichteschen Philosophie hat alle Romantiker sozusagen faszimert. Sie ist aber auch der Grund für ihre ärgsten literarischen und philosophischen Ausschweifungen. Hölderlin zeigt sich in einem Briefe vom November 1794 von der Persönlichkeit Fichtes besonders deswegen so begeistert, weil sie daran geht, „in den entlegensten Gebieten des menschlichen Wissens die Prinzipien dieses Wissens . - . aufzusuchen". Das geht schon auf den beschreibenden Charakter dieser Philosophie. Das „große Ich" in Jena setzt sich selbst, und wie es über sich reflektiert, so reflektiert es auch über all das, was ein Ich tut und treibt, auch über alle Wissenschaften, einerlei ob es etwas davon versteht oder nicht. Das ganze Wesen der Philosophie ist ihm nichts anderes als — „das Begreifen des Unbegreiflichen als solchen" (sie!). Novalis nennt die Wissenschaftslehre eine „Beschreibung des unbekannten Ideals der Philosophie", und so kann sie allerdings aufgefaßt werden. Was das aber nun soll, die Beschreibung eines Dinges, wovon man nichts weiß, das haben sich unbegreiflicherweise die Besten unter den Romantikern damals gar nicht gefragt. „Das Denken des Denkens" mit Absicht und Bewußtsein ist nun das, worauf Fichte immer hinzielt. In dem magischen Sinne des Novalis sehen wir diesen „Gedanken" in der wunderlichsten Brechung: Er meint durch Denken ans Denken das Denken in seine Gewalt zu bekommen und schließlich denken zu können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/72>, abgerufen am 27.09.2024.