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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichic und die älteren Re>>nantikcv

Doch das denkende Ich ist ihm zu wenig, wie nur schon nach der oben gegebenen
Charakteristik schließen muß. Er unterscheidet zwei Systeme von Sinnen, die
durch die Begriffe Körper und Seele dargestellt werden. Es wird nun ein
vollkommenes Wechselverhältnis zwischen beiden, ein "Einklang, kein Einton",
gefordert. Auch Fichte möchte gern nicht das bloß denkende Ich verstanden
wissen. Aber es ist ihm nicht gelungen, den Vorwurf Kants zu widerlegen,
daß er aus Logik ein reales Objekt hat "herausklauben" wollen. "Angewandte
Logik" nennt ja selbst sein Anhänger Novalis die Wissenschaftslehre. Dieser
unterscheidet nun in Übereinstimmung mit seinen zwei Systemen von Sinnen
zwischen dem magischen Gott der Natur und dem moralischen Gott, und bezeichnet
diesen als weit höher stehend. Dieser moralische Gott ist fast ganz im Sinne
von Kant-Fichte zu verstehen. Die Forderung, daß das System der Moral
System der Natur werden muß, wird im absoluten Ich Fichtes erfüllt. "Dies
der Freiheitspunkt, in dem wir alle völlig identisch sind." Aber doch ist eine
große Kluft zwischen dem absoluten Ich und der Seele, dem magischen Gott,
die Novalis selbst uns auftut: "Das Ideal der Sittlichkeit hat keinen gefähr¬
licheren Nebenbuhler als das Ideal der höchsten Stärke, des kräftigsten Lebens."
"Der Mensch wird durch dieses Ideal zum Tiergeiste, einer Vermischung, deren
brutaler Witz eben eine brutale Anziehungskraft für Schwächlinge hat." Novalis
weiß trotz aller Reflexionen keinen Weg von dem natürlichen Dasein des
Menschen zu dem Kant-Fichteschen Freiheitspunkte der absoluten Moral. Eigentlich
strebt er mit seinem ganzen Gemüt auch nicht dahin, sondern in eine diesem
Ich fremde Geistermelt auf dem Wege der Selbstauflösung des Triebs. Er
ringt unaufhörlich danach, die geheimnisvollen Kräfte der Seele unter einem
Prinzip, dem des magischen Idealismus, zu vereinigen. Vergebens aber sucht
er damit die Personalität des Fichteschen Ich, das seine Attribute doch immer
nur von: denkenden Bewußtsein hernimmt, zu vereinigen. Die Idee von der
Personalität des Ich wie des Universums ist aber doch mächtig genug in ihm.
Er wendet sie auf seine Ansichten über Politik, Wissenschaften und Künste an.
Der Staat ist ein Makroanthropos, ein vergrößerter menschlicher Organismus,
der Adel das sittliche, der Priesterstand das, religiöse Vermögen; Gerichtshöfe,
Theater usw. sind die inneren Organe des mystischen Staatsindividmims. Das
absolute Ich aber wird ihm dnrch den König, das empirische durch den ein¬
zelnen Untertan dargestellt. Die sittliche Forderung ist nun diese: "Alle
Menschen sollen thronfähig werden!" Auch in die Wissenschaften geht sein
Anthropomorphismus über. Überall zeigt sich als Mittelpunkt das zum Teil
ins Magische umgedeutete Ich. Hier sehen wir auch dentlich den Romantiker
im Sinne der Schule. "Jetzt behaupten einige, es habe sich irgendwo eine
wahrhafte Durchdringung ereignet, es sei ein Kein: der Vereinigung entstanden,
der allmählich wachsen und alles zu einer unteilbaren Gestalt assimilieren werde;
dieses Prinzip des ewigen Friedens dringe unwiderstehlich nach allen Seiten,
und bald werde nur eine Wissenschaft und ein Geist, wie ein Prophet und ein


Fichic und die älteren Re>>nantikcv

Doch das denkende Ich ist ihm zu wenig, wie nur schon nach der oben gegebenen
Charakteristik schließen muß. Er unterscheidet zwei Systeme von Sinnen, die
durch die Begriffe Körper und Seele dargestellt werden. Es wird nun ein
vollkommenes Wechselverhältnis zwischen beiden, ein „Einklang, kein Einton",
gefordert. Auch Fichte möchte gern nicht das bloß denkende Ich verstanden
wissen. Aber es ist ihm nicht gelungen, den Vorwurf Kants zu widerlegen,
daß er aus Logik ein reales Objekt hat „herausklauben" wollen. „Angewandte
Logik" nennt ja selbst sein Anhänger Novalis die Wissenschaftslehre. Dieser
unterscheidet nun in Übereinstimmung mit seinen zwei Systemen von Sinnen
zwischen dem magischen Gott der Natur und dem moralischen Gott, und bezeichnet
diesen als weit höher stehend. Dieser moralische Gott ist fast ganz im Sinne
von Kant-Fichte zu verstehen. Die Forderung, daß das System der Moral
System der Natur werden muß, wird im absoluten Ich Fichtes erfüllt. „Dies
der Freiheitspunkt, in dem wir alle völlig identisch sind." Aber doch ist eine
große Kluft zwischen dem absoluten Ich und der Seele, dem magischen Gott,
die Novalis selbst uns auftut: „Das Ideal der Sittlichkeit hat keinen gefähr¬
licheren Nebenbuhler als das Ideal der höchsten Stärke, des kräftigsten Lebens."
„Der Mensch wird durch dieses Ideal zum Tiergeiste, einer Vermischung, deren
brutaler Witz eben eine brutale Anziehungskraft für Schwächlinge hat." Novalis
weiß trotz aller Reflexionen keinen Weg von dem natürlichen Dasein des
Menschen zu dem Kant-Fichteschen Freiheitspunkte der absoluten Moral. Eigentlich
strebt er mit seinem ganzen Gemüt auch nicht dahin, sondern in eine diesem
Ich fremde Geistermelt auf dem Wege der Selbstauflösung des Triebs. Er
ringt unaufhörlich danach, die geheimnisvollen Kräfte der Seele unter einem
Prinzip, dem des magischen Idealismus, zu vereinigen. Vergebens aber sucht
er damit die Personalität des Fichteschen Ich, das seine Attribute doch immer
nur von: denkenden Bewußtsein hernimmt, zu vereinigen. Die Idee von der
Personalität des Ich wie des Universums ist aber doch mächtig genug in ihm.
Er wendet sie auf seine Ansichten über Politik, Wissenschaften und Künste an.
Der Staat ist ein Makroanthropos, ein vergrößerter menschlicher Organismus,
der Adel das sittliche, der Priesterstand das, religiöse Vermögen; Gerichtshöfe,
Theater usw. sind die inneren Organe des mystischen Staatsindividmims. Das
absolute Ich aber wird ihm dnrch den König, das empirische durch den ein¬
zelnen Untertan dargestellt. Die sittliche Forderung ist nun diese: „Alle
Menschen sollen thronfähig werden!" Auch in die Wissenschaften geht sein
Anthropomorphismus über. Überall zeigt sich als Mittelpunkt das zum Teil
ins Magische umgedeutete Ich. Hier sehen wir auch dentlich den Romantiker
im Sinne der Schule. „Jetzt behaupten einige, es habe sich irgendwo eine
wahrhafte Durchdringung ereignet, es sei ein Kein: der Vereinigung entstanden,
der allmählich wachsen und alles zu einer unteilbaren Gestalt assimilieren werde;
dieses Prinzip des ewigen Friedens dringe unwiderstehlich nach allen Seiten,
und bald werde nur eine Wissenschaft und ein Geist, wie ein Prophet und ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/71>, abgerufen am 27.09.2024.