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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Lismarcks

veröffentlicht. Von verschiedenen Seiten suchte man den Kronprinzen weiter zu
treiben. Selbst die Königin Viktoria bedauerte es höchlichst, daß sich ihr
Schwiegersohn nicht viel entschiedener gegen die Regierungsmaßregeln aus¬
gesprochen hatte, und machte Vorschläge, deren Durchführung den Kronprinzen
in die schärfste Opposition gegen den König gebracht hätte.

Am 30. Juni richtete der Kronprinz einen Brief an Bismarck und verurteilte
dessen ganze Politik in starken Ausdrücken. Er erklärte darin ferner, er werde den
König bitten, so lange dieses Ministerium im Amte sei, sich der Teilnahme an
den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen. Bei diesem Schreiben haben
wohl auch die Koburger Freunde Pate gestanden. Denn kurz vorher hatten
die Grenzboten einen von Gustav Freytag, dem Vertrauten des Koburger
Herzogs, verfaßten Artikel gebracht, in dem diese Erklärung des Kronprinzen
als Wunsch ausgesprochen war*). Man wolle den Kronprinzen nicht als Partei¬
führer, heißt es in dem Artikel, sondern sei mit seiner stillen Bundesgenossenschaft
zufrieden; aber er müsse es verschmähen, unter dem gegenwärtigen System
im Rate der Minister zu sitzen, nicht länger dürfe er dem Zwang des militä¬
rischen Disziplinarverfahrens unterliegen, um uicht im Falle einer Revolution
in einen Konflikt der Pflichten zu geraten.

Daß aber der Kronprinz entschlossen war, der vollzogenen Schwenkung
treu zu bleiben, beweist der Brief, den er am 14. Juli an Duncker schrieb: "Ich
will kein Oppositionsführer sein, auch bin ich kein Freund Waldecks und seiner
Genossen; aber ich denke nicht daran, die Freisinnigen, mit denen die Altliberalen
leider jetzt nicht mehr zusammengehen, als Feinde anzusehen." Sie aber waren
gerade die größten Feinde Bismarcks.

So war im Juli des Jahres 1863 die Lage ernst genug. Weite Kreise
waren gegen das reaktionäre Ministerium leidenschaftlich erregt. In der
Kammer hatte es nur eine verschwindende Anzahl von Freunden. Über das
jährliche Budget hatte man sich nicht geeinigt. Der gesetzlose Zustand in der
Staatsverwaltung dauerte fort. Und dazu befanden sich die Königin in aus¬
gesprochener Opposition gegen Bismarck und der Kronprinz in Verbindung
mit seinen Gegnern, die dadurch eine wertvolle moralische Unterstützung erhalten
hatten. Ja, es schien sogar, als sei das Ministerium Bismarck eine Gefahr für
die Stellung Preußens in Deutschland und in Europa. Denn die Führer der
nationalen Bewegung in Deutschland, die gerade in der letzten Zeit wieder in
Fluß gekommen war, ließen mehr und mehr die Hoffnung fahren, daß von
Preußen eine Förderung der deutschen Sache zu erwarten sei. Und so war es
dahin gekommen, daß entweder der Gedanke, sich selbst zu helfen, an vielen
Stellen Sympathien fand oder die Meinung Platz griff, nur von einem tat¬
kräftigen Vorgehen Österreichs könne Besserung erwartet werden.



Grenzboten 1863, Heft 24 vom 12. Juni, S, 431 bis 434: "Die Oktroyierungen
und die Stellung des Thronfolgers in Preußen."
Die fürstlichen Gegner Lismarcks

veröffentlicht. Von verschiedenen Seiten suchte man den Kronprinzen weiter zu
treiben. Selbst die Königin Viktoria bedauerte es höchlichst, daß sich ihr
Schwiegersohn nicht viel entschiedener gegen die Regierungsmaßregeln aus¬
gesprochen hatte, und machte Vorschläge, deren Durchführung den Kronprinzen
in die schärfste Opposition gegen den König gebracht hätte.

Am 30. Juni richtete der Kronprinz einen Brief an Bismarck und verurteilte
dessen ganze Politik in starken Ausdrücken. Er erklärte darin ferner, er werde den
König bitten, so lange dieses Ministerium im Amte sei, sich der Teilnahme an
den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen. Bei diesem Schreiben haben
wohl auch die Koburger Freunde Pate gestanden. Denn kurz vorher hatten
die Grenzboten einen von Gustav Freytag, dem Vertrauten des Koburger
Herzogs, verfaßten Artikel gebracht, in dem diese Erklärung des Kronprinzen
als Wunsch ausgesprochen war*). Man wolle den Kronprinzen nicht als Partei¬
führer, heißt es in dem Artikel, sondern sei mit seiner stillen Bundesgenossenschaft
zufrieden; aber er müsse es verschmähen, unter dem gegenwärtigen System
im Rate der Minister zu sitzen, nicht länger dürfe er dem Zwang des militä¬
rischen Disziplinarverfahrens unterliegen, um uicht im Falle einer Revolution
in einen Konflikt der Pflichten zu geraten.

Daß aber der Kronprinz entschlossen war, der vollzogenen Schwenkung
treu zu bleiben, beweist der Brief, den er am 14. Juli an Duncker schrieb: „Ich
will kein Oppositionsführer sein, auch bin ich kein Freund Waldecks und seiner
Genossen; aber ich denke nicht daran, die Freisinnigen, mit denen die Altliberalen
leider jetzt nicht mehr zusammengehen, als Feinde anzusehen." Sie aber waren
gerade die größten Feinde Bismarcks.

So war im Juli des Jahres 1863 die Lage ernst genug. Weite Kreise
waren gegen das reaktionäre Ministerium leidenschaftlich erregt. In der
Kammer hatte es nur eine verschwindende Anzahl von Freunden. Über das
jährliche Budget hatte man sich nicht geeinigt. Der gesetzlose Zustand in der
Staatsverwaltung dauerte fort. Und dazu befanden sich die Königin in aus¬
gesprochener Opposition gegen Bismarck und der Kronprinz in Verbindung
mit seinen Gegnern, die dadurch eine wertvolle moralische Unterstützung erhalten
hatten. Ja, es schien sogar, als sei das Ministerium Bismarck eine Gefahr für
die Stellung Preußens in Deutschland und in Europa. Denn die Führer der
nationalen Bewegung in Deutschland, die gerade in der letzten Zeit wieder in
Fluß gekommen war, ließen mehr und mehr die Hoffnung fahren, daß von
Preußen eine Förderung der deutschen Sache zu erwarten sei. Und so war es
dahin gekommen, daß entweder der Gedanke, sich selbst zu helfen, an vielen
Stellen Sympathien fand oder die Meinung Platz griff, nur von einem tat¬
kräftigen Vorgehen Österreichs könne Besserung erwartet werden.



Grenzboten 1863, Heft 24 vom 12. Juni, S, 431 bis 434: „Die Oktroyierungen
und die Stellung des Thronfolgers in Preußen."
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[0614] Die fürstlichen Gegner Lismarcks veröffentlicht. Von verschiedenen Seiten suchte man den Kronprinzen weiter zu treiben. Selbst die Königin Viktoria bedauerte es höchlichst, daß sich ihr Schwiegersohn nicht viel entschiedener gegen die Regierungsmaßregeln aus¬ gesprochen hatte, und machte Vorschläge, deren Durchführung den Kronprinzen in die schärfste Opposition gegen den König gebracht hätte. Am 30. Juni richtete der Kronprinz einen Brief an Bismarck und verurteilte dessen ganze Politik in starken Ausdrücken. Er erklärte darin ferner, er werde den König bitten, so lange dieses Ministerium im Amte sei, sich der Teilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen. Bei diesem Schreiben haben wohl auch die Koburger Freunde Pate gestanden. Denn kurz vorher hatten die Grenzboten einen von Gustav Freytag, dem Vertrauten des Koburger Herzogs, verfaßten Artikel gebracht, in dem diese Erklärung des Kronprinzen als Wunsch ausgesprochen war*). Man wolle den Kronprinzen nicht als Partei¬ führer, heißt es in dem Artikel, sondern sei mit seiner stillen Bundesgenossenschaft zufrieden; aber er müsse es verschmähen, unter dem gegenwärtigen System im Rate der Minister zu sitzen, nicht länger dürfe er dem Zwang des militä¬ rischen Disziplinarverfahrens unterliegen, um uicht im Falle einer Revolution in einen Konflikt der Pflichten zu geraten. Daß aber der Kronprinz entschlossen war, der vollzogenen Schwenkung treu zu bleiben, beweist der Brief, den er am 14. Juli an Duncker schrieb: „Ich will kein Oppositionsführer sein, auch bin ich kein Freund Waldecks und seiner Genossen; aber ich denke nicht daran, die Freisinnigen, mit denen die Altliberalen leider jetzt nicht mehr zusammengehen, als Feinde anzusehen." Sie aber waren gerade die größten Feinde Bismarcks. So war im Juli des Jahres 1863 die Lage ernst genug. Weite Kreise waren gegen das reaktionäre Ministerium leidenschaftlich erregt. In der Kammer hatte es nur eine verschwindende Anzahl von Freunden. Über das jährliche Budget hatte man sich nicht geeinigt. Der gesetzlose Zustand in der Staatsverwaltung dauerte fort. Und dazu befanden sich die Königin in aus¬ gesprochener Opposition gegen Bismarck und der Kronprinz in Verbindung mit seinen Gegnern, die dadurch eine wertvolle moralische Unterstützung erhalten hatten. Ja, es schien sogar, als sei das Ministerium Bismarck eine Gefahr für die Stellung Preußens in Deutschland und in Europa. Denn die Führer der nationalen Bewegung in Deutschland, die gerade in der letzten Zeit wieder in Fluß gekommen war, ließen mehr und mehr die Hoffnung fahren, daß von Preußen eine Förderung der deutschen Sache zu erwarten sei. Und so war es dahin gekommen, daß entweder der Gedanke, sich selbst zu helfen, an vielen Stellen Sympathien fand oder die Meinung Platz griff, nur von einem tat¬ kräftigen Vorgehen Österreichs könne Besserung erwartet werden. Grenzboten 1863, Heft 24 vom 12. Juni, S, 431 bis 434: „Die Oktroyierungen und die Stellung des Thronfolgers in Preußen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/614>, abgerufen am 27.09.2024.