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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Lismarcks

werde. Denn nach der Meinung dieser Herren, die übrigens von weiten Kreisen
geteilt wurde, mußte das Wirken des reaktionären Ministeriums revolutionäre
Erhebungen in Preußen im Gefolge haben. Als die Stellung Bismarcks dem
polnischen Aufstand gegenüber die Erregung der Gemüter noch verschärft hatte,
zweifelte man nicht an dem baldigen Ausbruch der Revolution. In einer
Denkschrift, die Samwer dem Kronprinzen im März übergab, suchte er
darzutun, die Revolution sei unvermeidlich und stehe in der Tat unmittelbar
vor der Tür. Dem Kronprinzen wurde die Rolle zugedacht, in diesem Falle
an die Spitze der Fortschrittspartei zu treten, um die Dynastie zu retten. Man
begnügte sich jedoch nicht damit, die Lage recht schwarz zu malen, vielmehr trug
Samwer zu ihrer Verschärfung durch persönliches Eingreifen bei. Als er im
Winter 18<>!; in Berlin war, äußerte er, das Abgeordnetenhaus habe sich schon
viel zu viel gefallen lassen, man hätte in Preußen von Rechts wegen schon
längst Revolution machen müssen. Jetzt aber bleibe in der Tat nichts anderes
mehr übrig. Duncker versuchte demgegenüber den Kronprinzen zu bestimmen,
nicht eine Reserve aus Pessimismus zu üben, sondern den König zu warnen und
seine entgegengesetzte Anschauung in amtlicher Weise zum Ausdruck zu bringen.
In keinem Fall aber dürfe er öffentlich Opposition machen oder einen versteckten
Krieg durch die Presse führen lassen; das widerspreche seiner Würde.

Der Kronprinz, der die Überzeugung von der gefährlichen Bedeutung des
Bismarckschen Ministeriums für Staat und Dynastie teilte, entschied sich gegen
seinen vortragenden Rat. Er beschloß, die Einwirkung auf die Entschlüsse
seines Vaters aufzugeben und sich von den Staatsangelegenheiten möglichst
zurückzuhalten. Die Drohung des Königs, er werde eher abdanken als in der
Militärfrage nachgeben, hatte ihn entwaffnet. Unmittelbar nach der Ernennung
Bismarcks begab sich das kronprinzliche Paar nach dem Süden. In Marseille
traf es mit dem Prinzen von Wales, dem späteren König Eduard dem Siebenten,
zusammen, und mit ihm durchkreuzte es auf der englischen Königsjacht das
Mittelmeer; erst kurz vor Weihnachten kehrte es in die Heimat zurück. Schon
im März folgten die kronprinzlichen Herrschaften wieder einer Einladung
nach England. Die Königin Viktoria hatte sie dorthin gerufen, um sie der,
wie man glaubte, unmittelbar bevorstehenden Revolution zu entziehen. Dort
wurde der Kronprinz mit Briefen und Denkschriften bestürmt. Man warb um
ihn aus dem Lager des Fortschritts; man beschwor ihn aus dem entgegengesetzten
Lager, den Thron durch die Umkehr zu den Feudalen zu retten. Noch beant¬
wortete der Kronprinz auch die Anschreiben der ihm näher stehenden Oppositions¬
partei mit kühlen Empfangsschreiben, in geeigneten Fällen mit deutlichem
Abwinken. Dies vermochte noch der Einfluß Dunckers. Doch bereits wenige
Wochen später trat der Kronprinz aus seiner Zurückhaltung heraus.

Er war nach seiner Rückkehr nach Berlin zu einer militärischen Inspektions¬
reise nach dem Osten der Monarchie aufgebrochen. Vor der Abreise hatte
er den König gebeten, irgendwelche Oktroyierungen zu vermeiden. Doch


Die fürstlichen Gegner Lismarcks

werde. Denn nach der Meinung dieser Herren, die übrigens von weiten Kreisen
geteilt wurde, mußte das Wirken des reaktionären Ministeriums revolutionäre
Erhebungen in Preußen im Gefolge haben. Als die Stellung Bismarcks dem
polnischen Aufstand gegenüber die Erregung der Gemüter noch verschärft hatte,
zweifelte man nicht an dem baldigen Ausbruch der Revolution. In einer
Denkschrift, die Samwer dem Kronprinzen im März übergab, suchte er
darzutun, die Revolution sei unvermeidlich und stehe in der Tat unmittelbar
vor der Tür. Dem Kronprinzen wurde die Rolle zugedacht, in diesem Falle
an die Spitze der Fortschrittspartei zu treten, um die Dynastie zu retten. Man
begnügte sich jedoch nicht damit, die Lage recht schwarz zu malen, vielmehr trug
Samwer zu ihrer Verschärfung durch persönliches Eingreifen bei. Als er im
Winter 18<>!; in Berlin war, äußerte er, das Abgeordnetenhaus habe sich schon
viel zu viel gefallen lassen, man hätte in Preußen von Rechts wegen schon
längst Revolution machen müssen. Jetzt aber bleibe in der Tat nichts anderes
mehr übrig. Duncker versuchte demgegenüber den Kronprinzen zu bestimmen,
nicht eine Reserve aus Pessimismus zu üben, sondern den König zu warnen und
seine entgegengesetzte Anschauung in amtlicher Weise zum Ausdruck zu bringen.
In keinem Fall aber dürfe er öffentlich Opposition machen oder einen versteckten
Krieg durch die Presse führen lassen; das widerspreche seiner Würde.

Der Kronprinz, der die Überzeugung von der gefährlichen Bedeutung des
Bismarckschen Ministeriums für Staat und Dynastie teilte, entschied sich gegen
seinen vortragenden Rat. Er beschloß, die Einwirkung auf die Entschlüsse
seines Vaters aufzugeben und sich von den Staatsangelegenheiten möglichst
zurückzuhalten. Die Drohung des Königs, er werde eher abdanken als in der
Militärfrage nachgeben, hatte ihn entwaffnet. Unmittelbar nach der Ernennung
Bismarcks begab sich das kronprinzliche Paar nach dem Süden. In Marseille
traf es mit dem Prinzen von Wales, dem späteren König Eduard dem Siebenten,
zusammen, und mit ihm durchkreuzte es auf der englischen Königsjacht das
Mittelmeer; erst kurz vor Weihnachten kehrte es in die Heimat zurück. Schon
im März folgten die kronprinzlichen Herrschaften wieder einer Einladung
nach England. Die Königin Viktoria hatte sie dorthin gerufen, um sie der,
wie man glaubte, unmittelbar bevorstehenden Revolution zu entziehen. Dort
wurde der Kronprinz mit Briefen und Denkschriften bestürmt. Man warb um
ihn aus dem Lager des Fortschritts; man beschwor ihn aus dem entgegengesetzten
Lager, den Thron durch die Umkehr zu den Feudalen zu retten. Noch beant¬
wortete der Kronprinz auch die Anschreiben der ihm näher stehenden Oppositions¬
partei mit kühlen Empfangsschreiben, in geeigneten Fällen mit deutlichem
Abwinken. Dies vermochte noch der Einfluß Dunckers. Doch bereits wenige
Wochen später trat der Kronprinz aus seiner Zurückhaltung heraus.

Er war nach seiner Rückkehr nach Berlin zu einer militärischen Inspektions¬
reise nach dem Osten der Monarchie aufgebrochen. Vor der Abreise hatte
er den König gebeten, irgendwelche Oktroyierungen zu vermeiden. Doch


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[0612] Die fürstlichen Gegner Lismarcks werde. Denn nach der Meinung dieser Herren, die übrigens von weiten Kreisen geteilt wurde, mußte das Wirken des reaktionären Ministeriums revolutionäre Erhebungen in Preußen im Gefolge haben. Als die Stellung Bismarcks dem polnischen Aufstand gegenüber die Erregung der Gemüter noch verschärft hatte, zweifelte man nicht an dem baldigen Ausbruch der Revolution. In einer Denkschrift, die Samwer dem Kronprinzen im März übergab, suchte er darzutun, die Revolution sei unvermeidlich und stehe in der Tat unmittelbar vor der Tür. Dem Kronprinzen wurde die Rolle zugedacht, in diesem Falle an die Spitze der Fortschrittspartei zu treten, um die Dynastie zu retten. Man begnügte sich jedoch nicht damit, die Lage recht schwarz zu malen, vielmehr trug Samwer zu ihrer Verschärfung durch persönliches Eingreifen bei. Als er im Winter 18<>!; in Berlin war, äußerte er, das Abgeordnetenhaus habe sich schon viel zu viel gefallen lassen, man hätte in Preußen von Rechts wegen schon längst Revolution machen müssen. Jetzt aber bleibe in der Tat nichts anderes mehr übrig. Duncker versuchte demgegenüber den Kronprinzen zu bestimmen, nicht eine Reserve aus Pessimismus zu üben, sondern den König zu warnen und seine entgegengesetzte Anschauung in amtlicher Weise zum Ausdruck zu bringen. In keinem Fall aber dürfe er öffentlich Opposition machen oder einen versteckten Krieg durch die Presse führen lassen; das widerspreche seiner Würde. Der Kronprinz, der die Überzeugung von der gefährlichen Bedeutung des Bismarckschen Ministeriums für Staat und Dynastie teilte, entschied sich gegen seinen vortragenden Rat. Er beschloß, die Einwirkung auf die Entschlüsse seines Vaters aufzugeben und sich von den Staatsangelegenheiten möglichst zurückzuhalten. Die Drohung des Königs, er werde eher abdanken als in der Militärfrage nachgeben, hatte ihn entwaffnet. Unmittelbar nach der Ernennung Bismarcks begab sich das kronprinzliche Paar nach dem Süden. In Marseille traf es mit dem Prinzen von Wales, dem späteren König Eduard dem Siebenten, zusammen, und mit ihm durchkreuzte es auf der englischen Königsjacht das Mittelmeer; erst kurz vor Weihnachten kehrte es in die Heimat zurück. Schon im März folgten die kronprinzlichen Herrschaften wieder einer Einladung nach England. Die Königin Viktoria hatte sie dorthin gerufen, um sie der, wie man glaubte, unmittelbar bevorstehenden Revolution zu entziehen. Dort wurde der Kronprinz mit Briefen und Denkschriften bestürmt. Man warb um ihn aus dem Lager des Fortschritts; man beschwor ihn aus dem entgegengesetzten Lager, den Thron durch die Umkehr zu den Feudalen zu retten. Noch beant¬ wortete der Kronprinz auch die Anschreiben der ihm näher stehenden Oppositions¬ partei mit kühlen Empfangsschreiben, in geeigneten Fällen mit deutlichem Abwinken. Dies vermochte noch der Einfluß Dunckers. Doch bereits wenige Wochen später trat der Kronprinz aus seiner Zurückhaltung heraus. Er war nach seiner Rückkehr nach Berlin zu einer militärischen Inspektions¬ reise nach dem Osten der Monarchie aufgebrochen. Vor der Abreise hatte er den König gebeten, irgendwelche Oktroyierungen zu vermeiden. Doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/612>, abgerufen am 27.09.2024.