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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Bismcircks

Denkschriften aus und entwickelte auf zahlreiche Anfragen hin in politischen
Angelegenheiten seine Anschauungen. Am 6. Juni 1861 trat er in die
Umgebung des Kronprinzen ein; der Vortrag bei ihm wurde seine amtliche
Aufgabe. Neben Duncker nahm der jüngere Stockmar, der Sohn des vorhin
genannten, als Privatsekretär der Kronprinzessin eine einflußreiche Stellung ein.
Bald wurde auch der damalige Legationsrat des Herzogs von Koburg, der
spätere Minister des Herzogs von Augustenburg, Samwer, am kronprinzlichen
Hof als gern gesehener Gast und Berater empfangen. -- Diese Persönlichkeiten
gehörten sämtlich der gothaischen Partei an. In ihrem Programm stand
Einigung Deutschlands durch Preußen. Aber die Erreichung des Zieles hielten
sie nur dann für möglich, wenn Preußen moralische Eroberungen in Deutschland
mache, mit anderen Worten, wenn es in der Ausbildung einer freisinnigen
Verfassung, in der Durchführung des reinen Parlamentarismus allen deutschen
Staaten vorangehe. Abkehr von Rußland und enge Verbindung mit England
erschien ihnen als notwendige politische Begleiterscheinung. Dann werde die
öffentliche Meinung befriedigt sein. Denn in der öffentlichen Meinung, die sich
in der Presse spiegelte, erkannten sie eine Großmacht. Sie glaubten an die
Berechtigung der Redensart: II ^ a quelqu'un qui a plus ä'esprit que
monsiLur l'allL^i-Ana e'est Wut le morale. Welch ein Gegensatz zu Bismarck
mit seinem konzentrierter Preußentum, seiner Abneigung gegen die parlamentarische
Regierungsform, mit seiner Verachtung der öffentlichen Meinung I Man schieße
auf den Feind mit Pulver und Blei, nicht mit öffentlicher Meinung, so ließ
er Bennigsen sagen, der vor 1866 die Ansicht vertrat, Preußen könne wegen
der widerstrebenden öffentlichen Meinung nicht Krieg führen.

In Bismarck, dem Junker mit seinen reaktionären Anschauungen und
seinen russischen Sympathien, sah diese um den Kronprinzen gescharte Gruppe
von Politikern ihren Erzfeind. Alles bot sie auf, ihn nicht ans Ruder kommen
zu lassen. Neben seiner eigenen Überzeugung bestimmten Duncker auch die
Sorge und Klagen der Königin über die nach der Kreuzzeitungspartei hinüber¬
gleitende Politik des Königs, den Fürsten von Hohenzollern zu bewegen, auf
seinem Posten zu bleiben und für das liberale Programm einzutreten. Ablehnend
schrieb dieser zurück: "Die Erkenntnis der eigenen Kraft und Tüchtigkeit muß
vorherrschen, und das fehlt nnr. Die Überzeugung, die ich von meiner
Unzulänglichkeit habe, ist das Bleigewicht, das ununterbrochen bis heute auf
meiner Stellung gelastet hat."

Der Kronprinz erhielt die Nachricht von Bismarcks Ernennung in
Reinhardsbrunn, wo er zum Besuch beim Herzog von Koburg weilte. Über
die Stellung, die er diesem Ereignis und der dadurch geschaffenen Lage gegen¬
über einnehmen solle, war man in seiner Umgebung geteilter Meinung. Stockmar
und Samwer vertraten die Anschauung, jetzt, nachdem die Sache sich so zugespitzt,
käme alles darauf an, daß der Kronprinz von Preußen sich zurückziehe und
eine Sonderstellung einnehme, damit er nicht mit der Negierung identifiziert


Die fürstlichen Gegner Bismcircks

Denkschriften aus und entwickelte auf zahlreiche Anfragen hin in politischen
Angelegenheiten seine Anschauungen. Am 6. Juni 1861 trat er in die
Umgebung des Kronprinzen ein; der Vortrag bei ihm wurde seine amtliche
Aufgabe. Neben Duncker nahm der jüngere Stockmar, der Sohn des vorhin
genannten, als Privatsekretär der Kronprinzessin eine einflußreiche Stellung ein.
Bald wurde auch der damalige Legationsrat des Herzogs von Koburg, der
spätere Minister des Herzogs von Augustenburg, Samwer, am kronprinzlichen
Hof als gern gesehener Gast und Berater empfangen. — Diese Persönlichkeiten
gehörten sämtlich der gothaischen Partei an. In ihrem Programm stand
Einigung Deutschlands durch Preußen. Aber die Erreichung des Zieles hielten
sie nur dann für möglich, wenn Preußen moralische Eroberungen in Deutschland
mache, mit anderen Worten, wenn es in der Ausbildung einer freisinnigen
Verfassung, in der Durchführung des reinen Parlamentarismus allen deutschen
Staaten vorangehe. Abkehr von Rußland und enge Verbindung mit England
erschien ihnen als notwendige politische Begleiterscheinung. Dann werde die
öffentliche Meinung befriedigt sein. Denn in der öffentlichen Meinung, die sich
in der Presse spiegelte, erkannten sie eine Großmacht. Sie glaubten an die
Berechtigung der Redensart: II ^ a quelqu'un qui a plus ä'esprit que
monsiLur l'allL^i-Ana e'est Wut le morale. Welch ein Gegensatz zu Bismarck
mit seinem konzentrierter Preußentum, seiner Abneigung gegen die parlamentarische
Regierungsform, mit seiner Verachtung der öffentlichen Meinung I Man schieße
auf den Feind mit Pulver und Blei, nicht mit öffentlicher Meinung, so ließ
er Bennigsen sagen, der vor 1866 die Ansicht vertrat, Preußen könne wegen
der widerstrebenden öffentlichen Meinung nicht Krieg führen.

In Bismarck, dem Junker mit seinen reaktionären Anschauungen und
seinen russischen Sympathien, sah diese um den Kronprinzen gescharte Gruppe
von Politikern ihren Erzfeind. Alles bot sie auf, ihn nicht ans Ruder kommen
zu lassen. Neben seiner eigenen Überzeugung bestimmten Duncker auch die
Sorge und Klagen der Königin über die nach der Kreuzzeitungspartei hinüber¬
gleitende Politik des Königs, den Fürsten von Hohenzollern zu bewegen, auf
seinem Posten zu bleiben und für das liberale Programm einzutreten. Ablehnend
schrieb dieser zurück: „Die Erkenntnis der eigenen Kraft und Tüchtigkeit muß
vorherrschen, und das fehlt nnr. Die Überzeugung, die ich von meiner
Unzulänglichkeit habe, ist das Bleigewicht, das ununterbrochen bis heute auf
meiner Stellung gelastet hat."

Der Kronprinz erhielt die Nachricht von Bismarcks Ernennung in
Reinhardsbrunn, wo er zum Besuch beim Herzog von Koburg weilte. Über
die Stellung, die er diesem Ereignis und der dadurch geschaffenen Lage gegen¬
über einnehmen solle, war man in seiner Umgebung geteilter Meinung. Stockmar
und Samwer vertraten die Anschauung, jetzt, nachdem die Sache sich so zugespitzt,
käme alles darauf an, daß der Kronprinz von Preußen sich zurückziehe und
eine Sonderstellung einnehme, damit er nicht mit der Negierung identifiziert


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[0611] Die fürstlichen Gegner Bismcircks Denkschriften aus und entwickelte auf zahlreiche Anfragen hin in politischen Angelegenheiten seine Anschauungen. Am 6. Juni 1861 trat er in die Umgebung des Kronprinzen ein; der Vortrag bei ihm wurde seine amtliche Aufgabe. Neben Duncker nahm der jüngere Stockmar, der Sohn des vorhin genannten, als Privatsekretär der Kronprinzessin eine einflußreiche Stellung ein. Bald wurde auch der damalige Legationsrat des Herzogs von Koburg, der spätere Minister des Herzogs von Augustenburg, Samwer, am kronprinzlichen Hof als gern gesehener Gast und Berater empfangen. — Diese Persönlichkeiten gehörten sämtlich der gothaischen Partei an. In ihrem Programm stand Einigung Deutschlands durch Preußen. Aber die Erreichung des Zieles hielten sie nur dann für möglich, wenn Preußen moralische Eroberungen in Deutschland mache, mit anderen Worten, wenn es in der Ausbildung einer freisinnigen Verfassung, in der Durchführung des reinen Parlamentarismus allen deutschen Staaten vorangehe. Abkehr von Rußland und enge Verbindung mit England erschien ihnen als notwendige politische Begleiterscheinung. Dann werde die öffentliche Meinung befriedigt sein. Denn in der öffentlichen Meinung, die sich in der Presse spiegelte, erkannten sie eine Großmacht. Sie glaubten an die Berechtigung der Redensart: II ^ a quelqu'un qui a plus ä'esprit que monsiLur l'allL^i-Ana e'est Wut le morale. Welch ein Gegensatz zu Bismarck mit seinem konzentrierter Preußentum, seiner Abneigung gegen die parlamentarische Regierungsform, mit seiner Verachtung der öffentlichen Meinung I Man schieße auf den Feind mit Pulver und Blei, nicht mit öffentlicher Meinung, so ließ er Bennigsen sagen, der vor 1866 die Ansicht vertrat, Preußen könne wegen der widerstrebenden öffentlichen Meinung nicht Krieg führen. In Bismarck, dem Junker mit seinen reaktionären Anschauungen und seinen russischen Sympathien, sah diese um den Kronprinzen gescharte Gruppe von Politikern ihren Erzfeind. Alles bot sie auf, ihn nicht ans Ruder kommen zu lassen. Neben seiner eigenen Überzeugung bestimmten Duncker auch die Sorge und Klagen der Königin über die nach der Kreuzzeitungspartei hinüber¬ gleitende Politik des Königs, den Fürsten von Hohenzollern zu bewegen, auf seinem Posten zu bleiben und für das liberale Programm einzutreten. Ablehnend schrieb dieser zurück: „Die Erkenntnis der eigenen Kraft und Tüchtigkeit muß vorherrschen, und das fehlt nnr. Die Überzeugung, die ich von meiner Unzulänglichkeit habe, ist das Bleigewicht, das ununterbrochen bis heute auf meiner Stellung gelastet hat." Der Kronprinz erhielt die Nachricht von Bismarcks Ernennung in Reinhardsbrunn, wo er zum Besuch beim Herzog von Koburg weilte. Über die Stellung, die er diesem Ereignis und der dadurch geschaffenen Lage gegen¬ über einnehmen solle, war man in seiner Umgebung geteilter Meinung. Stockmar und Samwer vertraten die Anschauung, jetzt, nachdem die Sache sich so zugespitzt, käme alles darauf an, daß der Kronprinz von Preußen sich zurückziehe und eine Sonderstellung einnehme, damit er nicht mit der Negierung identifiziert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/611>, abgerufen am 27.09.2024.