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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Bismarcks

von Preußen suchte der Prinzgemahl für die möglichst lange Dauer eines
solchen Bündnisses die Garantie zu schaffen. Die Beeinflussung des Prinzen
in dem Sinne, daß England auf dem Gebiete des politischen und wirt¬
schaftlichen Lebens eine führende Stellung einnehme, für das Verfassungs¬
leben in seinen parlamentarischen Einrichtungen das Vorbild enthalte und als
Bundesgenosse in jedem Falle Rußland vorzuziehen sei, war nicht schwer; denn
in seinen eindrucksfähigsten Jahren hatte der Prinz aus dem Munde der Eltern,
die damals zu der russenfreundlichen Politik des Königs in scharfem Gegensatz
standen, ähnliche Gedankengänge gehört. Zudem war der Prinzgemahl eine
klare, geistig hochbedeutende Persönlichkeit, die dem Prinzen, bei dem das Gemüt
den Verstand überwog, weit überlegen war. Mit Genugtuung stellte der Prinz¬
gemahl bei seinem ersten Besuch, den er dem jungen Paar in Babelsberg machte,
fest: "Er ist fest in seinen konstitutionellen Grundsätzen, er verabscheut das
Ministerium Manteuffel, und die Kühle, mit der Prinz und Minister sich
begegnen, war unverkennbar." Und wenige Monate vor seinem Tode schreibt er:
"Sollte er auf den Thron kommen, so bin ich sicher, er wird das konstitutionelle
System annehmen und gründlich durchführen."

Wohl auch, weil der englische Prinzgemahl seine Tochter kannte, hat er
dieser Überzeugung so entschiedenen Ausdruck verliehen. Stolz erklärte er, der
den Unterricht selbst geleitet hatte, sie habe eines Mannes Kopf und eines Kindes
Herz; auch seinen kleinen Minister hat er sie genannt. Ein so kühler Beobachter
wie Stockmar erwartete von ihr Großes und hielt sie sür ganz außergewöhnlich
begabt. Einen scharfen, schnellen Verstand, eine rasche Auffassungsgabe rühmte man
ihr auch in Deutschland nach. Aber besonders wichtig sür ihre spätere Stellung
war es, daß sie mit lebhafter Genugtuung die hohe Bedeutung und die
außergewöhnliche Begabung ihrer Nation empfand. In ihrem Herzen ist sie
immer die englische Prinzessin geblieben, und darum erschienen ihr auch die
englischen Einrichtungen ideal. Sie hat aus ihrer Meinung, daß man die
Parteien wie in England regieren lassen müsse, nie ein Hehl gemacht, wohl
auch erklärt, sie selbst gehöre zur liberalen Richtung.

Aber nicht nur der Einfluß seiner Gemahlin bestärkte den Kronprinzen in
der in ihm begründeten freisinnigen politischen Auffassung, auch die Anschauungen
seiner Ratgeber und Freunde waren auf denselben Ton gestimmt. Die
koburgisch-englische Politik hatte gut dafür gesorgt, daß der Kronprinz nur schwer
andere politische Melodien zu hören bekam. Der frühere Leibarzt der
Königin von England und der vertraute Freund und Berater der ver¬
schiedenen Mitglieder der großen koburgischen Familie hatte auch hier seine
Hand im Spiele. Auf seine Veranlassung setzte sich der Kronprinz mit dem
bekannten Historiker Max Duncker, Stockmars Freund und Gesinnungsgenossen,
in Verbindung. Duncker, der bei Beginn der neuen Ära, vor allem auf Betreiben
des Herzogs von Koburg, als vortragender Rat dem Ministerpräsidenten Fürsten
Hohenzollern attachiert worden war, arbeitete sür den Kronprinzen politische


Die fürstlichen Gegner Bismarcks

von Preußen suchte der Prinzgemahl für die möglichst lange Dauer eines
solchen Bündnisses die Garantie zu schaffen. Die Beeinflussung des Prinzen
in dem Sinne, daß England auf dem Gebiete des politischen und wirt¬
schaftlichen Lebens eine führende Stellung einnehme, für das Verfassungs¬
leben in seinen parlamentarischen Einrichtungen das Vorbild enthalte und als
Bundesgenosse in jedem Falle Rußland vorzuziehen sei, war nicht schwer; denn
in seinen eindrucksfähigsten Jahren hatte der Prinz aus dem Munde der Eltern,
die damals zu der russenfreundlichen Politik des Königs in scharfem Gegensatz
standen, ähnliche Gedankengänge gehört. Zudem war der Prinzgemahl eine
klare, geistig hochbedeutende Persönlichkeit, die dem Prinzen, bei dem das Gemüt
den Verstand überwog, weit überlegen war. Mit Genugtuung stellte der Prinz¬
gemahl bei seinem ersten Besuch, den er dem jungen Paar in Babelsberg machte,
fest: „Er ist fest in seinen konstitutionellen Grundsätzen, er verabscheut das
Ministerium Manteuffel, und die Kühle, mit der Prinz und Minister sich
begegnen, war unverkennbar." Und wenige Monate vor seinem Tode schreibt er:
„Sollte er auf den Thron kommen, so bin ich sicher, er wird das konstitutionelle
System annehmen und gründlich durchführen."

Wohl auch, weil der englische Prinzgemahl seine Tochter kannte, hat er
dieser Überzeugung so entschiedenen Ausdruck verliehen. Stolz erklärte er, der
den Unterricht selbst geleitet hatte, sie habe eines Mannes Kopf und eines Kindes
Herz; auch seinen kleinen Minister hat er sie genannt. Ein so kühler Beobachter
wie Stockmar erwartete von ihr Großes und hielt sie sür ganz außergewöhnlich
begabt. Einen scharfen, schnellen Verstand, eine rasche Auffassungsgabe rühmte man
ihr auch in Deutschland nach. Aber besonders wichtig sür ihre spätere Stellung
war es, daß sie mit lebhafter Genugtuung die hohe Bedeutung und die
außergewöhnliche Begabung ihrer Nation empfand. In ihrem Herzen ist sie
immer die englische Prinzessin geblieben, und darum erschienen ihr auch die
englischen Einrichtungen ideal. Sie hat aus ihrer Meinung, daß man die
Parteien wie in England regieren lassen müsse, nie ein Hehl gemacht, wohl
auch erklärt, sie selbst gehöre zur liberalen Richtung.

Aber nicht nur der Einfluß seiner Gemahlin bestärkte den Kronprinzen in
der in ihm begründeten freisinnigen politischen Auffassung, auch die Anschauungen
seiner Ratgeber und Freunde waren auf denselben Ton gestimmt. Die
koburgisch-englische Politik hatte gut dafür gesorgt, daß der Kronprinz nur schwer
andere politische Melodien zu hören bekam. Der frühere Leibarzt der
Königin von England und der vertraute Freund und Berater der ver¬
schiedenen Mitglieder der großen koburgischen Familie hatte auch hier seine
Hand im Spiele. Auf seine Veranlassung setzte sich der Kronprinz mit dem
bekannten Historiker Max Duncker, Stockmars Freund und Gesinnungsgenossen,
in Verbindung. Duncker, der bei Beginn der neuen Ära, vor allem auf Betreiben
des Herzogs von Koburg, als vortragender Rat dem Ministerpräsidenten Fürsten
Hohenzollern attachiert worden war, arbeitete sür den Kronprinzen politische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/610>, abgerufen am 27.09.2024.