Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Franz Iveilers Martyrium

"Gib de Tante auch mal en Kuß!"

Er erwidert halb verwirrt, halb traurig:

"Ich weiß net, wie mers macht! Die Mama will nie ein hawwe von mir!"

Da legt Frau Elisabeth die Lippen auf die seinen und spürt, wie sie sich
ganz leise zusammenziehen zu einem schmetterlingleichten, sammetzart geschlürften
Kusse und glaubt, nie einen lieberen empfangen zu haben.

Dann stellt sie den Kleinen auf, erhebt sich, faßt ihn bei der Hand und sagt:

"Komm, jetzt gehn mer mal zusamme nüwer zu den Buben und puddeln
im Wasser. Und heunt Nacht schläfschte mal bei uns. Ich geh nachher zu
deim Vater und sags em!"

Sie nimmt statt dreier Nachtkittel viere und geht mit Franz in die
große Badeküche. Bauern sparen nicht am Raum, wenn sie bauen. Da ist
bereits eifriges Leben. Die zwei älteren, Jean und Willem, sind schon splitternackt
und gerade dabei, den kleinen Emil auszuziehen. Der strampelt und sträubt sich.
Es hilft ihm nichts, die Brüder sind stärker. Als er Franz mit der Mutter
eintreten sieht, reibt er die beiden Zeigefingerchen aufeinander und ruft:

"Ätsch, Fanz werd aach debat, ätsch!"

Er wirft jetzt sogar selbst sein Hemdlein aus und hüpft auf den dicken
Speckfüßchen herum.

Jean und Willem sind in die große Badewanne gestiegen, der eine steht
am Kopfende, der andere am Fußende. Sie schleudern sich mit den hohlen
Händen das laue Wasser ins Gesicht. Der kleine Emil kräht sein Lachen, weil
Willem flinker ist und sich in derselben Zeit zweimal bückt, die Jean braucht,
um sich einmal zum Wasserschöpfen zu neigen.

Die Lustigkeit steckt Franz an. In hastender Eile nestelt er die Schuh¬
riemen auf, wirft die Jacke aus, die Hosen, Strippe die Strümpfe von den
Beinen, zieht das Hemd über den Kopf und stürmt auf die Wanne zu. Zwei
riesige, triefend voll Wasser gesogene Badeschwämme sausen ihm wider Gesicht
und Brust. Er achtet es nicht, ist mit drei Sätzen an der Wanne und läßt
sich in der Mitte zwischen den beiden Vettern schwer hineinplumpsen. Hochauf,
in schwerem, breitem Strahle patscht das Wasser in die Höhe. Jean und Willem
halten schützend die Hände vors Gesicht, lassen sich dann auf Franz purzeln,
der sich ihrer zu erwehren sucht, und kitzeln ihn.

"Hurrah! Mama. Hurrah!" brüllt Willem, "die Seeschlacht bei Trafalgar.
Die Armada kriegt Knüppel! Haut sie, daß die Läpp ..."

Weiter kommt er nicht. Franz drückt ihm den Kopf unters Wasser, läßt
ihn aber gleich wieder los. Das rote Gesicht taucht heraus. Willem gurgelt,
prustet, pfaucht, Schnauze. Er hat Wasser geschluckt.

Die Mutter hat den Jüngsten auf dem Arm und sieht lachend zu. Sie
nähert sich der Badewanne und sagt:"

"Allo, der Emil setzt sich auch hinein!

Aber der Kleine hat die Wasserscheu,- er zetert und wehrt sich.

Grenzboten I 1912 7S


Franz Iveilers Martyrium

„Gib de Tante auch mal en Kuß!"

Er erwidert halb verwirrt, halb traurig:

„Ich weiß net, wie mers macht! Die Mama will nie ein hawwe von mir!"

Da legt Frau Elisabeth die Lippen auf die seinen und spürt, wie sie sich
ganz leise zusammenziehen zu einem schmetterlingleichten, sammetzart geschlürften
Kusse und glaubt, nie einen lieberen empfangen zu haben.

Dann stellt sie den Kleinen auf, erhebt sich, faßt ihn bei der Hand und sagt:

„Komm, jetzt gehn mer mal zusamme nüwer zu den Buben und puddeln
im Wasser. Und heunt Nacht schläfschte mal bei uns. Ich geh nachher zu
deim Vater und sags em!"

Sie nimmt statt dreier Nachtkittel viere und geht mit Franz in die
große Badeküche. Bauern sparen nicht am Raum, wenn sie bauen. Da ist
bereits eifriges Leben. Die zwei älteren, Jean und Willem, sind schon splitternackt
und gerade dabei, den kleinen Emil auszuziehen. Der strampelt und sträubt sich.
Es hilft ihm nichts, die Brüder sind stärker. Als er Franz mit der Mutter
eintreten sieht, reibt er die beiden Zeigefingerchen aufeinander und ruft:

„Ätsch, Fanz werd aach debat, ätsch!"

Er wirft jetzt sogar selbst sein Hemdlein aus und hüpft auf den dicken
Speckfüßchen herum.

Jean und Willem sind in die große Badewanne gestiegen, der eine steht
am Kopfende, der andere am Fußende. Sie schleudern sich mit den hohlen
Händen das laue Wasser ins Gesicht. Der kleine Emil kräht sein Lachen, weil
Willem flinker ist und sich in derselben Zeit zweimal bückt, die Jean braucht,
um sich einmal zum Wasserschöpfen zu neigen.

Die Lustigkeit steckt Franz an. In hastender Eile nestelt er die Schuh¬
riemen auf, wirft die Jacke aus, die Hosen, Strippe die Strümpfe von den
Beinen, zieht das Hemd über den Kopf und stürmt auf die Wanne zu. Zwei
riesige, triefend voll Wasser gesogene Badeschwämme sausen ihm wider Gesicht
und Brust. Er achtet es nicht, ist mit drei Sätzen an der Wanne und läßt
sich in der Mitte zwischen den beiden Vettern schwer hineinplumpsen. Hochauf,
in schwerem, breitem Strahle patscht das Wasser in die Höhe. Jean und Willem
halten schützend die Hände vors Gesicht, lassen sich dann auf Franz purzeln,
der sich ihrer zu erwehren sucht, und kitzeln ihn.

„Hurrah! Mama. Hurrah!" brüllt Willem, „die Seeschlacht bei Trafalgar.
Die Armada kriegt Knüppel! Haut sie, daß die Läpp ..."

Weiter kommt er nicht. Franz drückt ihm den Kopf unters Wasser, läßt
ihn aber gleich wieder los. Das rote Gesicht taucht heraus. Willem gurgelt,
prustet, pfaucht, Schnauze. Er hat Wasser geschluckt.

Die Mutter hat den Jüngsten auf dem Arm und sieht lachend zu. Sie
nähert sich der Badewanne und sagt:"

„Allo, der Emil setzt sich auch hinein!

Aber der Kleine hat die Wasserscheu,- er zetert und wehrt sich.

Grenzboten I 1912 7S


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320998"/>
          <fw type="header" place="top"> Franz Iveilers Martyrium</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2650"> &#x201E;Gib de Tante auch mal en Kuß!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2651"> Er erwidert halb verwirrt, halb traurig:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2652"> &#x201E;Ich weiß net, wie mers macht!  Die Mama will nie ein hawwe von mir!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2653"> Da legt Frau Elisabeth die Lippen auf die seinen und spürt, wie sie sich<lb/>
ganz leise zusammenziehen zu einem schmetterlingleichten, sammetzart geschlürften<lb/>
Kusse und glaubt, nie einen lieberen empfangen zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2654"> Dann stellt sie den Kleinen auf, erhebt sich, faßt ihn bei der Hand und sagt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2655"> &#x201E;Komm, jetzt gehn mer mal zusamme nüwer zu den Buben und puddeln<lb/>
im Wasser. Und heunt Nacht schläfschte mal bei uns. Ich geh nachher zu<lb/>
deim Vater und sags em!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2656"> Sie nimmt statt dreier Nachtkittel viere und geht mit Franz in die<lb/>
große Badeküche. Bauern sparen nicht am Raum, wenn sie bauen. Da ist<lb/>
bereits eifriges Leben. Die zwei älteren, Jean und Willem, sind schon splitternackt<lb/>
und gerade dabei, den kleinen Emil auszuziehen. Der strampelt und sträubt sich.<lb/>
Es hilft ihm nichts, die Brüder sind stärker. Als er Franz mit der Mutter<lb/>
eintreten sieht, reibt er die beiden Zeigefingerchen aufeinander und ruft:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2657"> &#x201E;Ätsch, Fanz werd aach debat, ätsch!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2658"> Er wirft jetzt sogar selbst sein Hemdlein aus und hüpft auf den dicken<lb/>
Speckfüßchen herum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2659"> Jean und Willem sind in die große Badewanne gestiegen, der eine steht<lb/>
am Kopfende, der andere am Fußende. Sie schleudern sich mit den hohlen<lb/>
Händen das laue Wasser ins Gesicht. Der kleine Emil kräht sein Lachen, weil<lb/>
Willem flinker ist und sich in derselben Zeit zweimal bückt, die Jean braucht,<lb/>
um sich einmal zum Wasserschöpfen zu neigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2660"> Die Lustigkeit steckt Franz an. In hastender Eile nestelt er die Schuh¬<lb/>
riemen auf, wirft die Jacke aus, die Hosen, Strippe die Strümpfe von den<lb/>
Beinen, zieht das Hemd über den Kopf und stürmt auf die Wanne zu. Zwei<lb/>
riesige, triefend voll Wasser gesogene Badeschwämme sausen ihm wider Gesicht<lb/>
und Brust. Er achtet es nicht, ist mit drei Sätzen an der Wanne und läßt<lb/>
sich in der Mitte zwischen den beiden Vettern schwer hineinplumpsen. Hochauf,<lb/>
in schwerem, breitem Strahle patscht das Wasser in die Höhe. Jean und Willem<lb/>
halten schützend die Hände vors Gesicht, lassen sich dann auf Franz purzeln,<lb/>
der sich ihrer zu erwehren sucht, und kitzeln ihn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2661"> &#x201E;Hurrah! Mama. Hurrah!" brüllt Willem, &#x201E;die Seeschlacht bei Trafalgar.<lb/>
Die Armada kriegt Knüppel! Haut sie, daß die Läpp ..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2662"> Weiter kommt er nicht. Franz drückt ihm den Kopf unters Wasser, läßt<lb/>
ihn aber gleich wieder los. Das rote Gesicht taucht heraus. Willem gurgelt,<lb/>
prustet, pfaucht, Schnauze.  Er hat Wasser geschluckt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2663"> Die Mutter hat den Jüngsten auf dem Arm und sieht lachend zu. Sie<lb/>
nähert sich der Badewanne und sagt:"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2664"> &#x201E;Allo, der Emil setzt sich auch hinein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2665"> Aber der Kleine hat die Wasserscheu,- er zetert und wehrt sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2666"> Grenzboten I 1912 7S</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0581] Franz Iveilers Martyrium „Gib de Tante auch mal en Kuß!" Er erwidert halb verwirrt, halb traurig: „Ich weiß net, wie mers macht! Die Mama will nie ein hawwe von mir!" Da legt Frau Elisabeth die Lippen auf die seinen und spürt, wie sie sich ganz leise zusammenziehen zu einem schmetterlingleichten, sammetzart geschlürften Kusse und glaubt, nie einen lieberen empfangen zu haben. Dann stellt sie den Kleinen auf, erhebt sich, faßt ihn bei der Hand und sagt: „Komm, jetzt gehn mer mal zusamme nüwer zu den Buben und puddeln im Wasser. Und heunt Nacht schläfschte mal bei uns. Ich geh nachher zu deim Vater und sags em!" Sie nimmt statt dreier Nachtkittel viere und geht mit Franz in die große Badeküche. Bauern sparen nicht am Raum, wenn sie bauen. Da ist bereits eifriges Leben. Die zwei älteren, Jean und Willem, sind schon splitternackt und gerade dabei, den kleinen Emil auszuziehen. Der strampelt und sträubt sich. Es hilft ihm nichts, die Brüder sind stärker. Als er Franz mit der Mutter eintreten sieht, reibt er die beiden Zeigefingerchen aufeinander und ruft: „Ätsch, Fanz werd aach debat, ätsch!" Er wirft jetzt sogar selbst sein Hemdlein aus und hüpft auf den dicken Speckfüßchen herum. Jean und Willem sind in die große Badewanne gestiegen, der eine steht am Kopfende, der andere am Fußende. Sie schleudern sich mit den hohlen Händen das laue Wasser ins Gesicht. Der kleine Emil kräht sein Lachen, weil Willem flinker ist und sich in derselben Zeit zweimal bückt, die Jean braucht, um sich einmal zum Wasserschöpfen zu neigen. Die Lustigkeit steckt Franz an. In hastender Eile nestelt er die Schuh¬ riemen auf, wirft die Jacke aus, die Hosen, Strippe die Strümpfe von den Beinen, zieht das Hemd über den Kopf und stürmt auf die Wanne zu. Zwei riesige, triefend voll Wasser gesogene Badeschwämme sausen ihm wider Gesicht und Brust. Er achtet es nicht, ist mit drei Sätzen an der Wanne und läßt sich in der Mitte zwischen den beiden Vettern schwer hineinplumpsen. Hochauf, in schwerem, breitem Strahle patscht das Wasser in die Höhe. Jean und Willem halten schützend die Hände vors Gesicht, lassen sich dann auf Franz purzeln, der sich ihrer zu erwehren sucht, und kitzeln ihn. „Hurrah! Mama. Hurrah!" brüllt Willem, „die Seeschlacht bei Trafalgar. Die Armada kriegt Knüppel! Haut sie, daß die Läpp ..." Weiter kommt er nicht. Franz drückt ihm den Kopf unters Wasser, läßt ihn aber gleich wieder los. Das rote Gesicht taucht heraus. Willem gurgelt, prustet, pfaucht, Schnauze. Er hat Wasser geschluckt. Die Mutter hat den Jüngsten auf dem Arm und sieht lachend zu. Sie nähert sich der Badewanne und sagt:" „Allo, der Emil setzt sich auch hinein! Aber der Kleine hat die Wasserscheu,- er zetert und wehrt sich. Grenzboten I 1912 7S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/581
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/581>, abgerufen am 27.09.2024.