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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

Da zieht er die Gabel aus dem Mist, schüttert sie und geht wieder in
den Garten.

Müde beginnt er seine Arbeit. Sie will ihm nicht recht von der Hand.
Die Arme sind ihm wie zerschlagen. Die Hände zittern, die Knie auch. Das
Gesicht ist bleich. Zuiveilen schaudert es ihm den Rücken hinunter. Dann
klappern auch die Zähne.

Nach einer Weile ist er fertig.

"Babba, ich bin so weit!"

"Na, rud dich e bißje aus! Nachher hilfschte mer Erbse lege."

Das Kind setzt sich im Schneidersitz auf den beschickten Weg. Es starrt
vor sich hin. Die Seele versucht emporzuklettern an den Wänden des Schachtes,
aufgeführt aus Qualen, Zweifeln, Angst, ungelösten Rätseln und verdurstender
Sehnsucht. Es gelingt ihr nicht.

Nur eines hofft die verzweifelte Kinoesseele noch. Aber sie kann selbst
nicht an einen Erfolg glauben, weil sie sich verachtet fühlt. Der Bub nimmt
sich vor, nachher sehr fleißig zu sein, dem Vater zu sagen, was er schon litt
und noch leidet und fürchtet, noch leiden zu müssen. Er wird ihn bitten, von
jetzt ab doch gut zur Mutter zu sein.

Franz sieht hinüber nach ihm. Er schafft so fleißig. Ein Schweißtröpfchen
hängt an seiner Nasenspitze und fällt herab auf die dunkle Erde, die der blinkende
Spaten umwirft.

Wenn er ein Stück umgegraben hat, das ungefähr spatenstiellang ist,
nimmt er den Rechen und zerharkt die Schollen und Schöttchen. Stoßen die
eisernen Zinken an ein Steinchen, so gibt es einen leisen Klang.

Nach einer Viertelstunde ist die Arbeit beendet. Der Vater mißt mit
dem am Rechenstiel eingekerbten Maß die Beetbreite ab und schlürft Fuß
vor Fuß die Pfädchen ein, zeichnet mit dem Rechenstiel die Gräben vor. in
die die Erbsen gelegt werden sollen. Dann furchelt er mit einer kleinen Hacke
den einen Graben auf, Franz den anderen, und danach lassen sie die Erbsen
hineinrollen.

"Mer hätt se vleicht doch besser e paar Stund in Wasser einweiche solle!"
meint der Vater.

Das Kind ist während der Arbeit ruhiger geworden und antwortet wie
ein alter Bauer, indem es nach der untergehenden, in einem roten Dunstkreis
schwimmenden Sonne schaut:

"Och. mach dir kei Gedanke, Babba! Die Sonn zieht Wasser. Da gibt's
Rege, un die Erbse keimen auch ohne eingeweicht."

Unterdessen holt der Vater aus einer Gartenecke gedörrtes Reisig. Man
muß das Beet damit überdecken, bis die Erbsen daumenhoch aus der Erde
gewachsen sind, zum Schutze gegen die Tauben, die die süß keimenden gar
gerne fressen.


Franz Weilers Martyrium

Da zieht er die Gabel aus dem Mist, schüttert sie und geht wieder in
den Garten.

Müde beginnt er seine Arbeit. Sie will ihm nicht recht von der Hand.
Die Arme sind ihm wie zerschlagen. Die Hände zittern, die Knie auch. Das
Gesicht ist bleich. Zuiveilen schaudert es ihm den Rücken hinunter. Dann
klappern auch die Zähne.

Nach einer Weile ist er fertig.

„Babba, ich bin so weit!"

„Na, rud dich e bißje aus! Nachher hilfschte mer Erbse lege."

Das Kind setzt sich im Schneidersitz auf den beschickten Weg. Es starrt
vor sich hin. Die Seele versucht emporzuklettern an den Wänden des Schachtes,
aufgeführt aus Qualen, Zweifeln, Angst, ungelösten Rätseln und verdurstender
Sehnsucht. Es gelingt ihr nicht.

Nur eines hofft die verzweifelte Kinoesseele noch. Aber sie kann selbst
nicht an einen Erfolg glauben, weil sie sich verachtet fühlt. Der Bub nimmt
sich vor, nachher sehr fleißig zu sein, dem Vater zu sagen, was er schon litt
und noch leidet und fürchtet, noch leiden zu müssen. Er wird ihn bitten, von
jetzt ab doch gut zur Mutter zu sein.

Franz sieht hinüber nach ihm. Er schafft so fleißig. Ein Schweißtröpfchen
hängt an seiner Nasenspitze und fällt herab auf die dunkle Erde, die der blinkende
Spaten umwirft.

Wenn er ein Stück umgegraben hat, das ungefähr spatenstiellang ist,
nimmt er den Rechen und zerharkt die Schollen und Schöttchen. Stoßen die
eisernen Zinken an ein Steinchen, so gibt es einen leisen Klang.

Nach einer Viertelstunde ist die Arbeit beendet. Der Vater mißt mit
dem am Rechenstiel eingekerbten Maß die Beetbreite ab und schlürft Fuß
vor Fuß die Pfädchen ein, zeichnet mit dem Rechenstiel die Gräben vor. in
die die Erbsen gelegt werden sollen. Dann furchelt er mit einer kleinen Hacke
den einen Graben auf, Franz den anderen, und danach lassen sie die Erbsen
hineinrollen.

„Mer hätt se vleicht doch besser e paar Stund in Wasser einweiche solle!"
meint der Vater.

Das Kind ist während der Arbeit ruhiger geworden und antwortet wie
ein alter Bauer, indem es nach der untergehenden, in einem roten Dunstkreis
schwimmenden Sonne schaut:

„Och. mach dir kei Gedanke, Babba! Die Sonn zieht Wasser. Da gibt's
Rege, un die Erbse keimen auch ohne eingeweicht."

Unterdessen holt der Vater aus einer Gartenecke gedörrtes Reisig. Man
muß das Beet damit überdecken, bis die Erbsen daumenhoch aus der Erde
gewachsen sind, zum Schutze gegen die Tauben, die die süß keimenden gar
gerne fressen.


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[0543] Franz Weilers Martyrium Da zieht er die Gabel aus dem Mist, schüttert sie und geht wieder in den Garten. Müde beginnt er seine Arbeit. Sie will ihm nicht recht von der Hand. Die Arme sind ihm wie zerschlagen. Die Hände zittern, die Knie auch. Das Gesicht ist bleich. Zuiveilen schaudert es ihm den Rücken hinunter. Dann klappern auch die Zähne. Nach einer Weile ist er fertig. „Babba, ich bin so weit!" „Na, rud dich e bißje aus! Nachher hilfschte mer Erbse lege." Das Kind setzt sich im Schneidersitz auf den beschickten Weg. Es starrt vor sich hin. Die Seele versucht emporzuklettern an den Wänden des Schachtes, aufgeführt aus Qualen, Zweifeln, Angst, ungelösten Rätseln und verdurstender Sehnsucht. Es gelingt ihr nicht. Nur eines hofft die verzweifelte Kinoesseele noch. Aber sie kann selbst nicht an einen Erfolg glauben, weil sie sich verachtet fühlt. Der Bub nimmt sich vor, nachher sehr fleißig zu sein, dem Vater zu sagen, was er schon litt und noch leidet und fürchtet, noch leiden zu müssen. Er wird ihn bitten, von jetzt ab doch gut zur Mutter zu sein. Franz sieht hinüber nach ihm. Er schafft so fleißig. Ein Schweißtröpfchen hängt an seiner Nasenspitze und fällt herab auf die dunkle Erde, die der blinkende Spaten umwirft. Wenn er ein Stück umgegraben hat, das ungefähr spatenstiellang ist, nimmt er den Rechen und zerharkt die Schollen und Schöttchen. Stoßen die eisernen Zinken an ein Steinchen, so gibt es einen leisen Klang. Nach einer Viertelstunde ist die Arbeit beendet. Der Vater mißt mit dem am Rechenstiel eingekerbten Maß die Beetbreite ab und schlürft Fuß vor Fuß die Pfädchen ein, zeichnet mit dem Rechenstiel die Gräben vor. in die die Erbsen gelegt werden sollen. Dann furchelt er mit einer kleinen Hacke den einen Graben auf, Franz den anderen, und danach lassen sie die Erbsen hineinrollen. „Mer hätt se vleicht doch besser e paar Stund in Wasser einweiche solle!" meint der Vater. Das Kind ist während der Arbeit ruhiger geworden und antwortet wie ein alter Bauer, indem es nach der untergehenden, in einem roten Dunstkreis schwimmenden Sonne schaut: „Och. mach dir kei Gedanke, Babba! Die Sonn zieht Wasser. Da gibt's Rege, un die Erbse keimen auch ohne eingeweicht." Unterdessen holt der Vater aus einer Gartenecke gedörrtes Reisig. Man muß das Beet damit überdecken, bis die Erbsen daumenhoch aus der Erde gewachsen sind, zum Schutze gegen die Tauben, die die süß keimenden gar gerne fressen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/543>, abgerufen am 27.09.2024.