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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Iveilers Martyrium

eigenen Gemisch, das ganz ihrem die Mitte zwischen grober Bäurischkeit und
ungelenker Höfischkeit haltenden Benehmen entspricht.

Die Bauern werfen dem Kinde vier Dickwurz hin:

"Da, Franz, stopps dem, daß de dei Lascht bal beisamme hoscht!"

Franz packt die Rüben bei den Schwänzen, je zwei in eine Hand:

"Ich dank euch auch schön, un wann ich euch mal was tun kann. . ."

Er weiß selbst nicht, welchen Gegendienst er den Bauern erweisen könnte.
Aber man bedankt sich eben auf dem Lande in der Weise, daß man eine Gegen¬
leistung in Aussicht stellt.

"Jojo!" geben die Bauern zurück und schaffen weiter.

Franz schleppt die Rüben eine Wingertszeile hinunter, packt sie zwischen
sein Futter, hackt die Sichel ein, schnürt das Tuch zusammen, hebt die Last auf
den Kopf, die weitausladende mit beiden Händen im Gleichgewicht haltend, und
macht sich auf den Heimweg.

Schon voll weitem sieht er seinen Vater im Hausgarten, denn hinter des
Lehrers Anwesen breitet sich das weite Feld. Der Garten liegt fünfzehn
Treppenstufen höher als der Hof. Seine Bodenmasse wird durch eine starke
Mauer gehalten, auf deren niedriger Brüstung noch ein Zaun aus weitmaschigem
Drahtgeflechte befestigt ist.

Jetzt sieht Franz, wie sich der Vater zu seinen Lieblingen niederbeugt, zu
den Tulpen, die das in der Mitte des rechtwinkligen Gartens sich wölbende
Blumenrondell gelb-rot-weiß-leuchtend Sprenkeln.

Franz beeilt sich, heimzukommen. Er soll ja dem Vater noch helfen.
Heute soll er nicht mehr bös und ärgerlich über ihn werden. Vielleicht ist er
dann auch einmal so lieb und gut zu ihm, wie es eben die Bauersleute waren.

Aus einem Beete reißt nun der Lehrer die welken Strünke von Winter¬
gemüse, klopft sie wider den Spaten, damit der an den Wurzeln hastende Boden
abfalle. Dann wirft er die Dorschen auf den von weißen Kalksteinen eingefaßten,
mit grauschwarzen Schlacken bedeckten Weg.

Gerade als er den letzten Krautstrunk ausreißt, kommt Franz mit seiner
Futterlast zum Tore herein. Weiler sticht in den Boden, nimmt einen Spaten
voll heraus und läßt ihn prüfend durch die Hand rinnen. Er ist mager-
körnig. Gemüse mergelt den Boden aus; Erbsen tun es ebenfalls. Also ist es
gut, wenn man düngt.

Er sieht, wie der Bub seiue Last abwirft, die Sichel aus dem Grase
reißt und in kurzgezücktem Hieb mit der Spitze in die Stalltür hackt, und ruft
ihm zu:

"Franz, Franz, bring mer emal e paar Korb voll Mist eraufl Aber gut
verfaulte unde erausl"

Franz steht und horcht. Sein Gesicht strahlt. Ein wunderbares Leuchten
geht aus den melancholischen Augen. So lacht der Himmel nicht, wenn nach
wochenlanger Herbstbewölkung die Sonne hervorbricht. So strahlt nur eine


Franz Iveilers Martyrium

eigenen Gemisch, das ganz ihrem die Mitte zwischen grober Bäurischkeit und
ungelenker Höfischkeit haltenden Benehmen entspricht.

Die Bauern werfen dem Kinde vier Dickwurz hin:

„Da, Franz, stopps dem, daß de dei Lascht bal beisamme hoscht!"

Franz packt die Rüben bei den Schwänzen, je zwei in eine Hand:

„Ich dank euch auch schön, un wann ich euch mal was tun kann. . ."

Er weiß selbst nicht, welchen Gegendienst er den Bauern erweisen könnte.
Aber man bedankt sich eben auf dem Lande in der Weise, daß man eine Gegen¬
leistung in Aussicht stellt.

„Jojo!" geben die Bauern zurück und schaffen weiter.

Franz schleppt die Rüben eine Wingertszeile hinunter, packt sie zwischen
sein Futter, hackt die Sichel ein, schnürt das Tuch zusammen, hebt die Last auf
den Kopf, die weitausladende mit beiden Händen im Gleichgewicht haltend, und
macht sich auf den Heimweg.

Schon voll weitem sieht er seinen Vater im Hausgarten, denn hinter des
Lehrers Anwesen breitet sich das weite Feld. Der Garten liegt fünfzehn
Treppenstufen höher als der Hof. Seine Bodenmasse wird durch eine starke
Mauer gehalten, auf deren niedriger Brüstung noch ein Zaun aus weitmaschigem
Drahtgeflechte befestigt ist.

Jetzt sieht Franz, wie sich der Vater zu seinen Lieblingen niederbeugt, zu
den Tulpen, die das in der Mitte des rechtwinkligen Gartens sich wölbende
Blumenrondell gelb-rot-weiß-leuchtend Sprenkeln.

Franz beeilt sich, heimzukommen. Er soll ja dem Vater noch helfen.
Heute soll er nicht mehr bös und ärgerlich über ihn werden. Vielleicht ist er
dann auch einmal so lieb und gut zu ihm, wie es eben die Bauersleute waren.

Aus einem Beete reißt nun der Lehrer die welken Strünke von Winter¬
gemüse, klopft sie wider den Spaten, damit der an den Wurzeln hastende Boden
abfalle. Dann wirft er die Dorschen auf den von weißen Kalksteinen eingefaßten,
mit grauschwarzen Schlacken bedeckten Weg.

Gerade als er den letzten Krautstrunk ausreißt, kommt Franz mit seiner
Futterlast zum Tore herein. Weiler sticht in den Boden, nimmt einen Spaten
voll heraus und läßt ihn prüfend durch die Hand rinnen. Er ist mager-
körnig. Gemüse mergelt den Boden aus; Erbsen tun es ebenfalls. Also ist es
gut, wenn man düngt.

Er sieht, wie der Bub seiue Last abwirft, die Sichel aus dem Grase
reißt und in kurzgezücktem Hieb mit der Spitze in die Stalltür hackt, und ruft
ihm zu:

„Franz, Franz, bring mer emal e paar Korb voll Mist eraufl Aber gut
verfaulte unde erausl"

Franz steht und horcht. Sein Gesicht strahlt. Ein wunderbares Leuchten
geht aus den melancholischen Augen. So lacht der Himmel nicht, wenn nach
wochenlanger Herbstbewölkung die Sonne hervorbricht. So strahlt nur eine


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[0539] Franz Iveilers Martyrium eigenen Gemisch, das ganz ihrem die Mitte zwischen grober Bäurischkeit und ungelenker Höfischkeit haltenden Benehmen entspricht. Die Bauern werfen dem Kinde vier Dickwurz hin: „Da, Franz, stopps dem, daß de dei Lascht bal beisamme hoscht!" Franz packt die Rüben bei den Schwänzen, je zwei in eine Hand: „Ich dank euch auch schön, un wann ich euch mal was tun kann. . ." Er weiß selbst nicht, welchen Gegendienst er den Bauern erweisen könnte. Aber man bedankt sich eben auf dem Lande in der Weise, daß man eine Gegen¬ leistung in Aussicht stellt. „Jojo!" geben die Bauern zurück und schaffen weiter. Franz schleppt die Rüben eine Wingertszeile hinunter, packt sie zwischen sein Futter, hackt die Sichel ein, schnürt das Tuch zusammen, hebt die Last auf den Kopf, die weitausladende mit beiden Händen im Gleichgewicht haltend, und macht sich auf den Heimweg. Schon voll weitem sieht er seinen Vater im Hausgarten, denn hinter des Lehrers Anwesen breitet sich das weite Feld. Der Garten liegt fünfzehn Treppenstufen höher als der Hof. Seine Bodenmasse wird durch eine starke Mauer gehalten, auf deren niedriger Brüstung noch ein Zaun aus weitmaschigem Drahtgeflechte befestigt ist. Jetzt sieht Franz, wie sich der Vater zu seinen Lieblingen niederbeugt, zu den Tulpen, die das in der Mitte des rechtwinkligen Gartens sich wölbende Blumenrondell gelb-rot-weiß-leuchtend Sprenkeln. Franz beeilt sich, heimzukommen. Er soll ja dem Vater noch helfen. Heute soll er nicht mehr bös und ärgerlich über ihn werden. Vielleicht ist er dann auch einmal so lieb und gut zu ihm, wie es eben die Bauersleute waren. Aus einem Beete reißt nun der Lehrer die welken Strünke von Winter¬ gemüse, klopft sie wider den Spaten, damit der an den Wurzeln hastende Boden abfalle. Dann wirft er die Dorschen auf den von weißen Kalksteinen eingefaßten, mit grauschwarzen Schlacken bedeckten Weg. Gerade als er den letzten Krautstrunk ausreißt, kommt Franz mit seiner Futterlast zum Tore herein. Weiler sticht in den Boden, nimmt einen Spaten voll heraus und läßt ihn prüfend durch die Hand rinnen. Er ist mager- körnig. Gemüse mergelt den Boden aus; Erbsen tun es ebenfalls. Also ist es gut, wenn man düngt. Er sieht, wie der Bub seiue Last abwirft, die Sichel aus dem Grase reißt und in kurzgezücktem Hieb mit der Spitze in die Stalltür hackt, und ruft ihm zu: „Franz, Franz, bring mer emal e paar Korb voll Mist eraufl Aber gut verfaulte unde erausl" Franz steht und horcht. Sein Gesicht strahlt. Ein wunderbares Leuchten geht aus den melancholischen Augen. So lacht der Himmel nicht, wenn nach wochenlanger Herbstbewölkung die Sonne hervorbricht. So strahlt nur eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/539>, abgerufen am 27.09.2024.