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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

emsig schreibenden Buben zu. Nach einer Weile pfötelt sie sachte an die
Griffelspitze.

"Nee, Minzje, forscht gibts Kriwweskrawwes statt Buchstawe!"

Aber Mieze möchte mit der Griffelspitze spielen. Da packt Franz sie beim
Pelz im Genick und setzt sie auf seinen Schoß.

Dann schreibt er wieder von Eginhardt und Emma und denkt, der Vater
wäre wohl, wenn er Eginhardt gewesen wäre, da oben in den Wäldern am
Main nicht mehr lieb zu Emma gewesen. Denn nach ihrer Verstoßung vom
kaiserlichen Vater war ja doch Emma nicht mehr reich und hatte auch keine
zwanzigtausend Mark.

Das Kind schielt hinüber nach dem Vater. Ein böses Leuchten ist in
diesen Kinderaugen. Der Bub hat aus dem kindlichen Gerechtigkeitsgefühl
heraus eine instinktive Abneigung gegen den Vater. Denn er fuhlt, daß der
Vater an der Mutter Unrecht tut. Und der Vater fühlt wieder, daß der Kleine
ihn richtig beurteilt. Darum ist ein immerwährender, aber schlafender Haß
gegen sein Kind in ihm. Doch auch der schlafende Haß wirkt schon. Wenn
der Sohn selbst einmal ein Mann ist, wird dieser Haß furchtbar erwachen und
sich in der Sohnesseele einen gleichstarken aufrufen. Denn Haß sucht Haß in
dem, gegen den er sich richtet, wie Liebe die Liebe ersehnt.

Franzens Abneigung gegen den Vater wird noch verstärkt durch den Umstand,
daß er auch der zärtlichen Mutterliebe entbehrt. Er weiß, daß auch daran der
Vater schuld ist.

Die Mutter leidet unter der Brutalität der ihr vom Gatten zuteil werdenden
seelischen Behandlung und ist darum mürrisch auch gegen die eigenen Kinder.
Sie können ihr das Glück nicht ersetzen, das sie vom Manne vergebens erwartet.
Das Muttersein ist ihr ein Zwang und keine heilige Freude. Sie gibt ihren
Kindern keine Zärtlichkeit, und Franz mit der zarten Seele vermißt sie im
Gegensatz zu seinen schon gröber besaiteten Geschwistern am meisten und
empfindet die Entbehrung als eine, das kindliche Herz allzu sehr verwundende
Sehnsucht. Oh, und daß er so selten seinen Vornanren von den Eltern zu
hören bekommt! Geschweige denn einen Kosenamen! Die Mutter herrscht ihn
meist mit "Du" an. Das liebste Wort, das aus des Vaters Munde kommt,
ist: "Großer". Aber dann ist er noch gut gelaunt. "Bandit" ist auch noch
zum Anhören, aber "Hund" -- das tut weh . . .

Warum wohl den anderen Kindern die Uneinigkeit der Eltern nicht so
schwer lastend in die Seele fällt? Warum liest man nur von seinen Angen
ab, daß er manchmal den Vater, manchmal die Mutter nicht leiden kann?
Franz möchte alles in tiefster Seele verbergen und nach außen nicht merken
lassen, was in ihm vorgeht. Und er weiß nicht, daß das über kindliche Kräfte
geht. . .

Als er seine Arbeit beendet hat, zeigt er sie seinen: Vater:

"Guck emal. is es gut?"


Franz Weilers Martyrium

emsig schreibenden Buben zu. Nach einer Weile pfötelt sie sachte an die
Griffelspitze.

„Nee, Minzje, forscht gibts Kriwweskrawwes statt Buchstawe!"

Aber Mieze möchte mit der Griffelspitze spielen. Da packt Franz sie beim
Pelz im Genick und setzt sie auf seinen Schoß.

Dann schreibt er wieder von Eginhardt und Emma und denkt, der Vater
wäre wohl, wenn er Eginhardt gewesen wäre, da oben in den Wäldern am
Main nicht mehr lieb zu Emma gewesen. Denn nach ihrer Verstoßung vom
kaiserlichen Vater war ja doch Emma nicht mehr reich und hatte auch keine
zwanzigtausend Mark.

Das Kind schielt hinüber nach dem Vater. Ein böses Leuchten ist in
diesen Kinderaugen. Der Bub hat aus dem kindlichen Gerechtigkeitsgefühl
heraus eine instinktive Abneigung gegen den Vater. Denn er fuhlt, daß der
Vater an der Mutter Unrecht tut. Und der Vater fühlt wieder, daß der Kleine
ihn richtig beurteilt. Darum ist ein immerwährender, aber schlafender Haß
gegen sein Kind in ihm. Doch auch der schlafende Haß wirkt schon. Wenn
der Sohn selbst einmal ein Mann ist, wird dieser Haß furchtbar erwachen und
sich in der Sohnesseele einen gleichstarken aufrufen. Denn Haß sucht Haß in
dem, gegen den er sich richtet, wie Liebe die Liebe ersehnt.

Franzens Abneigung gegen den Vater wird noch verstärkt durch den Umstand,
daß er auch der zärtlichen Mutterliebe entbehrt. Er weiß, daß auch daran der
Vater schuld ist.

Die Mutter leidet unter der Brutalität der ihr vom Gatten zuteil werdenden
seelischen Behandlung und ist darum mürrisch auch gegen die eigenen Kinder.
Sie können ihr das Glück nicht ersetzen, das sie vom Manne vergebens erwartet.
Das Muttersein ist ihr ein Zwang und keine heilige Freude. Sie gibt ihren
Kindern keine Zärtlichkeit, und Franz mit der zarten Seele vermißt sie im
Gegensatz zu seinen schon gröber besaiteten Geschwistern am meisten und
empfindet die Entbehrung als eine, das kindliche Herz allzu sehr verwundende
Sehnsucht. Oh, und daß er so selten seinen Vornanren von den Eltern zu
hören bekommt! Geschweige denn einen Kosenamen! Die Mutter herrscht ihn
meist mit „Du" an. Das liebste Wort, das aus des Vaters Munde kommt,
ist: „Großer". Aber dann ist er noch gut gelaunt. „Bandit" ist auch noch
zum Anhören, aber „Hund" — das tut weh . . .

Warum wohl den anderen Kindern die Uneinigkeit der Eltern nicht so
schwer lastend in die Seele fällt? Warum liest man nur von seinen Angen
ab, daß er manchmal den Vater, manchmal die Mutter nicht leiden kann?
Franz möchte alles in tiefster Seele verbergen und nach außen nicht merken
lassen, was in ihm vorgeht. Und er weiß nicht, daß das über kindliche Kräfte
geht. . .

Als er seine Arbeit beendet hat, zeigt er sie seinen: Vater:

„Guck emal. is es gut?"


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[0537] Franz Weilers Martyrium emsig schreibenden Buben zu. Nach einer Weile pfötelt sie sachte an die Griffelspitze. „Nee, Minzje, forscht gibts Kriwweskrawwes statt Buchstawe!" Aber Mieze möchte mit der Griffelspitze spielen. Da packt Franz sie beim Pelz im Genick und setzt sie auf seinen Schoß. Dann schreibt er wieder von Eginhardt und Emma und denkt, der Vater wäre wohl, wenn er Eginhardt gewesen wäre, da oben in den Wäldern am Main nicht mehr lieb zu Emma gewesen. Denn nach ihrer Verstoßung vom kaiserlichen Vater war ja doch Emma nicht mehr reich und hatte auch keine zwanzigtausend Mark. Das Kind schielt hinüber nach dem Vater. Ein böses Leuchten ist in diesen Kinderaugen. Der Bub hat aus dem kindlichen Gerechtigkeitsgefühl heraus eine instinktive Abneigung gegen den Vater. Denn er fuhlt, daß der Vater an der Mutter Unrecht tut. Und der Vater fühlt wieder, daß der Kleine ihn richtig beurteilt. Darum ist ein immerwährender, aber schlafender Haß gegen sein Kind in ihm. Doch auch der schlafende Haß wirkt schon. Wenn der Sohn selbst einmal ein Mann ist, wird dieser Haß furchtbar erwachen und sich in der Sohnesseele einen gleichstarken aufrufen. Denn Haß sucht Haß in dem, gegen den er sich richtet, wie Liebe die Liebe ersehnt. Franzens Abneigung gegen den Vater wird noch verstärkt durch den Umstand, daß er auch der zärtlichen Mutterliebe entbehrt. Er weiß, daß auch daran der Vater schuld ist. Die Mutter leidet unter der Brutalität der ihr vom Gatten zuteil werdenden seelischen Behandlung und ist darum mürrisch auch gegen die eigenen Kinder. Sie können ihr das Glück nicht ersetzen, das sie vom Manne vergebens erwartet. Das Muttersein ist ihr ein Zwang und keine heilige Freude. Sie gibt ihren Kindern keine Zärtlichkeit, und Franz mit der zarten Seele vermißt sie im Gegensatz zu seinen schon gröber besaiteten Geschwistern am meisten und empfindet die Entbehrung als eine, das kindliche Herz allzu sehr verwundende Sehnsucht. Oh, und daß er so selten seinen Vornanren von den Eltern zu hören bekommt! Geschweige denn einen Kosenamen! Die Mutter herrscht ihn meist mit „Du" an. Das liebste Wort, das aus des Vaters Munde kommt, ist: „Großer". Aber dann ist er noch gut gelaunt. „Bandit" ist auch noch zum Anhören, aber „Hund" — das tut weh . . . Warum wohl den anderen Kindern die Uneinigkeit der Eltern nicht so schwer lastend in die Seele fällt? Warum liest man nur von seinen Angen ab, daß er manchmal den Vater, manchmal die Mutter nicht leiden kann? Franz möchte alles in tiefster Seele verbergen und nach außen nicht merken lassen, was in ihm vorgeht. Und er weiß nicht, daß das über kindliche Kräfte geht. . . Als er seine Arbeit beendet hat, zeigt er sie seinen: Vater: „Guck emal. is es gut?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/537>, abgerufen am 27.09.2024.