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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Meilers Martyrium

"Ja, liewer Mann, die is auf einmal ganz entsetzlich teuer geworde un
kost jetzt en ganz Mark pro Pfund. Da muß sich unsereins halt en bißje
einschränke."

"Mit de Zinse von den versprochenen zwanzigtausend Mark könnt mer viel
Butter krieje!"

Die Frau sagt gequält:

"Och, Mann, jetzt kujonierste mich schon fuffzehn Jahr damit. Geb doch
endlich mal Ruh! Wann die zwei alte Leut' mal net mehr da sind, kriegste's
ja doch!"

"Die machen awwer noch keine Anstalte, als ob se de Welt adscheh sage
wollten!"

Die Frau steht mit vorgebeugtem Kopfe und starrt, als ob sie nicht recht
verstanden hätte. Aber dann überrinnt ein dunkles Rot der Empörung ihr
Gesicht und weicht wieder und nimmt alle Farbe mit fort.

In ihrer Erregung faßt sie das Schüsselchen mit Latwerg und schleudert
es neben dem Manne auf den Fußboden. Alsdann verläßt sie die Küche.

Franz sitzt zitternd vor seiner Tasse. In seinem Hirn wirren die Gedanken;
aber aus dem Durcheinander der Angstgefühle steigt klar und inbrünstig der
sehnsüchtige Wunsch: Wenn der Vater und die Mutter nur endlich einmal lieb
zu einander wären. So, wie Eginhard und Emma es waren.

Als das Kind seine Tasse zurückschiebt, fragt sein Vater:

"Na, ißt du nix mehr?"

"Babba, Hunger haww ich jetzt kein mehr!"

Franz steht auf, stellt seine Tasse auf deu Wasserstein, nimmt den Kohlen¬
löffel vom Herde und will den auf dem Boden liegenden Latwerg ausschöpfen.
Aber der Vater hält ihn ab:

"Das bleibt liege. Raum emal de Tisch ab, mach die Platt sauwer un
hol mer die Aufsatzhefte un die rot Dinte! Nachher schreibschte dein Aufsatz un
gehscht grase. Später legen mer noch e Land Erbse."

Währenddem Franz den Tisch in Ordnung bringt und die gewünschten
Sachen herbeiholt, starrt Weiler halb nachdenklich, halb gleichgültig, die Arme
über der Brust verschränkt, durchs Küchenfenster ins Blaue. Plötzlich fährt er
auf, seufzt: "Djajachchchch!", entschnürt den Pack Aufsatzhefte und macht sich
ans Korrigieren.

Franz holt sich ein Schemelstühlchen, stellt es vor die Wasserbank, die er
als Schreibtisch benutzt, und girpst mit dem Griffel eifrig auf der Schiefertafel.

Die Katze, die in der warmen Herdecke behaglich geschlafen hat, wird von
einer ihr auf der Nase krabbelnden Mücke geweckt. Mieze nießt, klafft das
Maul weit auseinander zum Gähnen, steht auf, macht einen riesigen Buckel,
stellt die Vorderpfoten voraus, streckt sich und geht mit sammtnen Schritten auf
Franz zu. Mit einem Satze ist sie auf der Wasserbank, setzt sich neben Franzens
Tafel, ihren Schwanz um die zierlichen Vorderpfoten ringelnd. Sie schaut dem


Franz Meilers Martyrium

„Ja, liewer Mann, die is auf einmal ganz entsetzlich teuer geworde un
kost jetzt en ganz Mark pro Pfund. Da muß sich unsereins halt en bißje
einschränke."

„Mit de Zinse von den versprochenen zwanzigtausend Mark könnt mer viel
Butter krieje!"

Die Frau sagt gequält:

„Och, Mann, jetzt kujonierste mich schon fuffzehn Jahr damit. Geb doch
endlich mal Ruh! Wann die zwei alte Leut' mal net mehr da sind, kriegste's
ja doch!"

„Die machen awwer noch keine Anstalte, als ob se de Welt adscheh sage
wollten!"

Die Frau steht mit vorgebeugtem Kopfe und starrt, als ob sie nicht recht
verstanden hätte. Aber dann überrinnt ein dunkles Rot der Empörung ihr
Gesicht und weicht wieder und nimmt alle Farbe mit fort.

In ihrer Erregung faßt sie das Schüsselchen mit Latwerg und schleudert
es neben dem Manne auf den Fußboden. Alsdann verläßt sie die Küche.

Franz sitzt zitternd vor seiner Tasse. In seinem Hirn wirren die Gedanken;
aber aus dem Durcheinander der Angstgefühle steigt klar und inbrünstig der
sehnsüchtige Wunsch: Wenn der Vater und die Mutter nur endlich einmal lieb
zu einander wären. So, wie Eginhard und Emma es waren.

Als das Kind seine Tasse zurückschiebt, fragt sein Vater:

„Na, ißt du nix mehr?"

„Babba, Hunger haww ich jetzt kein mehr!"

Franz steht auf, stellt seine Tasse auf deu Wasserstein, nimmt den Kohlen¬
löffel vom Herde und will den auf dem Boden liegenden Latwerg ausschöpfen.
Aber der Vater hält ihn ab:

„Das bleibt liege. Raum emal de Tisch ab, mach die Platt sauwer un
hol mer die Aufsatzhefte un die rot Dinte! Nachher schreibschte dein Aufsatz un
gehscht grase. Später legen mer noch e Land Erbse."

Währenddem Franz den Tisch in Ordnung bringt und die gewünschten
Sachen herbeiholt, starrt Weiler halb nachdenklich, halb gleichgültig, die Arme
über der Brust verschränkt, durchs Küchenfenster ins Blaue. Plötzlich fährt er
auf, seufzt: „Djajachchchch!", entschnürt den Pack Aufsatzhefte und macht sich
ans Korrigieren.

Franz holt sich ein Schemelstühlchen, stellt es vor die Wasserbank, die er
als Schreibtisch benutzt, und girpst mit dem Griffel eifrig auf der Schiefertafel.

Die Katze, die in der warmen Herdecke behaglich geschlafen hat, wird von
einer ihr auf der Nase krabbelnden Mücke geweckt. Mieze nießt, klafft das
Maul weit auseinander zum Gähnen, steht auf, macht einen riesigen Buckel,
stellt die Vorderpfoten voraus, streckt sich und geht mit sammtnen Schritten auf
Franz zu. Mit einem Satze ist sie auf der Wasserbank, setzt sich neben Franzens
Tafel, ihren Schwanz um die zierlichen Vorderpfoten ringelnd. Sie schaut dem


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[0536] Franz Meilers Martyrium „Ja, liewer Mann, die is auf einmal ganz entsetzlich teuer geworde un kost jetzt en ganz Mark pro Pfund. Da muß sich unsereins halt en bißje einschränke." „Mit de Zinse von den versprochenen zwanzigtausend Mark könnt mer viel Butter krieje!" Die Frau sagt gequält: „Och, Mann, jetzt kujonierste mich schon fuffzehn Jahr damit. Geb doch endlich mal Ruh! Wann die zwei alte Leut' mal net mehr da sind, kriegste's ja doch!" „Die machen awwer noch keine Anstalte, als ob se de Welt adscheh sage wollten!" Die Frau steht mit vorgebeugtem Kopfe und starrt, als ob sie nicht recht verstanden hätte. Aber dann überrinnt ein dunkles Rot der Empörung ihr Gesicht und weicht wieder und nimmt alle Farbe mit fort. In ihrer Erregung faßt sie das Schüsselchen mit Latwerg und schleudert es neben dem Manne auf den Fußboden. Alsdann verläßt sie die Küche. Franz sitzt zitternd vor seiner Tasse. In seinem Hirn wirren die Gedanken; aber aus dem Durcheinander der Angstgefühle steigt klar und inbrünstig der sehnsüchtige Wunsch: Wenn der Vater und die Mutter nur endlich einmal lieb zu einander wären. So, wie Eginhard und Emma es waren. Als das Kind seine Tasse zurückschiebt, fragt sein Vater: „Na, ißt du nix mehr?" „Babba, Hunger haww ich jetzt kein mehr!" Franz steht auf, stellt seine Tasse auf deu Wasserstein, nimmt den Kohlen¬ löffel vom Herde und will den auf dem Boden liegenden Latwerg ausschöpfen. Aber der Vater hält ihn ab: „Das bleibt liege. Raum emal de Tisch ab, mach die Platt sauwer un hol mer die Aufsatzhefte un die rot Dinte! Nachher schreibschte dein Aufsatz un gehscht grase. Später legen mer noch e Land Erbse." Währenddem Franz den Tisch in Ordnung bringt und die gewünschten Sachen herbeiholt, starrt Weiler halb nachdenklich, halb gleichgültig, die Arme über der Brust verschränkt, durchs Küchenfenster ins Blaue. Plötzlich fährt er auf, seufzt: „Djajachchchch!", entschnürt den Pack Aufsatzhefte und macht sich ans Korrigieren. Franz holt sich ein Schemelstühlchen, stellt es vor die Wasserbank, die er als Schreibtisch benutzt, und girpst mit dem Griffel eifrig auf der Schiefertafel. Die Katze, die in der warmen Herdecke behaglich geschlafen hat, wird von einer ihr auf der Nase krabbelnden Mücke geweckt. Mieze nießt, klafft das Maul weit auseinander zum Gähnen, steht auf, macht einen riesigen Buckel, stellt die Vorderpfoten voraus, streckt sich und geht mit sammtnen Schritten auf Franz zu. Mit einem Satze ist sie auf der Wasserbank, setzt sich neben Franzens Tafel, ihren Schwanz um die zierlichen Vorderpfoten ringelnd. Sie schaut dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/536>, abgerufen am 27.09.2024.