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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Jugend und die Sozialdemokratie

Propaganda. Der natürliche Eifer der Jungen wird benutzt, alle Lehrlinge
und Arbeitsburschen mit Zettelangeboten zu verfolgen, sie anzusprechen, sie in
den Werkstätten und in der Schule zu bearbeiten, und wenn sie Widerstand
leisten, zu verhöhnen.

Andere Vereine zu zerstören ist jedes Mittel recht. Eines Abends finde
ich vor unserem Versammlungsgebäude eine Gruppe Jungen. Ich spreche mit
ihnen und frage, ob sie wohl zum sozialistischen Jugendbund gehören und hier
Propaganda machen wollen. Nein, sie langweilten sich aber Sonntags und
wollten unseren Verein kennen lernen. Ich lud sie darauf ein; sie kamen am
Sonntag und entpuppten sich als Agitatoren. Am nächsten Sonntag gelang es
beizeiten, einen Einschleicher zu ertappen und wegzuschicken mit der Bestellung,
solches Spiel werde auf Deutsch gemeiner Betrug genannt. Am selben Sonntag
waren sämtliche Zugangsstraßen zu unserem Saale mit Doppelposten besetzt.
In einem erkannte ich meine Freunde vom vorigen Sonntag. Ich begann ein
gemütliches Gespräch und machte ihnen die Lüge zum Vorwurf. Sie gaben zu,
auch ihre Oberen hätten das gerügt. Darauf begann der eine wortreich einen
Vortrag über Erziehung. (Er war etwa fünfzehn Jahre alt.) Ich sagte, er
rede, was er nicht verstehe. Darauf er: "O, wir sind aufgeklärt, ich verstehe
das sehr wohl." Dann raffte sich der kleine Mann plötzlich noch einmal
zusammen und sagte: "Im Kampfe sei die Lüge doch eine sehr gute Waffe."
Darauf wurde ich grob und sagte, sie seien dumme Jungen und sollten sich
schämen. In den folgenden Wochen wurden wir noch öfter belagert, und ich
hatte als einzige Waffe den Hohn: sie möchten die Sozialdemokratie nicht so
blamieren, indem sie als dumme Jungen auf der Straße agitieren gingen.
Dieser Angriff, der sich ähnlich bei anderen Vereinen auch abgespielt hat, war
lange vorbereitet. In der Arbeiterjugend, dein durch ganz Deutschland ver¬
breiteten Blatte, wurde zuerst gehetzt gegen die bösen Bürgerlichen, die sich zur
Verknechtung der Volksjugend verschworen hätten. Dann folgten in den Distrikts¬
versammlungen der Partei Hetzreden. Und dann wurden die Jungen losgeschickt.

Diese Jugendbewegung ist gründlich unsittlich. Wenn sie in ihrer jetzigen
Gestalt siegt, muß sie die deutsche Arbeiterpartei in eine völlig unfruchtbare
Zukunft hineintreiben. Taub werden diese Menschen dem Rufe: Ihr müßt euch
aus euerer wirtschaftspolitischen Unfruchtbarkeit aufraffen; mit den erworbenen
Kapitalien treibt Bodenerwerb rings um die städtischen Kommunen! Blind
werden sie für die Verwüstungen, welche heute vielmonatliche Arbeitskämpfe in
allem Geschäftsleben ausrichten, für den Schaden anderer Arbeiterkategorien,
die infolgedessen auch arbeitslos werden; blind für die Gefahr, daß bei diesem
steten Kampfleben namentlich im Baugewerbe, gerade die bestgelohnten anfangen,
die Familiengründung zu fürchten und der Kraft der Nation der allerbitterste
Schaden getan wird.

Nun, die Sozialdemokratie wird selbst an dieser abgerichteten Jugend ihre
Freude erleben, eine furchtbare Freude, die noch manchen redlichen Mann ver-


Die Jugend und die Sozialdemokratie

Propaganda. Der natürliche Eifer der Jungen wird benutzt, alle Lehrlinge
und Arbeitsburschen mit Zettelangeboten zu verfolgen, sie anzusprechen, sie in
den Werkstätten und in der Schule zu bearbeiten, und wenn sie Widerstand
leisten, zu verhöhnen.

Andere Vereine zu zerstören ist jedes Mittel recht. Eines Abends finde
ich vor unserem Versammlungsgebäude eine Gruppe Jungen. Ich spreche mit
ihnen und frage, ob sie wohl zum sozialistischen Jugendbund gehören und hier
Propaganda machen wollen. Nein, sie langweilten sich aber Sonntags und
wollten unseren Verein kennen lernen. Ich lud sie darauf ein; sie kamen am
Sonntag und entpuppten sich als Agitatoren. Am nächsten Sonntag gelang es
beizeiten, einen Einschleicher zu ertappen und wegzuschicken mit der Bestellung,
solches Spiel werde auf Deutsch gemeiner Betrug genannt. Am selben Sonntag
waren sämtliche Zugangsstraßen zu unserem Saale mit Doppelposten besetzt.
In einem erkannte ich meine Freunde vom vorigen Sonntag. Ich begann ein
gemütliches Gespräch und machte ihnen die Lüge zum Vorwurf. Sie gaben zu,
auch ihre Oberen hätten das gerügt. Darauf begann der eine wortreich einen
Vortrag über Erziehung. (Er war etwa fünfzehn Jahre alt.) Ich sagte, er
rede, was er nicht verstehe. Darauf er: „O, wir sind aufgeklärt, ich verstehe
das sehr wohl." Dann raffte sich der kleine Mann plötzlich noch einmal
zusammen und sagte: „Im Kampfe sei die Lüge doch eine sehr gute Waffe."
Darauf wurde ich grob und sagte, sie seien dumme Jungen und sollten sich
schämen. In den folgenden Wochen wurden wir noch öfter belagert, und ich
hatte als einzige Waffe den Hohn: sie möchten die Sozialdemokratie nicht so
blamieren, indem sie als dumme Jungen auf der Straße agitieren gingen.
Dieser Angriff, der sich ähnlich bei anderen Vereinen auch abgespielt hat, war
lange vorbereitet. In der Arbeiterjugend, dein durch ganz Deutschland ver¬
breiteten Blatte, wurde zuerst gehetzt gegen die bösen Bürgerlichen, die sich zur
Verknechtung der Volksjugend verschworen hätten. Dann folgten in den Distrikts¬
versammlungen der Partei Hetzreden. Und dann wurden die Jungen losgeschickt.

Diese Jugendbewegung ist gründlich unsittlich. Wenn sie in ihrer jetzigen
Gestalt siegt, muß sie die deutsche Arbeiterpartei in eine völlig unfruchtbare
Zukunft hineintreiben. Taub werden diese Menschen dem Rufe: Ihr müßt euch
aus euerer wirtschaftspolitischen Unfruchtbarkeit aufraffen; mit den erworbenen
Kapitalien treibt Bodenerwerb rings um die städtischen Kommunen! Blind
werden sie für die Verwüstungen, welche heute vielmonatliche Arbeitskämpfe in
allem Geschäftsleben ausrichten, für den Schaden anderer Arbeiterkategorien,
die infolgedessen auch arbeitslos werden; blind für die Gefahr, daß bei diesem
steten Kampfleben namentlich im Baugewerbe, gerade die bestgelohnten anfangen,
die Familiengründung zu fürchten und der Kraft der Nation der allerbitterste
Schaden getan wird.

Nun, die Sozialdemokratie wird selbst an dieser abgerichteten Jugend ihre
Freude erleben, eine furchtbare Freude, die noch manchen redlichen Mann ver-


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[0532] Die Jugend und die Sozialdemokratie Propaganda. Der natürliche Eifer der Jungen wird benutzt, alle Lehrlinge und Arbeitsburschen mit Zettelangeboten zu verfolgen, sie anzusprechen, sie in den Werkstätten und in der Schule zu bearbeiten, und wenn sie Widerstand leisten, zu verhöhnen. Andere Vereine zu zerstören ist jedes Mittel recht. Eines Abends finde ich vor unserem Versammlungsgebäude eine Gruppe Jungen. Ich spreche mit ihnen und frage, ob sie wohl zum sozialistischen Jugendbund gehören und hier Propaganda machen wollen. Nein, sie langweilten sich aber Sonntags und wollten unseren Verein kennen lernen. Ich lud sie darauf ein; sie kamen am Sonntag und entpuppten sich als Agitatoren. Am nächsten Sonntag gelang es beizeiten, einen Einschleicher zu ertappen und wegzuschicken mit der Bestellung, solches Spiel werde auf Deutsch gemeiner Betrug genannt. Am selben Sonntag waren sämtliche Zugangsstraßen zu unserem Saale mit Doppelposten besetzt. In einem erkannte ich meine Freunde vom vorigen Sonntag. Ich begann ein gemütliches Gespräch und machte ihnen die Lüge zum Vorwurf. Sie gaben zu, auch ihre Oberen hätten das gerügt. Darauf begann der eine wortreich einen Vortrag über Erziehung. (Er war etwa fünfzehn Jahre alt.) Ich sagte, er rede, was er nicht verstehe. Darauf er: „O, wir sind aufgeklärt, ich verstehe das sehr wohl." Dann raffte sich der kleine Mann plötzlich noch einmal zusammen und sagte: „Im Kampfe sei die Lüge doch eine sehr gute Waffe." Darauf wurde ich grob und sagte, sie seien dumme Jungen und sollten sich schämen. In den folgenden Wochen wurden wir noch öfter belagert, und ich hatte als einzige Waffe den Hohn: sie möchten die Sozialdemokratie nicht so blamieren, indem sie als dumme Jungen auf der Straße agitieren gingen. Dieser Angriff, der sich ähnlich bei anderen Vereinen auch abgespielt hat, war lange vorbereitet. In der Arbeiterjugend, dein durch ganz Deutschland ver¬ breiteten Blatte, wurde zuerst gehetzt gegen die bösen Bürgerlichen, die sich zur Verknechtung der Volksjugend verschworen hätten. Dann folgten in den Distrikts¬ versammlungen der Partei Hetzreden. Und dann wurden die Jungen losgeschickt. Diese Jugendbewegung ist gründlich unsittlich. Wenn sie in ihrer jetzigen Gestalt siegt, muß sie die deutsche Arbeiterpartei in eine völlig unfruchtbare Zukunft hineintreiben. Taub werden diese Menschen dem Rufe: Ihr müßt euch aus euerer wirtschaftspolitischen Unfruchtbarkeit aufraffen; mit den erworbenen Kapitalien treibt Bodenerwerb rings um die städtischen Kommunen! Blind werden sie für die Verwüstungen, welche heute vielmonatliche Arbeitskämpfe in allem Geschäftsleben ausrichten, für den Schaden anderer Arbeiterkategorien, die infolgedessen auch arbeitslos werden; blind für die Gefahr, daß bei diesem steten Kampfleben namentlich im Baugewerbe, gerade die bestgelohnten anfangen, die Familiengründung zu fürchten und der Kraft der Nation der allerbitterste Schaden getan wird. Nun, die Sozialdemokratie wird selbst an dieser abgerichteten Jugend ihre Freude erleben, eine furchtbare Freude, die noch manchen redlichen Mann ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/532>, abgerufen am 27.09.2024.