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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Jugend und die Sozialdemokrcitic

So hat eine Erziehungsarbeit in der Sozialdemokratie eingesetzt, welche in
Wahrheit gar keine Erziehung ist, sondern eine Rekrutenwerbung. Das ist ein
Abfall vom kühnen Glauben der Väter. Man meint mit allen Mitteln des Drills,
der Absperrung, der Drohung, den Menschen von klein auf zum Sozialdemokraten
machen zu müssen. Denn dies ist der Zweck der sozialdemokratischen Jugend¬
bewegung. Jeder Vortrag, jede Ansprache, ja sogar die Novelle wird benutzt,
die Jugend unter die Parteiherrschaft zu bringen. Diese Jugendbewegung ist aber
geschaffen worden nicht von den Alten, sondern von den Jungen. Diejenigen,
die in der sozialistischen Jugendbewegung auftraten, waren ganz junge Menschen,
kaum zwanzig Jahre alt. Diese riefen das jüngste Geschlecht in den Kampf.
Und dieses Geschlecht fühlt sich schon als Erbe. Es ist stolz auf die gewaltigen
Erfolge der Partei, die riesenhafte Entfaltung der Organisationen, die gewaltigen,
oft gewonnenen Streiks, die Sicherheit der Disziplin, kraft derer ein jeder in
der Werkstatt die hohen regelmäßigen und außerordentlichen Abgaben zahlt --
stolz endlich auf die großen Kapitalien, welche sich im Besitze der Gewerkschaften
und der Partei befinden. In Wirklichkeit sind diese Jungen nur selten Erben.
Sie sind das neue Massenvolk, zusammengeflutet aus allen Gauen des Vater¬
landes. So kommt es denn, daß gewandte, oberflächliche, leidenschaftliche Gro߬
stadtjünglinge mit einem -- man möchte fast sagen -- urgermanischen Tem¬
perament die sozialistische Jugendbewegimg als Feld für ihren Tatendrang
benutzen können.

Diese Jugendbewegung hat heute schon eine Geschichte. Zuerst trat sie mit
vielem Geschrei und wenig Erfolg auf. Einige Ältere haben wohl noch zu
lenken versucht. Lange hat das aber nicht gewirkt. Im Herbst 1907 entfaltete
die junge Bewegung in öffentlichen Versammlungen eine große Regsamkeit.
Ein etwa zwanzigjähriger Berliner fuhr als Propagandaredner durch die
Welt. Damals war es für den Kritiker möglich, in den Versammlungen auf¬
merksames Gehör, manchmal fast Sympathie zu gewinnen. In diesem Kampfe
mußte der Kritiker folgenden Gedankengang entwickeln: wir haben gar
nichts dagegen, daß auch Sozialdemokraten sich der Jugend annehmen. Aber
sie sollen es tun aus Liebe zur Jugend, nicht um die Jugend für politische
Ziele zu drillen. Diese Versammlungen von 1907 waren recht unerfreuliche
Erscheinungen. Große Tanzsäle, halb voll von Jungen, fast keine älteren
Männer, am Vorstandstisch einige etwas ältere Jünglinge; zwei gewaltige
Polizisten als Aufsicht; kleine fünfzehnjährige Piepmätze und grobe Schlofser-
lehrlinge wechselten als Redner mit eingepaukten:, zum Teil vorgelesenen Phrasen,
ab. Anarchisten, die auch auftreten wollten, wurden vom Präsidium gewaltig
angedonnert, ihnen der Schriftenverkauf verboten. Die Gewerkschaften redeten
jetzt ein ernstes Wort in die Sache hinein. Die Bewegung wurde straff
organisiert, in jedem Stadtteil Wirtschaftslokale gewonnen und unzählige kleine
Filialen, die durch genaue Organisationen zusammengehalten werden, gegründet.
Jede solche Filiale ist ein Hauptqartier leidenschaftlicher, sozialdemokratischer


Die Jugend und die Sozialdemokrcitic

So hat eine Erziehungsarbeit in der Sozialdemokratie eingesetzt, welche in
Wahrheit gar keine Erziehung ist, sondern eine Rekrutenwerbung. Das ist ein
Abfall vom kühnen Glauben der Väter. Man meint mit allen Mitteln des Drills,
der Absperrung, der Drohung, den Menschen von klein auf zum Sozialdemokraten
machen zu müssen. Denn dies ist der Zweck der sozialdemokratischen Jugend¬
bewegung. Jeder Vortrag, jede Ansprache, ja sogar die Novelle wird benutzt,
die Jugend unter die Parteiherrschaft zu bringen. Diese Jugendbewegung ist aber
geschaffen worden nicht von den Alten, sondern von den Jungen. Diejenigen,
die in der sozialistischen Jugendbewegung auftraten, waren ganz junge Menschen,
kaum zwanzig Jahre alt. Diese riefen das jüngste Geschlecht in den Kampf.
Und dieses Geschlecht fühlt sich schon als Erbe. Es ist stolz auf die gewaltigen
Erfolge der Partei, die riesenhafte Entfaltung der Organisationen, die gewaltigen,
oft gewonnenen Streiks, die Sicherheit der Disziplin, kraft derer ein jeder in
der Werkstatt die hohen regelmäßigen und außerordentlichen Abgaben zahlt —
stolz endlich auf die großen Kapitalien, welche sich im Besitze der Gewerkschaften
und der Partei befinden. In Wirklichkeit sind diese Jungen nur selten Erben.
Sie sind das neue Massenvolk, zusammengeflutet aus allen Gauen des Vater¬
landes. So kommt es denn, daß gewandte, oberflächliche, leidenschaftliche Gro߬
stadtjünglinge mit einem — man möchte fast sagen — urgermanischen Tem¬
perament die sozialistische Jugendbewegimg als Feld für ihren Tatendrang
benutzen können.

Diese Jugendbewegung hat heute schon eine Geschichte. Zuerst trat sie mit
vielem Geschrei und wenig Erfolg auf. Einige Ältere haben wohl noch zu
lenken versucht. Lange hat das aber nicht gewirkt. Im Herbst 1907 entfaltete
die junge Bewegung in öffentlichen Versammlungen eine große Regsamkeit.
Ein etwa zwanzigjähriger Berliner fuhr als Propagandaredner durch die
Welt. Damals war es für den Kritiker möglich, in den Versammlungen auf¬
merksames Gehör, manchmal fast Sympathie zu gewinnen. In diesem Kampfe
mußte der Kritiker folgenden Gedankengang entwickeln: wir haben gar
nichts dagegen, daß auch Sozialdemokraten sich der Jugend annehmen. Aber
sie sollen es tun aus Liebe zur Jugend, nicht um die Jugend für politische
Ziele zu drillen. Diese Versammlungen von 1907 waren recht unerfreuliche
Erscheinungen. Große Tanzsäle, halb voll von Jungen, fast keine älteren
Männer, am Vorstandstisch einige etwas ältere Jünglinge; zwei gewaltige
Polizisten als Aufsicht; kleine fünfzehnjährige Piepmätze und grobe Schlofser-
lehrlinge wechselten als Redner mit eingepaukten:, zum Teil vorgelesenen Phrasen,
ab. Anarchisten, die auch auftreten wollten, wurden vom Präsidium gewaltig
angedonnert, ihnen der Schriftenverkauf verboten. Die Gewerkschaften redeten
jetzt ein ernstes Wort in die Sache hinein. Die Bewegung wurde straff
organisiert, in jedem Stadtteil Wirtschaftslokale gewonnen und unzählige kleine
Filialen, die durch genaue Organisationen zusammengehalten werden, gegründet.
Jede solche Filiale ist ein Hauptqartier leidenschaftlicher, sozialdemokratischer


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[0531] Die Jugend und die Sozialdemokrcitic So hat eine Erziehungsarbeit in der Sozialdemokratie eingesetzt, welche in Wahrheit gar keine Erziehung ist, sondern eine Rekrutenwerbung. Das ist ein Abfall vom kühnen Glauben der Väter. Man meint mit allen Mitteln des Drills, der Absperrung, der Drohung, den Menschen von klein auf zum Sozialdemokraten machen zu müssen. Denn dies ist der Zweck der sozialdemokratischen Jugend¬ bewegung. Jeder Vortrag, jede Ansprache, ja sogar die Novelle wird benutzt, die Jugend unter die Parteiherrschaft zu bringen. Diese Jugendbewegung ist aber geschaffen worden nicht von den Alten, sondern von den Jungen. Diejenigen, die in der sozialistischen Jugendbewegung auftraten, waren ganz junge Menschen, kaum zwanzig Jahre alt. Diese riefen das jüngste Geschlecht in den Kampf. Und dieses Geschlecht fühlt sich schon als Erbe. Es ist stolz auf die gewaltigen Erfolge der Partei, die riesenhafte Entfaltung der Organisationen, die gewaltigen, oft gewonnenen Streiks, die Sicherheit der Disziplin, kraft derer ein jeder in der Werkstatt die hohen regelmäßigen und außerordentlichen Abgaben zahlt — stolz endlich auf die großen Kapitalien, welche sich im Besitze der Gewerkschaften und der Partei befinden. In Wirklichkeit sind diese Jungen nur selten Erben. Sie sind das neue Massenvolk, zusammengeflutet aus allen Gauen des Vater¬ landes. So kommt es denn, daß gewandte, oberflächliche, leidenschaftliche Gro߬ stadtjünglinge mit einem — man möchte fast sagen — urgermanischen Tem¬ perament die sozialistische Jugendbewegimg als Feld für ihren Tatendrang benutzen können. Diese Jugendbewegung hat heute schon eine Geschichte. Zuerst trat sie mit vielem Geschrei und wenig Erfolg auf. Einige Ältere haben wohl noch zu lenken versucht. Lange hat das aber nicht gewirkt. Im Herbst 1907 entfaltete die junge Bewegung in öffentlichen Versammlungen eine große Regsamkeit. Ein etwa zwanzigjähriger Berliner fuhr als Propagandaredner durch die Welt. Damals war es für den Kritiker möglich, in den Versammlungen auf¬ merksames Gehör, manchmal fast Sympathie zu gewinnen. In diesem Kampfe mußte der Kritiker folgenden Gedankengang entwickeln: wir haben gar nichts dagegen, daß auch Sozialdemokraten sich der Jugend annehmen. Aber sie sollen es tun aus Liebe zur Jugend, nicht um die Jugend für politische Ziele zu drillen. Diese Versammlungen von 1907 waren recht unerfreuliche Erscheinungen. Große Tanzsäle, halb voll von Jungen, fast keine älteren Männer, am Vorstandstisch einige etwas ältere Jünglinge; zwei gewaltige Polizisten als Aufsicht; kleine fünfzehnjährige Piepmätze und grobe Schlofser- lehrlinge wechselten als Redner mit eingepaukten:, zum Teil vorgelesenen Phrasen, ab. Anarchisten, die auch auftreten wollten, wurden vom Präsidium gewaltig angedonnert, ihnen der Schriftenverkauf verboten. Die Gewerkschaften redeten jetzt ein ernstes Wort in die Sache hinein. Die Bewegung wurde straff organisiert, in jedem Stadtteil Wirtschaftslokale gewonnen und unzählige kleine Filialen, die durch genaue Organisationen zusammengehalten werden, gegründet. Jede solche Filiale ist ein Hauptqartier leidenschaftlicher, sozialdemokratischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/531>, abgerufen am 27.09.2024.