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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

Volk gefallen, weil sie dort wahr sind. Götter aber darf man mit einigem Recht
als übermenschliche Gestalten erwarten. Das hat Sascha Schneider, der eng
zu Klinger gehört, sicherlich empfunden. Er versuchte seinen Christus, seine Engel
und selbst die Bösen mit einer heroischen Größe auszustatten. Aber er besaß
nicht die Kraft, sie mit Leben zu erfüllen, und sie blieben Schemen in seinen
Kartons. Wo er aber zu malen, kriegerisch-symbolische Szenen darzustellen
unternimmt, da wird er unmotiviert und unerfreulich, hart und bunt in der
Farbe. Das ist das Schicksal aller dieser Dresdner und Leipziger Künstler, wie
Hans Unger, Oskar Zwintscher, G. Lührig u. a., die rein zeichnerisch begabt
sind und dabei die Sehnsucht nach der Farbe haben; sie prägen die Plastik aller
dargestellten Dinge mit äußerster Schärfe bis in die letzten Winkel ihrer Bilder
aus und tuschen sie dann mit grellen und leuchtenden Farben an, die Buntheit
mit dem Malerischen verwechselnd. Es entstehen so plakatartig auffallende
Bilder, oft mit schönen Lokalfarben; aber es fehlt ihnen die Notwendigkeit in
ihrem Kolorismus, und sie wirken stets lustlos, so als ob ihnen die Epidermis,
die eigentlich lebendarstellende Haut, abgezogen sei. Dafür ist dann ihr
stoffliches Interesse groß: interessante und schöne Menschen, seltene Blumen und
reizende Landschaften, exotische Tiere und mystische Symbole werden ihren
Bildern stets Liebhaber werben. In monumentalerem Maßstabe ist es ja auch
bei Klinger das Stoffliche, was seine Werke bedeutend macht; denn die klassischen
Ideen, die er in ihnen niederlegt, haben sehr viel mit unserer gymnasialen
Bildung, aber sehr wenig mit Malerei oder Plastik zu tun. Es sind literarische
Ideen.

Auch Haus Thoma ist dem verführerischen Beispiel des großen Schweizers
unterlegen. Er begann in der Nähe Leibls und unter dem Einfluß des großen
Franzosen Courbet mit wundervoll malerischen Bildern, deren Motive einfach
und aus der Natur seiner Schwarzwälder Heimat und ihrer Menschen geholt
waren. Diese Werke werden wohl immer lebendig bleiben als Zeugnisse deutscher
"bodenständiger" Malerei aus dem Leiblkreise. Aber er fand mit ihnen, wie
einst Menzel mit seinen Frühwerken, kein aufnahmefähiges Publikum und wandte
sich immer mehr den interessanten Stoffen von Märchen, Rittern, Nixen und
Meerwesen zu, ohne zugleich seine malerischen Mittel diesen Dingen entsprechend
zu steigern. Ja, er verlernte vor dem Beispiel Böcklins fast ganz sein ursprüng¬
liches farbiges Empfinden. Das reine und poetische Gemüt aber kann dieses
in der Malerei nicht ersetzen, und seine heutigen gemütvollen Bilder vermögen
nicht zu bestehen, wenn man sie mit denen aus seiner Jugend vergleicht. Das
Volk der Deutschen aber, das mehr Sinn hat für poetische Erzählung als für
malerische Qualität, stellt irrtümlich den heutigen Thoma über den von 1860.

Es gibt dann auch Maler, die Böcklin auf direktem Wege nachgeahmt und
seine Schwächen übertrieben haben. Zu solchen zählen z. B. Rüdisühli und
Sandreuter, und man läßt sich gar zu leicht von ihnen blenden, weil sie eine
gewisse farbige und gegenständliche Erinnerung an Böcklinsche Motive erwecken.


Die deutsche Malerei der Gegenwart

Volk gefallen, weil sie dort wahr sind. Götter aber darf man mit einigem Recht
als übermenschliche Gestalten erwarten. Das hat Sascha Schneider, der eng
zu Klinger gehört, sicherlich empfunden. Er versuchte seinen Christus, seine Engel
und selbst die Bösen mit einer heroischen Größe auszustatten. Aber er besaß
nicht die Kraft, sie mit Leben zu erfüllen, und sie blieben Schemen in seinen
Kartons. Wo er aber zu malen, kriegerisch-symbolische Szenen darzustellen
unternimmt, da wird er unmotiviert und unerfreulich, hart und bunt in der
Farbe. Das ist das Schicksal aller dieser Dresdner und Leipziger Künstler, wie
Hans Unger, Oskar Zwintscher, G. Lührig u. a., die rein zeichnerisch begabt
sind und dabei die Sehnsucht nach der Farbe haben; sie prägen die Plastik aller
dargestellten Dinge mit äußerster Schärfe bis in die letzten Winkel ihrer Bilder
aus und tuschen sie dann mit grellen und leuchtenden Farben an, die Buntheit
mit dem Malerischen verwechselnd. Es entstehen so plakatartig auffallende
Bilder, oft mit schönen Lokalfarben; aber es fehlt ihnen die Notwendigkeit in
ihrem Kolorismus, und sie wirken stets lustlos, so als ob ihnen die Epidermis,
die eigentlich lebendarstellende Haut, abgezogen sei. Dafür ist dann ihr
stoffliches Interesse groß: interessante und schöne Menschen, seltene Blumen und
reizende Landschaften, exotische Tiere und mystische Symbole werden ihren
Bildern stets Liebhaber werben. In monumentalerem Maßstabe ist es ja auch
bei Klinger das Stoffliche, was seine Werke bedeutend macht; denn die klassischen
Ideen, die er in ihnen niederlegt, haben sehr viel mit unserer gymnasialen
Bildung, aber sehr wenig mit Malerei oder Plastik zu tun. Es sind literarische
Ideen.

Auch Haus Thoma ist dem verführerischen Beispiel des großen Schweizers
unterlegen. Er begann in der Nähe Leibls und unter dem Einfluß des großen
Franzosen Courbet mit wundervoll malerischen Bildern, deren Motive einfach
und aus der Natur seiner Schwarzwälder Heimat und ihrer Menschen geholt
waren. Diese Werke werden wohl immer lebendig bleiben als Zeugnisse deutscher
„bodenständiger" Malerei aus dem Leiblkreise. Aber er fand mit ihnen, wie
einst Menzel mit seinen Frühwerken, kein aufnahmefähiges Publikum und wandte
sich immer mehr den interessanten Stoffen von Märchen, Rittern, Nixen und
Meerwesen zu, ohne zugleich seine malerischen Mittel diesen Dingen entsprechend
zu steigern. Ja, er verlernte vor dem Beispiel Böcklins fast ganz sein ursprüng¬
liches farbiges Empfinden. Das reine und poetische Gemüt aber kann dieses
in der Malerei nicht ersetzen, und seine heutigen gemütvollen Bilder vermögen
nicht zu bestehen, wenn man sie mit denen aus seiner Jugend vergleicht. Das
Volk der Deutschen aber, das mehr Sinn hat für poetische Erzählung als für
malerische Qualität, stellt irrtümlich den heutigen Thoma über den von 1860.

Es gibt dann auch Maler, die Böcklin auf direktem Wege nachgeahmt und
seine Schwächen übertrieben haben. Zu solchen zählen z. B. Rüdisühli und
Sandreuter, und man läßt sich gar zu leicht von ihnen blenden, weil sie eine
gewisse farbige und gegenständliche Erinnerung an Böcklinsche Motive erwecken.


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[0522] Die deutsche Malerei der Gegenwart Volk gefallen, weil sie dort wahr sind. Götter aber darf man mit einigem Recht als übermenschliche Gestalten erwarten. Das hat Sascha Schneider, der eng zu Klinger gehört, sicherlich empfunden. Er versuchte seinen Christus, seine Engel und selbst die Bösen mit einer heroischen Größe auszustatten. Aber er besaß nicht die Kraft, sie mit Leben zu erfüllen, und sie blieben Schemen in seinen Kartons. Wo er aber zu malen, kriegerisch-symbolische Szenen darzustellen unternimmt, da wird er unmotiviert und unerfreulich, hart und bunt in der Farbe. Das ist das Schicksal aller dieser Dresdner und Leipziger Künstler, wie Hans Unger, Oskar Zwintscher, G. Lührig u. a., die rein zeichnerisch begabt sind und dabei die Sehnsucht nach der Farbe haben; sie prägen die Plastik aller dargestellten Dinge mit äußerster Schärfe bis in die letzten Winkel ihrer Bilder aus und tuschen sie dann mit grellen und leuchtenden Farben an, die Buntheit mit dem Malerischen verwechselnd. Es entstehen so plakatartig auffallende Bilder, oft mit schönen Lokalfarben; aber es fehlt ihnen die Notwendigkeit in ihrem Kolorismus, und sie wirken stets lustlos, so als ob ihnen die Epidermis, die eigentlich lebendarstellende Haut, abgezogen sei. Dafür ist dann ihr stoffliches Interesse groß: interessante und schöne Menschen, seltene Blumen und reizende Landschaften, exotische Tiere und mystische Symbole werden ihren Bildern stets Liebhaber werben. In monumentalerem Maßstabe ist es ja auch bei Klinger das Stoffliche, was seine Werke bedeutend macht; denn die klassischen Ideen, die er in ihnen niederlegt, haben sehr viel mit unserer gymnasialen Bildung, aber sehr wenig mit Malerei oder Plastik zu tun. Es sind literarische Ideen. Auch Haus Thoma ist dem verführerischen Beispiel des großen Schweizers unterlegen. Er begann in der Nähe Leibls und unter dem Einfluß des großen Franzosen Courbet mit wundervoll malerischen Bildern, deren Motive einfach und aus der Natur seiner Schwarzwälder Heimat und ihrer Menschen geholt waren. Diese Werke werden wohl immer lebendig bleiben als Zeugnisse deutscher „bodenständiger" Malerei aus dem Leiblkreise. Aber er fand mit ihnen, wie einst Menzel mit seinen Frühwerken, kein aufnahmefähiges Publikum und wandte sich immer mehr den interessanten Stoffen von Märchen, Rittern, Nixen und Meerwesen zu, ohne zugleich seine malerischen Mittel diesen Dingen entsprechend zu steigern. Ja, er verlernte vor dem Beispiel Böcklins fast ganz sein ursprüng¬ liches farbiges Empfinden. Das reine und poetische Gemüt aber kann dieses in der Malerei nicht ersetzen, und seine heutigen gemütvollen Bilder vermögen nicht zu bestehen, wenn man sie mit denen aus seiner Jugend vergleicht. Das Volk der Deutschen aber, das mehr Sinn hat für poetische Erzählung als für malerische Qualität, stellt irrtümlich den heutigen Thoma über den von 1860. Es gibt dann auch Maler, die Böcklin auf direktem Wege nachgeahmt und seine Schwächen übertrieben haben. Zu solchen zählen z. B. Rüdisühli und Sandreuter, und man läßt sich gar zu leicht von ihnen blenden, weil sie eine gewisse farbige und gegenständliche Erinnerung an Böcklinsche Motive erwecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/522>, abgerufen am 27.09.2024.