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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ungarn, Deutschland und Deutschtum

des Magyarentums zu denken. Auf den ersten Blick erscheint natürlich diese
Möglichkeit als ausgeschlossen und die Erfüllung der großen Worte von der
Abschüttelung des magyarischen Joches und der kraftvollen Erringung der
Freiheit usw. nur an das Vorhandensein entsprechender "Zivilcourage" bei
den Deutschen innerhalb und außerhalb der ungarischen Grenzen gebunden zu
sein; es ist ja eben die bekannte Natur der Kraftworte, die Frage nach den
realen Chancen eines Unternehmens durch ihr Dröhnen zum Schweigen zu
bringen. Siege aber die ruhige Überlegung, so verliert jener friedliche Modus
seine Unwahrscheinlichkeit, ohne daß im übrigen seine Schwierigkeiten verhüllt
werden. Wir müssen uns fragen, welches Interesse das Magyarentum darau
haben kann, auf die Magyarisierung der in Ungarn lebenden Deutschen aus¬
zugehen. Da ist es nicht zu leugnen, daß dies Interesse nicht unbedeutend ist.
Zu dem allgemeinen Zweck aller Magyarisierung, der ziffernmäßigen Stärkung des
an Zahl kleinen eigenen Volkstums, tritt im Hinblick aus die Deutschen noch
der Zweck hinzu, die ganz besonders wertvolle Kulturkraft des deutschen
Volkselementes zum Aufbau der eigenen Kultur zu verwenden. Dieser gewinn¬
bringende Abbau aus dem Schachte des deutschen Volkstums ist durch die Jahr¬
zehnte hindurch mit der Selbstverständlichkeit eines Naturprozesses und ohne jede
Störung vorgenommen worden. Es liegt auf der Hand, daß man auf ihn nicht ohne
weiteres verzichten kann und will. Daher ist die scharfe und in ihren Mitteln
keineswegs wählerische Reaktion zu begreifen, die sich vor einem Jahrzehnt sofort
auf die damals beginnende deutsche Bewegung in Südungarn bemerkbar machte
und sich vor allen? in der gerichtlichen und administrativen Verfolgung einiger
Journalisten ausdrückte. Seither ist diese Methode der Niederhaltung einer
unliebsamen Erscheinung schon längst eingestellt worden, offenbar weil man ihre
Unzweckmäßigst erkannt hat. Die deutsche Bewegung, konkret gesprochen: die
Bewegung, die auf freiere Geltung der deutsche" Muttersprache in den autonomen
Verwaltuugskörperschaften der von Deutschen bewohnten und geleiteten Ortschaften
des sogenannten Banats und der BÄcska sowie in den dortigen Volksschulen
abzielt, ist in diesem Jahrzehnt entschieden erstarkt und wird sich mit normalen
Mitteln kaum zurückdämmeu lassen. Es bleibt sonach nur die Wahl, ob eben
gewaltsame Mittel angewendet oder ob der Bewegung ihr Lauf gelassen werden
soll. Gegen das erstere spricht die Erwägung, daß dadurch eine durchaus
ordnungsliebende, besonnene und friedfertigeBevölkeruugsgruppe in eine Stimmung
gebracht und zu einer Haltung gedrängt werden könnte, die weder vom Stand¬
punkt des Staates noch von den? des Magyarentums aus gesehen wünschens¬
wert und vorteilhaft wäre: ist beim langsamen und bedächtigen deutscheu Bauern
einmal die Milch der frommen Denkart in gärend Drachengift verwandelt, so
ist er nicht so leicht oder überhaupt nicht mehr zur Rückkehr zu seiner früheren
Passivität zu bringen. Die deutsche Bevölkerung der bezeichneten Landstriche
würde in diesem Kampfe ihre Benutzbarkeit als Pfropfreis auf den magyarischen
Kulturbaum doch verlieren, allerdings -- und dies muß auch bedacht werden --


Ungarn, Deutschland und Deutschtum

des Magyarentums zu denken. Auf den ersten Blick erscheint natürlich diese
Möglichkeit als ausgeschlossen und die Erfüllung der großen Worte von der
Abschüttelung des magyarischen Joches und der kraftvollen Erringung der
Freiheit usw. nur an das Vorhandensein entsprechender „Zivilcourage" bei
den Deutschen innerhalb und außerhalb der ungarischen Grenzen gebunden zu
sein; es ist ja eben die bekannte Natur der Kraftworte, die Frage nach den
realen Chancen eines Unternehmens durch ihr Dröhnen zum Schweigen zu
bringen. Siege aber die ruhige Überlegung, so verliert jener friedliche Modus
seine Unwahrscheinlichkeit, ohne daß im übrigen seine Schwierigkeiten verhüllt
werden. Wir müssen uns fragen, welches Interesse das Magyarentum darau
haben kann, auf die Magyarisierung der in Ungarn lebenden Deutschen aus¬
zugehen. Da ist es nicht zu leugnen, daß dies Interesse nicht unbedeutend ist.
Zu dem allgemeinen Zweck aller Magyarisierung, der ziffernmäßigen Stärkung des
an Zahl kleinen eigenen Volkstums, tritt im Hinblick aus die Deutschen noch
der Zweck hinzu, die ganz besonders wertvolle Kulturkraft des deutschen
Volkselementes zum Aufbau der eigenen Kultur zu verwenden. Dieser gewinn¬
bringende Abbau aus dem Schachte des deutschen Volkstums ist durch die Jahr¬
zehnte hindurch mit der Selbstverständlichkeit eines Naturprozesses und ohne jede
Störung vorgenommen worden. Es liegt auf der Hand, daß man auf ihn nicht ohne
weiteres verzichten kann und will. Daher ist die scharfe und in ihren Mitteln
keineswegs wählerische Reaktion zu begreifen, die sich vor einem Jahrzehnt sofort
auf die damals beginnende deutsche Bewegung in Südungarn bemerkbar machte
und sich vor allen? in der gerichtlichen und administrativen Verfolgung einiger
Journalisten ausdrückte. Seither ist diese Methode der Niederhaltung einer
unliebsamen Erscheinung schon längst eingestellt worden, offenbar weil man ihre
Unzweckmäßigst erkannt hat. Die deutsche Bewegung, konkret gesprochen: die
Bewegung, die auf freiere Geltung der deutsche« Muttersprache in den autonomen
Verwaltuugskörperschaften der von Deutschen bewohnten und geleiteten Ortschaften
des sogenannten Banats und der BÄcska sowie in den dortigen Volksschulen
abzielt, ist in diesem Jahrzehnt entschieden erstarkt und wird sich mit normalen
Mitteln kaum zurückdämmeu lassen. Es bleibt sonach nur die Wahl, ob eben
gewaltsame Mittel angewendet oder ob der Bewegung ihr Lauf gelassen werden
soll. Gegen das erstere spricht die Erwägung, daß dadurch eine durchaus
ordnungsliebende, besonnene und friedfertigeBevölkeruugsgruppe in eine Stimmung
gebracht und zu einer Haltung gedrängt werden könnte, die weder vom Stand¬
punkt des Staates noch von den? des Magyarentums aus gesehen wünschens¬
wert und vorteilhaft wäre: ist beim langsamen und bedächtigen deutscheu Bauern
einmal die Milch der frommen Denkart in gärend Drachengift verwandelt, so
ist er nicht so leicht oder überhaupt nicht mehr zur Rückkehr zu seiner früheren
Passivität zu bringen. Die deutsche Bevölkerung der bezeichneten Landstriche
würde in diesem Kampfe ihre Benutzbarkeit als Pfropfreis auf den magyarischen
Kulturbaum doch verlieren, allerdings — und dies muß auch bedacht werden —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/516>, abgerufen am 27.09.2024.