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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Glücksgedanke bei Hermann Hesse

Augen, der sich, wie Helene Lcunparts Liebhaber, ein Glück der Behaglichkeit
zurechtgezimmert,' einen Menschen, der "kein Verlangen" kennt "nach Unerreich¬
barem", der "eine zarte, selbstlose Freude an der Kunst hat, von der
er nicht mehr "verlangt, als sie ihm gibt", und der "außerhalb der Kunst
noch genügsamer ist", da er "nur ein paar freundliche Menschen braucht,
gelegentlich ein gutes Glas Wein und an freien Tagen einen Ausflug in die
Landschaft", und in eben diesem Roman läßt er den Musiker Kühn zu einer
ganz anderen Welt- und Lebensanschauung, zu einem ganz anderen Ideal von
Glück gelangen. Dieser hat "wie tausend andere rings in der Welt, seiner
Jugendkräfte froh, jubelnde Hände nach allen Kronen des Lebens ausgestreckt";
er hat in der Liebe zur schönen Liddn das Beseligende einer ersten, die Sinne
berauschenden Leidenschaft kennen gelernt und doch dabei zugleich erfahren
müssen, wie die Stillung äußeren Begehrens nur ein Glück bieten kann, das
beim ersten Anprall in' tausend Scherben zersplittert: als er ihr gelegentlich
einer gemeinsam unternommenen Rodelpartie durch ein tollkühnes Wagnis
Bewunderung abringen will, verunglückt er und trägt eine lebenslängliche Läh¬
mung des Beines davon. Das wird für ihn zum Schicksal: bei allem, was
der arme Unglückliche unternimmt, tritt ihm das körperliche Gebrechen hindernd
in den Weg; mit der äußeren schwindet die innere, seelische Sicherheit, deren
Verlust es am Ende verschuldet, daß er aus seinem Leben "kein Lied und keine
reine Musik" machen kann. In der Einsamkeit der Berge, in der er Erholung
und Sammlung sucht, wird er "wütend und Gott lästernd" von "hoffnungs¬
losen heißen Träumen von Leben und Liebessturm" gepeinigt, er. der sich nun
"Ah ein ärmlicher Dichter und Träumer vorkommt, dessen schönster Traum doch
nur ein dünnes Seifenblasenschillern ist", und es dauert lange, bis er sich zu
der kraftvollen Überzeugung durchringt, daß kein Leid und Schmerz zu groß ist.
"wenn man durch Leid und Läuterung im Schmerz Augenblicke wahren Lebens
erlangen kann". Augenblicke, "deren Aufblitzen beglückt und das Gefühl der
Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des Ganzen auslöscht", und von
denen es scheint, "daß sie das Gefühl der Vereinsamung mit dem Schöpfer
bringen, weil man in ihnen alles, auch das sonst Zufällige, als gewollt empfindet."
Sie allein befähigen dazu, sich über "das ewige Begehren, die Sehnsucht und
Ungenüge" hinwegzuschwmgen auf die Höhe jener Resignation, die da sagt:
glücklich ist, wer nicht begehrt, wer mit Hintansetzung aller eigenen Wünsche
ganz in dem Wirken und Schaffen für andere aufgeht, wie es am Ende auch
Peter Camenzind und der große Glückssucher Faust getan, und sich glücklich
fühlt, wenn er andere glücklich weiß. Mit dieser Antwort sucht der Vater den
quälenden Fragen des jungen Kühn gerecht zu werden, und auch sein alter
Lehrer Lohe kann ihm keinen besseren Rat geben. Freilich kann so. was
Erfüllung werden sollte, "nur ein linderndes Auflösen der angewachsenen
Dissonanzen werden, ein Versuch, die alte Grundmelodie ein wenig zu läutern
"ut zu steigern".


Der Glücksgedanke bei Hermann Hesse

Augen, der sich, wie Helene Lcunparts Liebhaber, ein Glück der Behaglichkeit
zurechtgezimmert,' einen Menschen, der „kein Verlangen" kennt „nach Unerreich¬
barem", der „eine zarte, selbstlose Freude an der Kunst hat, von der
er nicht mehr "verlangt, als sie ihm gibt", und der „außerhalb der Kunst
noch genügsamer ist", da er „nur ein paar freundliche Menschen braucht,
gelegentlich ein gutes Glas Wein und an freien Tagen einen Ausflug in die
Landschaft", und in eben diesem Roman läßt er den Musiker Kühn zu einer
ganz anderen Welt- und Lebensanschauung, zu einem ganz anderen Ideal von
Glück gelangen. Dieser hat „wie tausend andere rings in der Welt, seiner
Jugendkräfte froh, jubelnde Hände nach allen Kronen des Lebens ausgestreckt";
er hat in der Liebe zur schönen Liddn das Beseligende einer ersten, die Sinne
berauschenden Leidenschaft kennen gelernt und doch dabei zugleich erfahren
müssen, wie die Stillung äußeren Begehrens nur ein Glück bieten kann, das
beim ersten Anprall in' tausend Scherben zersplittert: als er ihr gelegentlich
einer gemeinsam unternommenen Rodelpartie durch ein tollkühnes Wagnis
Bewunderung abringen will, verunglückt er und trägt eine lebenslängliche Läh¬
mung des Beines davon. Das wird für ihn zum Schicksal: bei allem, was
der arme Unglückliche unternimmt, tritt ihm das körperliche Gebrechen hindernd
in den Weg; mit der äußeren schwindet die innere, seelische Sicherheit, deren
Verlust es am Ende verschuldet, daß er aus seinem Leben „kein Lied und keine
reine Musik" machen kann. In der Einsamkeit der Berge, in der er Erholung
und Sammlung sucht, wird er „wütend und Gott lästernd" von „hoffnungs¬
losen heißen Träumen von Leben und Liebessturm" gepeinigt, er. der sich nun
"Ah ein ärmlicher Dichter und Träumer vorkommt, dessen schönster Traum doch
nur ein dünnes Seifenblasenschillern ist", und es dauert lange, bis er sich zu
der kraftvollen Überzeugung durchringt, daß kein Leid und Schmerz zu groß ist.
"wenn man durch Leid und Läuterung im Schmerz Augenblicke wahren Lebens
erlangen kann". Augenblicke, „deren Aufblitzen beglückt und das Gefühl der
Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des Ganzen auslöscht", und von
denen es scheint, „daß sie das Gefühl der Vereinsamung mit dem Schöpfer
bringen, weil man in ihnen alles, auch das sonst Zufällige, als gewollt empfindet."
Sie allein befähigen dazu, sich über „das ewige Begehren, die Sehnsucht und
Ungenüge" hinwegzuschwmgen auf die Höhe jener Resignation, die da sagt:
glücklich ist, wer nicht begehrt, wer mit Hintansetzung aller eigenen Wünsche
ganz in dem Wirken und Schaffen für andere aufgeht, wie es am Ende auch
Peter Camenzind und der große Glückssucher Faust getan, und sich glücklich
fühlt, wenn er andere glücklich weiß. Mit dieser Antwort sucht der Vater den
quälenden Fragen des jungen Kühn gerecht zu werden, und auch sein alter
Lehrer Lohe kann ihm keinen besseren Rat geben. Freilich kann so. was
Erfüllung werden sollte, „nur ein linderndes Auflösen der angewachsenen
Dissonanzen werden, ein Versuch, die alte Grundmelodie ein wenig zu läutern
"ut zu steigern".


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[0495] Der Glücksgedanke bei Hermann Hesse Augen, der sich, wie Helene Lcunparts Liebhaber, ein Glück der Behaglichkeit zurechtgezimmert,' einen Menschen, der „kein Verlangen" kennt „nach Unerreich¬ barem", der „eine zarte, selbstlose Freude an der Kunst hat, von der er nicht mehr "verlangt, als sie ihm gibt", und der „außerhalb der Kunst noch genügsamer ist", da er „nur ein paar freundliche Menschen braucht, gelegentlich ein gutes Glas Wein und an freien Tagen einen Ausflug in die Landschaft", und in eben diesem Roman läßt er den Musiker Kühn zu einer ganz anderen Welt- und Lebensanschauung, zu einem ganz anderen Ideal von Glück gelangen. Dieser hat „wie tausend andere rings in der Welt, seiner Jugendkräfte froh, jubelnde Hände nach allen Kronen des Lebens ausgestreckt"; er hat in der Liebe zur schönen Liddn das Beseligende einer ersten, die Sinne berauschenden Leidenschaft kennen gelernt und doch dabei zugleich erfahren müssen, wie die Stillung äußeren Begehrens nur ein Glück bieten kann, das beim ersten Anprall in' tausend Scherben zersplittert: als er ihr gelegentlich einer gemeinsam unternommenen Rodelpartie durch ein tollkühnes Wagnis Bewunderung abringen will, verunglückt er und trägt eine lebenslängliche Läh¬ mung des Beines davon. Das wird für ihn zum Schicksal: bei allem, was der arme Unglückliche unternimmt, tritt ihm das körperliche Gebrechen hindernd in den Weg; mit der äußeren schwindet die innere, seelische Sicherheit, deren Verlust es am Ende verschuldet, daß er aus seinem Leben „kein Lied und keine reine Musik" machen kann. In der Einsamkeit der Berge, in der er Erholung und Sammlung sucht, wird er „wütend und Gott lästernd" von „hoffnungs¬ losen heißen Träumen von Leben und Liebessturm" gepeinigt, er. der sich nun "Ah ein ärmlicher Dichter und Träumer vorkommt, dessen schönster Traum doch nur ein dünnes Seifenblasenschillern ist", und es dauert lange, bis er sich zu der kraftvollen Überzeugung durchringt, daß kein Leid und Schmerz zu groß ist. "wenn man durch Leid und Läuterung im Schmerz Augenblicke wahren Lebens erlangen kann". Augenblicke, „deren Aufblitzen beglückt und das Gefühl der Zeit samt allen Gedanken an Sinn und Ziel des Ganzen auslöscht", und von denen es scheint, „daß sie das Gefühl der Vereinsamung mit dem Schöpfer bringen, weil man in ihnen alles, auch das sonst Zufällige, als gewollt empfindet." Sie allein befähigen dazu, sich über „das ewige Begehren, die Sehnsucht und Ungenüge" hinwegzuschwmgen auf die Höhe jener Resignation, die da sagt: glücklich ist, wer nicht begehrt, wer mit Hintansetzung aller eigenen Wünsche ganz in dem Wirken und Schaffen für andere aufgeht, wie es am Ende auch Peter Camenzind und der große Glückssucher Faust getan, und sich glücklich fühlt, wenn er andere glücklich weiß. Mit dieser Antwort sucht der Vater den quälenden Fragen des jungen Kühn gerecht zu werden, und auch sein alter Lehrer Lohe kann ihm keinen besseren Rat geben. Freilich kann so. was Erfüllung werden sollte, „nur ein linderndes Auflösen der angewachsenen Dissonanzen werden, ein Versuch, die alte Grundmelodie ein wenig zu läutern "ut zu steigern".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/495>, abgerufen am 27.09.2024.