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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Glncksgedanke bei Hermann Hesse

aus jener Liebe floß, die frohe Kraft, für sie zu leben, zu streiten, durch Feuer
und Wasser zu gehen. Sich wegwerfen können für einen Augenblick, Jahre opfern
können für das Lächeln einer Frau, das ist Glück. Und das ist mir unverloren."

In der reizenden Novelle "Heumond", die Hesse in all seiner Liebens¬
würdigkeit zeigt, tritt Frauenliebe als Quelle menschlichen Glücks mehr zurück
hinter etwas anderem, das allerdings alle Hesseschen Schöpfungen mehr oder
weniger zum Ausdruck bringen, das aber doch hier am plastischsten in die
Erscheinung tritt: zwar verschafft dem das Land der Liebe zum erstenmal und
mit schüchternen Schritten betretenden Paul Abderegg die ihm entgegenkommende
Zuneigung der schönen Thusuelde auch frohe, beglückende Stunden, doch erwacht
in ihm zugleich mit dem "regen Glücksgefühl" über diese Liebe ein erstes,
dämmerndes Verständnis für alles Schöne in Kunst und Natur. Vor der Begegnung
mit Thusnelde hatte er noch teilnahmlos dem herrlichen Naturschauspiel des
Sonnenunterganges zuschauen können, "ohne viele Aufmerksamkeit und ohne viel
dabei zu denken." "Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht fühlen,
wie schön es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen
und zu betrachten und sein Genüge daran zu finden." Doch wie hat ihn hier
der eine herrliche, in Gesellschaft des geliebten Mädchens zugebrachte Sommer¬
abend reifen lassen! Der Gedanke an es läßt ihn keinen Schlaf finden, und
so sitzt er im Hemd auf dem Fensterbrett seines dunklen Schlafgemachs und
sieht in die schwarzen, ruhigen Baumkronen hinein, an nichts Bestimmtes denkend
und nur das Glück der späten Stunde genießend: "Wie schön die Sterne in
der Schwärze standen! Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und
wie still und märchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!"

Wie tief sind nicht die Leute zu bedauern, denen dieser Sinn und diese
Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur fo ganz und gar abgeht wie dem
Hauslehrer Homburger! Das läßt sich nicht mit der Kenntnis all der Propheten
und Bringer der neuen Seligkeit, mit der Weisheit eines Nietzsche und Ruskin
wett machen! Homburgers Stirn ist umwölkt, seine Augen sind "müde wie vom
Durchmessen ungeheurer Räume"; aber vergebens "liegt und wartet vor seinen
Fenstern der gestirnte Himmel, die schwebende Wolke, der träumende Park, das
schlafend atmende Feld und die ganze Schönheit der Nacht", vergebens wartet
sie, "sein Herz mit Sehnsucht und Heimweh zu verwunden, seine Augen kühl
zu baden, seiner Seele gebundene Flügel zu lösen."

Greifbarer jedoch als in allen diesen kleineren Novellen und dem im
"Peter Camenzind" vergleichbar wird Hesses Ringen nach vollständiger Ergründung
des Glücksbegriffes in seinem letzten größeren, den "Peter Camenzind" an
Einheit der Komposition übertreffenden Roman "Gertrud", dessen Handlung
durch ein fortwährendes, aber keineswegs störendes Spintisieren über das
Wesen des Glücks unterbrochen wird. In ihm begegnen wir allerorts
früheren, uns vertrauten Gedanken wieder, nur sind sie noch klarer und
schöner gefaßt. Hier stellt uns der Dichter in Teiser einen Menschen vor


Der Glncksgedanke bei Hermann Hesse

aus jener Liebe floß, die frohe Kraft, für sie zu leben, zu streiten, durch Feuer
und Wasser zu gehen. Sich wegwerfen können für einen Augenblick, Jahre opfern
können für das Lächeln einer Frau, das ist Glück. Und das ist mir unverloren."

In der reizenden Novelle „Heumond", die Hesse in all seiner Liebens¬
würdigkeit zeigt, tritt Frauenliebe als Quelle menschlichen Glücks mehr zurück
hinter etwas anderem, das allerdings alle Hesseschen Schöpfungen mehr oder
weniger zum Ausdruck bringen, das aber doch hier am plastischsten in die
Erscheinung tritt: zwar verschafft dem das Land der Liebe zum erstenmal und
mit schüchternen Schritten betretenden Paul Abderegg die ihm entgegenkommende
Zuneigung der schönen Thusuelde auch frohe, beglückende Stunden, doch erwacht
in ihm zugleich mit dem „regen Glücksgefühl" über diese Liebe ein erstes,
dämmerndes Verständnis für alles Schöne in Kunst und Natur. Vor der Begegnung
mit Thusnelde hatte er noch teilnahmlos dem herrlichen Naturschauspiel des
Sonnenunterganges zuschauen können, „ohne viele Aufmerksamkeit und ohne viel
dabei zu denken." „Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht fühlen,
wie schön es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen
und zu betrachten und sein Genüge daran zu finden." Doch wie hat ihn hier
der eine herrliche, in Gesellschaft des geliebten Mädchens zugebrachte Sommer¬
abend reifen lassen! Der Gedanke an es läßt ihn keinen Schlaf finden, und
so sitzt er im Hemd auf dem Fensterbrett seines dunklen Schlafgemachs und
sieht in die schwarzen, ruhigen Baumkronen hinein, an nichts Bestimmtes denkend
und nur das Glück der späten Stunde genießend: „Wie schön die Sterne in
der Schwärze standen! Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und
wie still und märchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!"

Wie tief sind nicht die Leute zu bedauern, denen dieser Sinn und diese
Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur fo ganz und gar abgeht wie dem
Hauslehrer Homburger! Das läßt sich nicht mit der Kenntnis all der Propheten
und Bringer der neuen Seligkeit, mit der Weisheit eines Nietzsche und Ruskin
wett machen! Homburgers Stirn ist umwölkt, seine Augen sind „müde wie vom
Durchmessen ungeheurer Räume"; aber vergebens „liegt und wartet vor seinen
Fenstern der gestirnte Himmel, die schwebende Wolke, der träumende Park, das
schlafend atmende Feld und die ganze Schönheit der Nacht", vergebens wartet
sie, „sein Herz mit Sehnsucht und Heimweh zu verwunden, seine Augen kühl
zu baden, seiner Seele gebundene Flügel zu lösen."

Greifbarer jedoch als in allen diesen kleineren Novellen und dem im
„Peter Camenzind" vergleichbar wird Hesses Ringen nach vollständiger Ergründung
des Glücksbegriffes in seinem letzten größeren, den „Peter Camenzind" an
Einheit der Komposition übertreffenden Roman „Gertrud", dessen Handlung
durch ein fortwährendes, aber keineswegs störendes Spintisieren über das
Wesen des Glücks unterbrochen wird. In ihm begegnen wir allerorts
früheren, uns vertrauten Gedanken wieder, nur sind sie noch klarer und
schöner gefaßt. Hier stellt uns der Dichter in Teiser einen Menschen vor


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[0494] Der Glncksgedanke bei Hermann Hesse aus jener Liebe floß, die frohe Kraft, für sie zu leben, zu streiten, durch Feuer und Wasser zu gehen. Sich wegwerfen können für einen Augenblick, Jahre opfern können für das Lächeln einer Frau, das ist Glück. Und das ist mir unverloren." In der reizenden Novelle „Heumond", die Hesse in all seiner Liebens¬ würdigkeit zeigt, tritt Frauenliebe als Quelle menschlichen Glücks mehr zurück hinter etwas anderem, das allerdings alle Hesseschen Schöpfungen mehr oder weniger zum Ausdruck bringen, das aber doch hier am plastischsten in die Erscheinung tritt: zwar verschafft dem das Land der Liebe zum erstenmal und mit schüchternen Schritten betretenden Paul Abderegg die ihm entgegenkommende Zuneigung der schönen Thusuelde auch frohe, beglückende Stunden, doch erwacht in ihm zugleich mit dem „regen Glücksgefühl" über diese Liebe ein erstes, dämmerndes Verständnis für alles Schöne in Kunst und Natur. Vor der Begegnung mit Thusnelde hatte er noch teilnahmlos dem herrlichen Naturschauspiel des Sonnenunterganges zuschauen können, „ohne viele Aufmerksamkeit und ohne viel dabei zu denken." „Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht fühlen, wie schön es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen und zu betrachten und sein Genüge daran zu finden." Doch wie hat ihn hier der eine herrliche, in Gesellschaft des geliebten Mädchens zugebrachte Sommer¬ abend reifen lassen! Der Gedanke an es läßt ihn keinen Schlaf finden, und so sitzt er im Hemd auf dem Fensterbrett seines dunklen Schlafgemachs und sieht in die schwarzen, ruhigen Baumkronen hinein, an nichts Bestimmtes denkend und nur das Glück der späten Stunde genießend: „Wie schön die Sterne in der Schwärze standen! Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und wie still und märchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!" Wie tief sind nicht die Leute zu bedauern, denen dieser Sinn und diese Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur fo ganz und gar abgeht wie dem Hauslehrer Homburger! Das läßt sich nicht mit der Kenntnis all der Propheten und Bringer der neuen Seligkeit, mit der Weisheit eines Nietzsche und Ruskin wett machen! Homburgers Stirn ist umwölkt, seine Augen sind „müde wie vom Durchmessen ungeheurer Räume"; aber vergebens „liegt und wartet vor seinen Fenstern der gestirnte Himmel, die schwebende Wolke, der träumende Park, das schlafend atmende Feld und die ganze Schönheit der Nacht", vergebens wartet sie, „sein Herz mit Sehnsucht und Heimweh zu verwunden, seine Augen kühl zu baden, seiner Seele gebundene Flügel zu lösen." Greifbarer jedoch als in allen diesen kleineren Novellen und dem im „Peter Camenzind" vergleichbar wird Hesses Ringen nach vollständiger Ergründung des Glücksbegriffes in seinem letzten größeren, den „Peter Camenzind" an Einheit der Komposition übertreffenden Roman „Gertrud", dessen Handlung durch ein fortwährendes, aber keineswegs störendes Spintisieren über das Wesen des Glücks unterbrochen wird. In ihm begegnen wir allerorts früheren, uns vertrauten Gedanken wieder, nur sind sie noch klarer und schöner gefaßt. Hier stellt uns der Dichter in Teiser einen Menschen vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/494>, abgerufen am 27.09.2024.