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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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?er Glücksgcdanke bei I^arm^um liesse

Morgen entrückte, weiß ich nicht köstlicher zu benennen, als wenn ich sie mit
dem grünen Bilde meines frühesten Lebens vergleiche. So ist es mir auch
mit allem, was ich als Erholung und höchsten Genuß mein Leben lang liebte
und wünschte, alles Schreiten durch fremde Dörfer, alles Sternezahlen, alles
Liegen im grünen Schatten, alles Reden mit Bäumen, Wolken und Kindern."
Und ein noch gewaltigerer Hnmnus auf das Glück des Kindesalters ist in die
Skizze "Aus Kinderzeiten" verflochten: "Wenn die Stunde es gönnt und mein
Herz guter Dinge ist, trete ich traumwandelnd als ein stiller Gast in den seligen
Garten meiner Knabenzeit. Das gelingt so selten und ist so köstlich, einmal
wieder sich dort hinüberzuschwingen und die klare Morgenluft der ersten Jugend
zu atmen und noch einmal, für Augenblicke, die Welt so zu sehen, wie sie aus
Gottes Händen kam, und wie wir alle sie in Kinderzeiten gesehen haben, da
in uns selber das Wunder der Kraft und der Schönheit sich entfaltete. -- Ich
bin wahrlich heute und jeden Tag der Welt und meines Lebens froh, aber
auch ein Glücklicher kann sich den Glanz nicht völlig bewahren, den sein Auge
in Kinderzeiten über der Erde sah."

Auch der arme Hans Giebenrath in "Unterm Rad" erinnert sich am Ende
seiner Jugend voller Wehmut eines fröhlichen, heiteren Kindertages, des Vor¬
abends vor dem Sedanfest; doch wußte er nicht, "warum diese Erinnerung so
schön und mächtig war, noch warum sie ihn so elend und traurig machte. Er
wußte nicht, daß im Kleide dieser Erinnerung seine Kindheit und sein Knaben-
tum noch einmal fröhlich und lachend vor ihm aufstand, um Abschied zu nehmen
und den Stachel eines gewesenen und nie wiederkehrenden großen Glückes
zurückzulassen." Und eben dieses Knabenglück war wie das Peter Camenzinds
durch die reine Freundschaft Hermann Heilners erhöht gewesen.

Hermann Lauscher und Peter Camenzind aber besitzen noch ein weiteres
gemeinsames Gut: sie besitzen beide die schöne Fähigkeit, sich mit Hilfe einer
unbezwingbaren, in ihrer Ursprünglichkeit an Wilhelm Busch gemahnenden Ironie
hinwegzusetzen über alle Miseren des täglichen Lebens, über alle Niederungen
des gewohnten Daseins, ihre "ganze schwerblütige Art aufzulösen und als
schmucke Seifenblase ins Blaue zu blasen, alles zur Oberflüche zu machen, alles
Ungesagte mit raffinierter Bewußtheit sich selber als entdecktes Mysterium zu
servieren". So ist es nur natürlich, wenn der harte, weltfremde Bauernbub
Peter Camenzind trotz aller Bemühungen kein "Komo socmlis" werden kann,
wenn zwischen ihm mit seiner Schüchternheit und Plumpheit, mit seiner rauhen
äußeren Schale und den schlangengleichen, glatten Weltbürgern keine Gemein¬
schaft zustande kommt, wenn er aber trotzdem innerlich ein Lebenskünstler ist
wie kein zweiter und in stillen Träumen zu der reinen Weltliche und der
begierdelosen Resignation gelangt, die allein glücklich macht.

Hatte schon Peter Camenzind erkannt, "daß das Glück mit der Erfüllung
äußerer Wünsche wenig zu tun habe", so sollte das auch Helene Lamparts
unglücklicher Liebhaber in der "Marmorsäge", der klassischsten der Hesseschen


?er Glücksgcdanke bei I^arm^um liesse

Morgen entrückte, weiß ich nicht köstlicher zu benennen, als wenn ich sie mit
dem grünen Bilde meines frühesten Lebens vergleiche. So ist es mir auch
mit allem, was ich als Erholung und höchsten Genuß mein Leben lang liebte
und wünschte, alles Schreiten durch fremde Dörfer, alles Sternezahlen, alles
Liegen im grünen Schatten, alles Reden mit Bäumen, Wolken und Kindern."
Und ein noch gewaltigerer Hnmnus auf das Glück des Kindesalters ist in die
Skizze „Aus Kinderzeiten" verflochten: „Wenn die Stunde es gönnt und mein
Herz guter Dinge ist, trete ich traumwandelnd als ein stiller Gast in den seligen
Garten meiner Knabenzeit. Das gelingt so selten und ist so köstlich, einmal
wieder sich dort hinüberzuschwingen und die klare Morgenluft der ersten Jugend
zu atmen und noch einmal, für Augenblicke, die Welt so zu sehen, wie sie aus
Gottes Händen kam, und wie wir alle sie in Kinderzeiten gesehen haben, da
in uns selber das Wunder der Kraft und der Schönheit sich entfaltete. — Ich
bin wahrlich heute und jeden Tag der Welt und meines Lebens froh, aber
auch ein Glücklicher kann sich den Glanz nicht völlig bewahren, den sein Auge
in Kinderzeiten über der Erde sah."

Auch der arme Hans Giebenrath in „Unterm Rad" erinnert sich am Ende
seiner Jugend voller Wehmut eines fröhlichen, heiteren Kindertages, des Vor¬
abends vor dem Sedanfest; doch wußte er nicht, „warum diese Erinnerung so
schön und mächtig war, noch warum sie ihn so elend und traurig machte. Er
wußte nicht, daß im Kleide dieser Erinnerung seine Kindheit und sein Knaben-
tum noch einmal fröhlich und lachend vor ihm aufstand, um Abschied zu nehmen
und den Stachel eines gewesenen und nie wiederkehrenden großen Glückes
zurückzulassen." Und eben dieses Knabenglück war wie das Peter Camenzinds
durch die reine Freundschaft Hermann Heilners erhöht gewesen.

Hermann Lauscher und Peter Camenzind aber besitzen noch ein weiteres
gemeinsames Gut: sie besitzen beide die schöne Fähigkeit, sich mit Hilfe einer
unbezwingbaren, in ihrer Ursprünglichkeit an Wilhelm Busch gemahnenden Ironie
hinwegzusetzen über alle Miseren des täglichen Lebens, über alle Niederungen
des gewohnten Daseins, ihre „ganze schwerblütige Art aufzulösen und als
schmucke Seifenblase ins Blaue zu blasen, alles zur Oberflüche zu machen, alles
Ungesagte mit raffinierter Bewußtheit sich selber als entdecktes Mysterium zu
servieren". So ist es nur natürlich, wenn der harte, weltfremde Bauernbub
Peter Camenzind trotz aller Bemühungen kein „Komo socmlis" werden kann,
wenn zwischen ihm mit seiner Schüchternheit und Plumpheit, mit seiner rauhen
äußeren Schale und den schlangengleichen, glatten Weltbürgern keine Gemein¬
schaft zustande kommt, wenn er aber trotzdem innerlich ein Lebenskünstler ist
wie kein zweiter und in stillen Träumen zu der reinen Weltliche und der
begierdelosen Resignation gelangt, die allein glücklich macht.

Hatte schon Peter Camenzind erkannt, „daß das Glück mit der Erfüllung
äußerer Wünsche wenig zu tun habe", so sollte das auch Helene Lamparts
unglücklicher Liebhaber in der „Marmorsäge", der klassischsten der Hesseschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/492>, abgerufen am 27.09.2024.