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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Glücksgedanke bei Hermann liesse

Sehnsucht wohl nichts anderes sei als "das alte, traurige Verlangen, sich an
Gottes Brust zu werfen und sein kleines Leben mit dem Unendlichen und Zeit¬
losen zu verbinden/' daß es "nichts Adligeres und nichts Beglückenderes in der
Welt gäbe als eine wortelose, stetige, leidenschaftslose Liebe."

Immerhin hatte ihm doch auch die nicht jeder Leidenschaft bare Liebe zu
Frauen Stunden reinsten Glückes beschert, so daß er auch hier seine Jagd
nach dem Glücke am Ende nicht eine "ungeschickte" zu nennen braucht. Bereits
auf der Schule hatte ihn die zwar infolge seiner Schüchternheit gar eigenartige
Liebe zur schönen, schlanken Rost Girtanner selig gemacht, und auch später hat
ihm die Frauenliebe, obwohl er darin "zeitlebens ein Knabe geblieben." doch
"Bitteres und Süßes" eingebracht.

In gleicher Weise hatte auch die Freundesliebe sein ganzes Wesen geadelt:
in Zürich hatte ihn die Freundschaft zu Richard mächtig emporgehoben, die er
für "edler und beglückender als den Ruhm und den Wein und die Liebe und
die Weisheit" hielt, und in Basel hegte er für den armen, krüppeligen Boppi
wirklich solch "leidenschaftslose Liebe", die ihm gar köstlich erschien. Was
Wunder, daß er auch am Ende seines Lebens "nichts Köstlicheres als eine
ehrliche und tüchtige Freundschaft zwischen Männern" kennt!

Und dann blieb ihm ja in allen Bitternissen und Fährlichkeiten des Lebens
ein herrlicher Tröster: der Wein! Wie oft hat er ihn nicht zum Vertrauten
seines Liebeskummers gemacht, und wie oft hat ihm nicht dieser vertraute
Freund Linderung und Vergessen verschafft! In begeisterten Worten wird ihm
der gebührende Dank gezollt: der gelbe Waadtländer, der tiefrote Veltliner, der
Neuenburger Sternwein und viele andere Weine sind ihm gute Freunde
geworden; sie haben "den Einsiedler und Bauern zum König. Dichter und
Weisen gemacht".

So kann denn das Fazit, das Peter Camenzind am Ende seiner Jugend
Zieht, nur ein glänzendes sein: "Tief und beglückt." heißt es da. "trank ich
aus den vollen Bechern der Jugend, litt in der Stille süße Leiden, um schöne,
scheu verehrte Frauen und kostete das edelste Jugendglück einer männlich frohen,
reinen Freundschaft bis zum Grunde," und an anderer Stelle: "Das war die
Geschichte meiner Jugend. Es scheint mir. wenn ich es überdenke, als sei sie
kurz wie eine Sommernacht gewesen. Ein wenig Musik, ein wenig Geist, ein
wenig Liebe, ein wenig Eitelkeit -- aber es war schön, reich und farbig wie
ein eleusisches Fest."

Überhaupt allen Gestalten Hesses scheint die früheste Kindheit und Jugend
durch solch einen rosigen Schimmer des Glückes verklärt: wie Peter Camenzind
geht schon Hermann Lauscher das Herz auf, wenn er seiner Kindheit und ihres
ungetrübten Glückes gedenkt: "Alle Stunden meines Lebens, in welchen ein
kurzes, weltvergessenes Ruhen mir vergönnt war, alle einsamen Wanderungen,
die ich über Schneegebirge gemacht habe, alle Augenblicke, in welchen ein
unvermutetes kleines Glück oder eine begierdelose Liebe mir das Gestern und


Der Glücksgedanke bei Hermann liesse

Sehnsucht wohl nichts anderes sei als „das alte, traurige Verlangen, sich an
Gottes Brust zu werfen und sein kleines Leben mit dem Unendlichen und Zeit¬
losen zu verbinden/' daß es „nichts Adligeres und nichts Beglückenderes in der
Welt gäbe als eine wortelose, stetige, leidenschaftslose Liebe."

Immerhin hatte ihm doch auch die nicht jeder Leidenschaft bare Liebe zu
Frauen Stunden reinsten Glückes beschert, so daß er auch hier seine Jagd
nach dem Glücke am Ende nicht eine „ungeschickte" zu nennen braucht. Bereits
auf der Schule hatte ihn die zwar infolge seiner Schüchternheit gar eigenartige
Liebe zur schönen, schlanken Rost Girtanner selig gemacht, und auch später hat
ihm die Frauenliebe, obwohl er darin „zeitlebens ein Knabe geblieben." doch
„Bitteres und Süßes" eingebracht.

In gleicher Weise hatte auch die Freundesliebe sein ganzes Wesen geadelt:
in Zürich hatte ihn die Freundschaft zu Richard mächtig emporgehoben, die er
für „edler und beglückender als den Ruhm und den Wein und die Liebe und
die Weisheit" hielt, und in Basel hegte er für den armen, krüppeligen Boppi
wirklich solch „leidenschaftslose Liebe", die ihm gar köstlich erschien. Was
Wunder, daß er auch am Ende seines Lebens „nichts Köstlicheres als eine
ehrliche und tüchtige Freundschaft zwischen Männern" kennt!

Und dann blieb ihm ja in allen Bitternissen und Fährlichkeiten des Lebens
ein herrlicher Tröster: der Wein! Wie oft hat er ihn nicht zum Vertrauten
seines Liebeskummers gemacht, und wie oft hat ihm nicht dieser vertraute
Freund Linderung und Vergessen verschafft! In begeisterten Worten wird ihm
der gebührende Dank gezollt: der gelbe Waadtländer, der tiefrote Veltliner, der
Neuenburger Sternwein und viele andere Weine sind ihm gute Freunde
geworden; sie haben „den Einsiedler und Bauern zum König. Dichter und
Weisen gemacht".

So kann denn das Fazit, das Peter Camenzind am Ende seiner Jugend
Zieht, nur ein glänzendes sein: „Tief und beglückt." heißt es da. „trank ich
aus den vollen Bechern der Jugend, litt in der Stille süße Leiden, um schöne,
scheu verehrte Frauen und kostete das edelste Jugendglück einer männlich frohen,
reinen Freundschaft bis zum Grunde," und an anderer Stelle: „Das war die
Geschichte meiner Jugend. Es scheint mir. wenn ich es überdenke, als sei sie
kurz wie eine Sommernacht gewesen. Ein wenig Musik, ein wenig Geist, ein
wenig Liebe, ein wenig Eitelkeit — aber es war schön, reich und farbig wie
ein eleusisches Fest."

Überhaupt allen Gestalten Hesses scheint die früheste Kindheit und Jugend
durch solch einen rosigen Schimmer des Glückes verklärt: wie Peter Camenzind
geht schon Hermann Lauscher das Herz auf, wenn er seiner Kindheit und ihres
ungetrübten Glückes gedenkt: „Alle Stunden meines Lebens, in welchen ein
kurzes, weltvergessenes Ruhen mir vergönnt war, alle einsamen Wanderungen,
die ich über Schneegebirge gemacht habe, alle Augenblicke, in welchen ein
unvermutetes kleines Glück oder eine begierdelose Liebe mir das Gestern und


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[0491] Der Glücksgedanke bei Hermann liesse Sehnsucht wohl nichts anderes sei als „das alte, traurige Verlangen, sich an Gottes Brust zu werfen und sein kleines Leben mit dem Unendlichen und Zeit¬ losen zu verbinden/' daß es „nichts Adligeres und nichts Beglückenderes in der Welt gäbe als eine wortelose, stetige, leidenschaftslose Liebe." Immerhin hatte ihm doch auch die nicht jeder Leidenschaft bare Liebe zu Frauen Stunden reinsten Glückes beschert, so daß er auch hier seine Jagd nach dem Glücke am Ende nicht eine „ungeschickte" zu nennen braucht. Bereits auf der Schule hatte ihn die zwar infolge seiner Schüchternheit gar eigenartige Liebe zur schönen, schlanken Rost Girtanner selig gemacht, und auch später hat ihm die Frauenliebe, obwohl er darin „zeitlebens ein Knabe geblieben." doch „Bitteres und Süßes" eingebracht. In gleicher Weise hatte auch die Freundesliebe sein ganzes Wesen geadelt: in Zürich hatte ihn die Freundschaft zu Richard mächtig emporgehoben, die er für „edler und beglückender als den Ruhm und den Wein und die Liebe und die Weisheit" hielt, und in Basel hegte er für den armen, krüppeligen Boppi wirklich solch „leidenschaftslose Liebe", die ihm gar köstlich erschien. Was Wunder, daß er auch am Ende seines Lebens „nichts Köstlicheres als eine ehrliche und tüchtige Freundschaft zwischen Männern" kennt! Und dann blieb ihm ja in allen Bitternissen und Fährlichkeiten des Lebens ein herrlicher Tröster: der Wein! Wie oft hat er ihn nicht zum Vertrauten seines Liebeskummers gemacht, und wie oft hat ihm nicht dieser vertraute Freund Linderung und Vergessen verschafft! In begeisterten Worten wird ihm der gebührende Dank gezollt: der gelbe Waadtländer, der tiefrote Veltliner, der Neuenburger Sternwein und viele andere Weine sind ihm gute Freunde geworden; sie haben „den Einsiedler und Bauern zum König. Dichter und Weisen gemacht". So kann denn das Fazit, das Peter Camenzind am Ende seiner Jugend Zieht, nur ein glänzendes sein: „Tief und beglückt." heißt es da. „trank ich aus den vollen Bechern der Jugend, litt in der Stille süße Leiden, um schöne, scheu verehrte Frauen und kostete das edelste Jugendglück einer männlich frohen, reinen Freundschaft bis zum Grunde," und an anderer Stelle: „Das war die Geschichte meiner Jugend. Es scheint mir. wenn ich es überdenke, als sei sie kurz wie eine Sommernacht gewesen. Ein wenig Musik, ein wenig Geist, ein wenig Liebe, ein wenig Eitelkeit — aber es war schön, reich und farbig wie ein eleusisches Fest." Überhaupt allen Gestalten Hesses scheint die früheste Kindheit und Jugend durch solch einen rosigen Schimmer des Glückes verklärt: wie Peter Camenzind geht schon Hermann Lauscher das Herz auf, wenn er seiner Kindheit und ihres ungetrübten Glückes gedenkt: „Alle Stunden meines Lebens, in welchen ein kurzes, weltvergessenes Ruhen mir vergönnt war, alle einsamen Wanderungen, die ich über Schneegebirge gemacht habe, alle Augenblicke, in welchen ein unvermutetes kleines Glück oder eine begierdelose Liebe mir das Gestern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/491>, abgerufen am 27.09.2024.